NEST-Unit UMAR Urban Mining & Recycling, Dübendorf/CH
Nun ist die UMAR-Unit nicht mehr brandneu, 2018 wurde sie ins NEST der Empa im schweizerischen Dübendorf eingefügt. Wir schauen uns das Projekt dennoch und sehr detailliert ein weiteres Mal an und fragen die Beteiligten, welche Impulse dieses als Startpunkt für Weiterentwicklungen in größeren Maßstäben gegeben hat und wie wir hier besser werden können. Besser darin, das Thema des kreislauffähigen Bauens aus dem Experimentalstadium in ein breites Anwenderstadium zu bringen.
Text und Interview: Benedikt Kraft/ DBZ
Das UMAR im NEST, 2018 eingezogen, in diesem Jahr sollten ursprünglich Auszug und Materialrückführung geschehen, doch jetzt hat UMAR noch ein paar Jahre Standzeit erhalten
Foto: Zooey Braun
Die Bauwirtschaft brummt. Vielleicht leiser, aber nicht weniger produktiv als in den vorangegangenen Jahrzehnten. Man schätzt einen kontinuierlichen Anstieg der Bauleistung (in Tonnen Material) weltweit bis 2050 auf 95 Mrd. t/Jahr (2015 waren es ca. 48 Mrd. t – Zahlen beim International Resource Panels und der UNEP). Das ist das eine. Das andere: Wir wollen, wir müssen aber eigentlich Materialeinsatz wo möglich vermeiden. Wegen der Endlichkeit von Grundstoffen, wegen des immer noch zunehmendem Ausstosses von CO2 und der damit verbundenen Erderwärmung mit noch unabsehbaren, aber definitiv gravierenden Folgen. Auch ökonomischen, was den Argumenten, weniger, aber besser bauen sei zu teuer, Kurzsichtigkeit nachweist. Oder Egoismus.
Was tun? Weniger Bauen. Besser bauen. Anders bauen (Hebel 2022). Das wären die Schlagworte, die sich aus dem Re-duce, Re-use, Re-cyle ableiten oder jedenfalls in eine vergleichbare Richtung denken. Oder noch besser: Material nicht mehr ver-, sondern gebrauchen. Im Kreislauf. Hätten wir einen geschlossenen Materialkreislauf, wären wir nahe dran an der Lösung unserer Probleme, die aus einem unseren Ökonomien immanenten und diese kons-tituierenden Konsumismus resultieren. „Wegwerfgesellschaft“ bezog sich lange auf unsere Haltung zu darum auch so genannten „Verbrauchsgütern“. Aber Häuser? Tatsächlich ist das Verbrauchen von Gebäuden ebenfalls ein Teil unseres ökonomischen Handelns, immer noch wird von der „Langlebigkeit“ so gesprochen, weil Häuser auf Zeit konzipiert sind, 25 bis 50 Jahre sollen sie halten. Was viel zu kurz ist, wenn man die Aufwände anschaut, die damit verbunden sind, material- und energiebezogen.
Kreislaufgerechtes Bauen sollte nicht ruppig, sparsam oder sonst wie eingeschränkt umgesetzt wirken. Beste Materialien und feine Detaillierung sollen gegen eine „Entsagungsästhetik“ (Werner Sobek) argumentieren
Foto: Zooey Braun
Bauen mit Abfall und Recycling-Material
Das Planerteam der 2018 eröffnete NEST-Unit UMAR Urban Mining & Recycling ging nun diesem Aspekt des Materialeinsatzes nach und forschte über die Realisierung eines Wohnmoduls, mit welchen Materialien wie zu konstruieren ist, um ein kreislauffähiges Produkt zu erhalten. Die Unit – die bis heute als belebtes (bewohntes) Labor dazu dient, den Wandel der Bauindustrie in Richtung Kreislaufwirtschaft zu beschleunigen – musste sortenrein aus wiederverwendbaren, wiederverwertbaren oder kompostierbaren Materialien konstruiert sein. Das Konzept dazu stammt von einem Kernteam um Werner Sobek, mit Dirk E. Hebel und Felix Heisel, letztere beide damals an der ETHZ.
Tragwerk und große Teile der Fassade bestehen aus unbehandeltem Holz, sämtliche Verbindungen sind gesteckt, verschränkt oder verschraubt. Der Holzschutz ist konstruktiv gedacht. Zum Holz kommen Kupferplatten, die zuvor das Dach eines Hotels in Österreich deckten. Mit der vorfabrizierten Unit erhofften sich die Projektmacher:innen, dass man „ein Umdenken im Bauwesen anstoßen“ könne, so Enrico Marchesi, verantwortlicher Innovation Manager im NEST. Man wolle in Zukunft Gebäude nicht bloß in ihrer Nutzung betrachten, sondern gleichzeitig auch als nutzbares Materiallager für kommende Bauten, die anderen Ansprüchen genügen müssen.
Wandoberflächenschau: Was möglich ist, was ästhetisch überzeugt
Foto: Zooey Braun
Kreisläufe / Materiallager
Bei der Betrachtung der Ressourcen wird zwischen biologischen und technischen Kreisläufen unterschieden. Letztere umfassen alle Produkte, die aus Rohstoffen bestehen, die der Erdkruste entnommen wurden. Der biologische Kreislauf definiert sich durch Produkte, die durch Photosynthese entstehen. Er bietet eine größere Gebrauchsdurchlässigkeit als der technische Kreislauf. So kann ein Holzbalken zu Dämmung verarbeitet werden und nach Kompostierung als Nährstoff für unterschiedliche weitere Produkte. Und um es deutlich zu schreiben: Kein Kreislauf hat einen Anfang oder ein Ende, immer stehen kreislauffähige Produkte und Materialien an ganz unterschiedlichen Positionen im Kreislauf, können also neu oder eben auch (zumindest gleichwertig) wiederverwendet gebraucht sein.
Der Kreislaufgedanke spielt beim UMAR eine zentrale Rolle. Neben der sorgfältigen Materialauswahl – wiederverwendbar, wiederverwertbar oder kompostierbar – ist der Materiallagergedanke ein zentraler Punkt. Dass man dabei durchaus auch bereits auf Industrieprodukte zugreifen konnte, zeigt die Materialsammlung, die auf der speziell zum Projekt aufgesetzten Webseite (www.nest-umar.net) anzuschauen ist.
Gebäudetechnik: Leitungen und Kabel wurden an den Modulgrenzen reversibel gekoppelt. Das erlaubt ein schnelles Zusammenfügen wie auch ein schnelles Entkoppeln
Foto: Zooey Braun
Details / Bauteile
Über alles geschaut, verwundert es wieder einmal nicht, dass sich die Fertigung der modular konzipierten Unit vielfach auf einfache Handwerkstechniken bezieht. Stecken, schrauben, kanten, klemmen, falten oder pressen, gesägt wird sicherlich auch. Das Tragwerk besteht ebenso wie große Teile der Fassade aus unbehandeltem Fichtenvollholz, für den Innenausbau wurden u. a. Plattenwerkstoffe aus Getränkeverpackungen, Hart-Polyethylen (HDPE) oder Altglas verwendet, also Material, das einem bereits bestehenden technischen oder biologischen Kreislauf entnommen wurde und in diesen oder ähnliche zurückgeführt werden kann. Die Module (3,86 m breit, 11,30 m lang und 3,53 m hoch) haben eine lichte Raumhöhe unter den abgehängten Decken von 2,50 m. Sie wurden von der Firma Kaufmann in Reuthe/AT komplett, inklusive Installation, vorgefertigt. Im NEST verankert sind sie durch Steck- und Schraubverbindungen miteinander verbunden. Die Glasscheiben überspannen die Modulfugen, so dass Letztere von außen nicht sichtbar sind. Wie überhaupt bei diesem Projekt großer Wert darauf gelegt wurde, das Experimentelle nicht visuell zu transportieren. Die vorinstallierten Rohre wurden gekoppelt, Strom- und Datenleitungen mittels Stecker verbunden. Für alle brandschutzrelevanten Elemente wurde Steinwolle als Dämmung verwendet (Außenhülle der Einheit und Fugenstöße der Module), während für alle nicht klassifizierten Elemente Jeans- bzw. Hanfdämmung verwendet wurde (innere Trennwände). Jeder Raum ist jeweils innenseitig mit einer Dampfbremse ausgekleidet, die nur durch Klemmung gehalten wird.
Die Bodenkonstruktion – eine 240 mm hohe Rippenkonstruktion – ist beidseitig mit einer 20 mm dicken Diagonalschalung beplankt, die Zwischenräume sind mit Dämmung ausgefüllt, die Dampfbremse ist oberseitig aufgelegt. Die Wandkonstruktionen sind analog den Bodenkonstruktionen ausgelegt, allerdings mit variabler Rippenhöhe. Variabel dazu ist auch die Konstruktion der Trennwände zwischen Schlafräumen und dem Wohn- und Essbereich, da diese auf einen Fassadenpfosten zulaufen. Hier wurde deren Dicke reduziert mittels zwei Vollschalen mit jeweils 40 mm dicken Massivdielen. Die Deckenkonstruktion besteht aus 80 mm hohen Massivdielen mit einer oberseitigen, 20 mm dicken Diagonalschalung, einer aufgelegten Dampfbremse und einer Dämmung von 240 mm Höhe.
Alle sieben Module wurden an einem Tag mit zwei Kränen eingehoben
Foto: Wojciech Zawarski
Die Fensterfront ist raumhoch und läuft über die volle Breite der Einheit, hier sollte offenbar das Maximum an Transparenz erzielt werden bei gleichzeitiger Effizienz in der Konstruktion. So arbeiten die Pfosten der Fensterrahmen als lastabtragende Stützen. Die Glasscheiben der fünf Festverglasungen und vier Hebeschiebetüren werden nur durch eine fein ausgebildete Pressleiste gehalten. Statt Verklebungen und Silikon wurden ausschließlich Trockendichtungen verwendet. Auf eine Sonnenschutzbeschichtung für die Wärmeschutzverglasung wurde zugunsten einer besseren Rezyklierbarkeit verzichtet – aber auch, um die solaren Gewinne durch entsprechende Steuerung des außenliegenden Sonnenschutzes bei Bedarf gezielt für die Einheit nutzen zu können. Die Gläser können nach Rückbau trockenmechanisch von Bestandteilen wie Folien und Dichtungsgummis getrennt und wieder der Glasproduktion zugeführt werden. Der seilgeführte textile Sonnenschutz besteht zu 100 % aus wiederverwertetem Synthetikgarn.
Weitere Stichworte sind die integrierten Fens-terfalzlüfter (Nachströmung), Portalrahmen aus wiederverwendeten Kupferblechen, Trittschalldämmung aus Hanf, Trockenbausystem aus Holz, Lehm, Ton und Hanf, Wandoberflächen aus unbehandelten Filz, Glasschaum auf Platten aus ehemaligen Getränkekartons, Myzeliumplatten mit Lehmputz, piezoelektrisch erzeugte Funksignale statt Kupferkabel samt Kanälen. Dass der Teppichboden in den Schlafräumen im Leasing-Verfahren in die Unit eingebracht wurde, kann – angesichts seiner Fläche – eher der Konzeption des Ganzen zuzuschreiben sein. Der Teppich selbst kann sortenrein recycelt werden.
Dass die Unit, die noch ein paar Jahre im NEST genutzt werden soll (s. das folgende Interview), ein Hightech-Projekt durch und durch ist, zeigt nicht bloß seine formale, höchsten, marktkonformen und gestalterischen Ansprüchen geschuldete Detaillierung, sie wird auch deutlich angesichts einer unitinternen Gebäudeautomation (Funkstandard: EnOcean), die zur Steuerung und Kontrolle der Basisstation verwendet wird, der Sensorik (Temperatur, Luftfeuchtigkeit, CO2-Konzentration, Helligkeit, Fensterkontakte, Windwächter), der Heiz-/Kühldecke, der Abluft, Beleuchtung und der Steuerung des außenliegenden Sonnenschutz. Die Gebäudeautomation, so das Team, „bezieht für mehr Nutzerkomfort und eine optimierte energetische Performance aktuelle Wetterdaten ein.“
Die Module wurde sämtlich vorgefertigt. Hier die fünf Raummodule und Fassadenansicht mit Kupferblechen, daneben ein Modul für die Haustechnik
Foto: Siegfried Maeser
Die Experimentaleinheit UMAR sei „eine Etüde unterschiedlicher Materialien“ und am Ende – oder kurz davor – bleibt die Frage nach den Folgen, die dieses Projekt auslösen soll, auslösen kann, auslösen wird. Werner Sobek spricht in diesem Zusammenhang von einer „Herkulesaufgabe“ und verweist damit konkrete Folgen in eine weiter entfernte Zukunft, die zu gestalten wir allerdings jetzt bereits beginnen müssen. Denn das fügt Werner Sobek perspektivisch noch an: Man brauche dieses Projekt, um „erstens […] zu zeigen, dass es tatsächlich geht. Und zweitens, weil man damit jene Unkenrufe zum Verstummen bringen kann, es handle sich bei Recycling-Bauten zwangsläufig um eine Art Entsagungsästhetik.“ (Frank Heinlein, Recyclable by Werner Sobek, 2019). Die, das zeigt das Projekt, hier definitiv nicht gefunden werden kann. Benedikt Kraft/ DBZ
Grundriss EG, M 1 : 250
Schnitt AA (mit NEST), M 1 : 500
Explosionsdarstellung Teile, o. M.
1 NEST Unit Urban Mining and Recycling
2 Die Unit wurde in 7 Modulen vorgefertigt und vor Ort gekoppelt
3 Schienensystem zum Ein- und Ausfahren der Module im NEST
4 Diagonalschalung Weißtanne
5 Primärkonstruktion Weißtanne
6 Dämmung Steinwolle
7 Dämmung Denim (Jeans)
8 Dämmung Hanf
9 Holzständer Weißtanne
10 Dampfsperre PE überlappend geklemmt
11 Leitungsebene sortenrein metallisch und Solarthermie
12 Heiz-Kühldecke Aluminium
13 Abwasserleitungen PE
14 Trägerplatte ECOR
15 Unterkonstruktion Weißtanne
16 Teppichfliesen Desso
17 Dielenboden Braunkernesche
18 Fußbodenwanne Badezimmer Edelstahl
19 Trockenbauplatte Lehm
20 Unterputz Lehm
21 Feinputz Lehm
22 Dämmplatten MycoFoam
23 Wandverkleidung Filz
24 Trägerplatte ReWall
25 Akustikpaneele Reapor
26 Rahmen Stahl
27 Backsteine StoneCycling
28 Stahlrechen
29 Portalrahmen Kupfer
30 Schiebetüren Weißtanne
31 Türglas
32 Fensterglas
33 Klemmprofile Aluminium
34 Absturzsicherung Edelstahl
35 Wandverkleidung Black Dapple
36 Wandverkleidung Magna Glaskeramik
37 Klemmhalterungen Edelstahl
38 Rückwand analog 4,7,9,10
39 Materialschubladen
40 Materialmuster und Datenblätter
Wie geht es weiter mit UMAR? Was ist seine Zukunft?
UMAR ist im Moment als Studentenwohnung in Betrieb und das wird noch ein paar Jahre so bleiben. Einerseits ist es uns wichtig, konkrete Erfahrungen auch über eine längere Betriebsphase zu sammeln. Andererseits ist UMAR ein unerhört starkes Kommunikationsinstrument für die Besucher:innen. Mit diesem realisierten realen Projekt können unter anderem praktisch alle Vorurteile und Stigmata zum kreislaufgerechten Bauen „am lebenden Objekt“ entkräftet werden. Gerade in dieser noch frühen Phase ist dies ein wichtiger Aspekt. Die Bauwirtschaft macht sich erst auf den Weg und positive Beispiele helfen, die Schwellen zu senken.
In einigen Jahren wird dann die Unit zurückgebaut. Es steht jetzt schon fest, dass dieser Rückbau als eigenständiges Projekt geführt wird. Wir möchten die anvisierten Resultate zur Rückbaufähigkeit und dem Schließen von Kreisläufen auch in real validieren und daraus weitere Erkenntnisse gewinnen.
Das Projekt ist – wie nicht nur Werner Sobek sagt – ein Demonstrator. Was hat er gezeigt und was ist seine Wirkung?
UMAR wurde im Frühling 2018 eröffnet. Zu dieser Zeit war das Thema Kreislaufwirtschaft in der Bauindustrie ganz allgemein kaum existent. Fünf Jahre später sehen wir, dass dieses Thema einen hohen Stellenwert gewonnen hat. Wir stellen uns auf den Standpunkt, dass wir mit dem Projekt UMAR nicht unwesentlich zu diesem Bewusstseinsschub beigetragen haben.
Wir haben im Schnitt bis zu 1 000 Besucher:innen pro Monat im NEST und UMAR ist und bleibt ein Highlight. Planer:innen, Architekten:innen, Industrie, Bauherr:innen, Investor:innen – alle zeigen sich sehr interessiert und in der Regel auch sehr aufgeschlossen. In unserem Netzwerk sehen wir viele Vorstöße, dieses Thema auch umgesetzt zu bekommen. Große Geldgeber:innen haben begonnen, bei ihren Projektentwicklungen die Kreislaufwirtschaft als Zielparameter auf ihre Projekt-agenda zu setzen. Die öffentliche Hand –
insbesondere große Schweizer Städte – entwickelt gerade Kreislaufstrategien auf den verschiedensten Ebenen und insbesondere auch für ihr Bauwesen. Der Geschäftsgang von spezialisierten Planer:innen (z. B. insitu/zirkular) hat enormen Zuwachs. Natürlich kann man argumentieren, dass in der Umsetzung bisher wenig angekommen ist. Wenn man „Umsetzung“ als realisierte Projekte definiert, dann hat das aber wahrscheinlich vor allem mit den sehr langen Fristen („Produktzyklen“) der Bauwirtschaft zu tun. Eine flächendeckende Verwirklichung wird Jahrzehnte brauchen. Ansonsten haben in den letzten fünf Jahren Veränderungen stattgefunden, die ich in Bezug auf die Bauwirtschaft als sehr schnell einordne!
Was habt ihr aus UMAR gelernt: Würdet ihr vielleicht weniger, vielleicht noch mehr Technik implementieren?
Unsere Learnings kurz auf den Punkt gebracht: Bauen in der und für die Urbane Mine ist heute bereits möglich, die Kompetenzen für das Bauen in der Kreislaufwirtschaft sind in der Bauwirtschaft bereits verfügbar, Urban Mining ist machbar zu kompetitiven Kosten, gestalterische und ästhetische Ansprüche können vollumfänglich erfüllt werden und die Hürden liegen nicht bei den Technologien, sondern bei den Entscheidungen. Kurz, unsere Erfahrungen sind – mit bisher zwei realisierten Projekt – uneingeschränkt positiv!
Zur Frage, ob mehr Technik: definitiv Nein! Das erste Prinzip der Kreislaufwirtschaft – und das mit dem größten Hebel – ist die Vermeidung. „Mehr“ von irgendetwas steht da schon mal quer. Meine Maxime lautet hier: Kreislaufwirtschaft ist kein Materialthema – es ist ein Planungsthema! Oder als Binsenweisheit aus dem Labor: „Two weeks of experimenting around can easily spare you 30 minutes of proper thinking!“
Gibt es Erkenntnisse zum „besten“/ „schlechtesten“ Material oder zum besten Mix?
Natürlich gibt es Materialien, die aufgrund ihrer chemischen/mechanischen Eigenschaften einen Einsatz in mehreren Lebenszyklen erschweren. Aber auch hier ist es letztendlich entscheidend, wie Materialien in spezifische Nutzungszyklen eingebettet werden. Wir sind also wieder beim Planungsthema. Nehmen wir ein Material, das per se einen kleinen ökologischen Fußabdruck hat. Wird ein solches Material z. B. untrennbar mit anderen Materialien gefügt, ist beim Rückbau die Deponie/Verbrennung umso wahrscheinlicher. Und wenn das Gebäude schon nach 20 Jahren abgerissen wird (kommt ja durchaus vor), dann wird der „kleine“ Fußabdruck nochmal vergrößert. Dagegen kann ein Material mit einem Startnachteil im Fußabdruck der Produktion und Bereitstellung unter Umständen wesentlich besser abschneiden. In einem unendlichen Kreislauf tendiert dieses Material zu einem Produktions-Fußabdruck von Null.
Wo kann sich Kreislaufwirtschaft am ehesten verankern und von dort aus Impluse geben? Ein NEST-Modell scheint da eher nur die Fachkreise anzusprechen?
NEST spricht nicht nur die Fachkreise an. Ich sagte ja schon, dass wir regelmäßig auch öffentliche Führungen machen. Und bei insgesamt über 10 000 Besucher:inen pro Jahr haben wir auch 10 000 Individuen/Konsument:innen zu Gast.
Natürlich haben viele Individuen kaum Mitspracherecht bei Entscheidungen in Bauprojekten. Insbesondere im „Land der Mieter“ (die Schweiz) ist dies eine Tatsache. Man sollte hier generell aber das Gesamtbild im Auge behalten und ansprechen. Kreislaufwirtschaft ist nicht nur ein Thema für die Bauwirtschaft, sondern ein globales Wirtschafts- und Verhaltensmodell. Es betrifft alle und jeden in jedem Aspekt des täglichen Konsumverhaltens. Wir versuchen, bei unseren Führungen und Kommunikationsaktivitäten auch genau diesen Fokus zu thematisieren. In unserem Fall nutzen wir dazu Gebäudeprojekte. Und diese eignen sich in ihrer Gesamtheit sehr gut, um auf die grundlegenden Prinzipien und Wirkmechanismen einer funktionierenden Kreislaufwirtschaft einzugehen.
Ist das UMAR nicht zu elitär (feine Details, hochwertige Materialien, …)? Wie kann das alles in der Bestandsarbeit verwendet werden (Sanierung, Umnutzung, Weiterbauen … )?
Werner Sobek hat gesagt: „Es muss atemberaubend schön sein. Wenn es das nicht ist, lieben es die Menschen nicht.“ Womit er zum Ausdruck bringt, dass ohne marktwirtschaftliche Nachfrage Innovationen bestenfalls Neuheiten bleiben. Sie setzen sich nicht durch!
Eine UMAR Unit, die den Charme einer baulich installierten Abfalldeponie versprüht, hätte uns in dieser Hinsicht einen Bärendienst erwiesen. Sie wäre die ideale Projektionsfläche für Klischees und Killer-Argumente und würde als Beleg für Öko-Idealismus und Marktferne instrumentalisiert werden.
Der Bestand stellt in der Tat eine Herausforderung dar. Dafür gibt es kein „one-fits all“-Rezept. Grundsätzlich muss jedes Projekt individuell in seiner Gesamtheit geplant und bewertet werden. Dazu müssen Ingenieurwesen und Ökonometrie auf Augenhöhe mit der Architektur gestellt werden. Bei UMAR hatten wir die Zielsetzung: 100 % kreislaufgerecht. Erreicht haben wir 96 %. In anderen Projekten muss der „sweet spot“ individuell gesucht und festgelegt werden. Aber aufgrund der schieren Masse an Material, die das Bauwesen beansprucht, sind alle geschlossenen Kreisläufe ein Gewinn.
Welcher einflussreiche Lobbyverband (Politik, Verbände, Industrie) hat nachhaltiges Interesse am UMAR gezeigt?
Die parlamentarische Kommission für den Umweltbereich des Schweizerischen Nationalrates hat UMAR besucht und die Konzepte sind in die Gestaltung des neuen Umweltgesetzes der Schweiz eingeflossen. Zusammen mit dem Kanton Zürich hat NEST eine Erfahrungsgruppe von großen öffentlichen und privaten Bauherren initiiert, die in den nächsten Jahren entsprechende Impulse in die Bauwirtschaft geben wird und ihre Beschaffung entsprechend anpasst. Dies ist getrieben durch einen Verfassungsartikel des Kantons Zürich, der die Kreislaufwirtschaft auf Verfassungsebene zwingend implementiert. Die Volksabstimmung zu diesem Artikel im Herbst 2022 lieferte mit 89,3 % Ja-Stimmen das höchste jemals erreichte Zustimmungsergebnis, das – wäre es nicht die Schweiz – wohl umgehend die Unkenrufe nach Wahlbetrug auf den Plan gerufen hätte. Des weiteren hat UMAR größere Interessensverbände wie den sia inspiriert, kreislauffähiges Bauen in ihre Pläne und Normen aufzunehmen.
Was kommt nach UMAR bei euch im NEST, gibt es eine Fortsetzung?
Nach UMAR haben wir unsere Unit Sprint geplant und umgesetzt (https://nest.empa.ch/sprint). Sprint fokussiert komplementär zu UMAR die Wiederverwendung. Mit diesem Projekt wollten wir insbesondere faktisch belegen, dass Kosten und Termine für ein Bauvorhaben mit sehr hohem Wiederverwendungsanteil nicht prohibitiv sind. Dieses Ziel haben wir erreicht. Das erste Video auf der Website geht ins Detail zum Projekt.
Baudaten
Objekt: NEST-Unit UMAR Urban Mining & Recycling
Typologie: Versuchsbau (hier: Wohnen)
Adresse: NEST, Überlandstraße 129, 8600 Dübendorf/CH
Bauherr: Empa Swiss Federal Laboratories for Materials Science and Technology, Dübendorf/CH, Enrico F. Marchesi, Reto Fischer
Konzept, Entwurf und Projektplanung: Werner Sobek mit Dirk E. Hebel und Felix Heisel, Stuttgart und Karlsruhe
Team Werner Sobek AG: Werner Sobek, Frank Heinlein, Bernd Köhler
Team Sustainable Construction, KIT Karlsruhe: Dirk E. Hebel, Felix Heisel, Sandra Böhm
Generalunternehmer: kaufmann zimmerei und tischlerei gmbh, Reuthe/AT, Matthias Kaufmann
Fachplanung
Tragwerksplaner: merz kley partner ZT GmbH, Dornbirn/AT, Gordian Kley
TGA: Amstein-Walthert AG, Zürich/CH, Simon Büttgenbach, Bruno Inauen, David Anderes, Martin Rüegsegger, Beat Riedweg
Brandschutz: Balzer Ingenieure AG, Chur/CH, Dumeng Wehrli, Christoph Schärer
Bauphysik: Weber Energie und Bauphysik, Schaffhausen/CH, Moritz Eggen
Projektdaten
Nutzfläche gesamt: 126 m²
Fertigstellung: 8. Februar 2018
www.nest-umar.net
Film: www.vimeo.com/248181084