Nicht lesen? Doch!
Eigentlich darf man Hermann Funke gar nicht lesen. Nicht wenn man Architekt:in ist und schon gar nicht als Kritiker:in. Denn ersteren macht er Angst und letzteren legt er die Latte derart hoch, dass es einem schwindlig werden kann.
Andererseits. Andererseits muss man die Texte, die Kritiken des Architekten und begnadeten Autoren lesen, gerade in diesen Zeiten, in denen das Schreiben über Architektur entweder einem Marketingzweck dient oder der Idee, man könnte Einfluss nehmen auf dieses oder jenes. Nun liegen uns allen seine Texte vor, gebündelt zwischen zwei Buchdeckel, die so flexibel sind, wie Architekturkritiken von heute; der Autor hätte einen Leineneinband verdient: fein gemustert, formhaltig und mit Anspruch auf Überzeitlichkeit.
Er schrieb über einzelne Bauten, über die wir heute noch sprechen. Er schrieb über das Bauen und das Wohnen, über Architekten (er kennt wohl nur Männer, erwähnte Frauen sind meist Autorinnen oder Designerinnen oder Hausfrauen, die sich mit der Arbeit der Männer herumärgern müssen), über Stadtplanungen und Vorschriften, über die Attraktivität der Orte von Sylt über Ost-Berlin bis irgendwo in den Süden der Republik und auch über die Schwierigkeiten des eigenen Tuns, das der Architekturkritik.
Die meisten Beiträge verfasste Wilhelm Funke für die ZEIT in den 1960er- und 1980er-Jahren, den letzten, hier abgedruckten für die Jungle World 2003. Dabei maß er sich selbst immer an dem Anspruch, vor allem über das zu schreiben, was ethische und politische Implikationen hatte. Ihm ging es nicht um ästhetische Fragen, ob ein Haus schön sei oder gestalterisch einmalig. Sein Blick auf alles war analytisch, grundsätzlich und teils auch von einer Entschiedenheit, die – wie hier kolportiert wird – die kritisch Besprochenen die Zähne habe fletschen lassen.
Man kann die Texte nicht nur als zeitgenössische Beiträge lesen. In fast jedem tauchen Aspekte auf, die heute noch relevant sind. Was einerseits dem Schreiber und seinem generalistischen Blick zu verdanken ist, wie andererseits dem Beharrungsvermögen der Baubranche, die offenbar nichts Grundsätzliches dazulernen möchte. Ob er, wie bei Zeitgenossen behauptet wurde, dem deutschen Journalismus eine neue Gattung erfunden hat, die Architektur-Kritik, möchte man so vielleicht nicht unterschreiben. Seine Texte allerdings sind Lehrstücke für alle die, die sich um die Vermittlung der Bauwelt in die Sphären der übrigen Welt verdient machen wollen. Auch wenn – und das scheint ebenfalls immergleich – das viel Zeit kostet, „die nicht oder sehr schlecht bezahlt wird, ganz abgesehen von den Schwierigkeiten des Schreibens, die dann erst beginnt“, nämlich nach der Reise, um vor Ort zu schauen. Mit Namens- und Sachregister. Be. K.