Non Nobis … zweiter Band

„Das vorliegende Buch ist unvollständig. […] Das vorliegende Buch ist aufgrund der Komplexität der Zusammenhänge und ihrer teilweisen Kompliziertheit schwierig zu lesen. Viele Aussagen lassen ein düsteres Bild der Zukunft, ein düsteres Bild dessen erahnen, was wir heute noch nicht verstehen.“ Wer so über sein Buch urteilt, bekommt der Leserinnen? Sobek bekommt sie, die Abverkaufszahlen seines ersten Bands der Trilogie „non nobis“ haben es gezeigt. Lust am Untergang? Klares Nein von Autorenseite: „Ich sehe das vorliegende Buch als ein Hoffnung stiftendes Buch“. Wir haben es angeschaut.

Werner Sobek lehnt sich weit aus dem Fenster. Derart exponiert, lädt er uns zum Widerspruch ein. Gleichzeitig ist das Für- und Widersprechen immer auch der Anfang eines Diskurses. Man könnte auch schreiben, eines Gesprächs. Nun ist der Architekt und Ingenieur kein Dichter, er ist ein Planer. Jemand, der Zahlen liebt, denn die sind exakt, versprechen ihm Sicherheit im Subjektiven, also in der Welt des Feuilletons oder der Romanciers, die auch zum „Dämonisieren“ neigen, neigen dürfen. Aber davon später.

„Lies keine Oden, mein Sohn, lies die Fahrpläne: / sie sind genauer.“ Das schrieb vor fast 50 Jahren Hans Magnus Enzensberger und fast scheint dieser Imperativ eine Art Motto zu sein, das Werner Sobek und sein Team leitete bei der gewaltigen Aufgabe, Klarheit in den Diskurs zu bringen. Also in Rede und Gegenrede zum noch so gerade möglichen, weil dann nicht mehr ganz so geoklimaverändernden Bauen in der Zukunft.

Denn im Augenblick und ganz sicher weiterhin in den kommenden Jahrzehnten verursacht das Bauen Ressourcenverbrauch und Treibhausgasproduktion. Und damit Umweltschäden an den Entnahme- und auch Einsatzorten sowie – immer sicht- und spürbarer werdend – Naturereignisse, die wir Planetenbewohnerinnen als lebensbedrohlich ansehen müssen.

Nun ist der Autor jemand, der bis heute das Bauen begleitet, vielfach auch den Neubau, vielfach den Neubau von Häusern, deren Notwendigkeit eher aus ökonomischen als ökologischen Beweggründen resultiert. Den Hinweis darauf, dass eine effizientere Bauweise (durch Leichtbau beispielsweise) die Anzahl der Neubauten erhöhe und damit das Effizienzargument im Effekt zunichte mache, kontert (nicht nur) Werner Sobek mit dem Verweis darauf, dass uns gar nichts anderes übrig bleibe, denn Nichtmehrbauen sei unmöglich. Und man könnte hinzufügen: auch nicht gewollt, denn schließlich leben Architekten und Ingenieure sowie auch Rentenanwärter wie der Autor dieses Textes von diesem Industriezweig. Dass alle Forschungen zu einem effizienteren Bauen am Ende nicht effektiv sein können, muss dem offenbar werden, der in die Teile der Erde schaut, in denen die Menschen glauben, sie müssten unseren Baukonsum nachholen. Ein Effekt, der verständlich ist angesichts der meist prekären Lebenssitua­tionen einerseits und dem bis heute und wohl noch morgen andauernden Luxus, der sich in unserer Region im Anhäufen von BGF, der fortschreitenden Bodenversiegelung, Materialverschwendung und unreflektierten Ansprüchen etc. offenbart. Und eben in der Gewohnheit, deren Wirkmacht niemand unterschätzen sollte.

Schauen wir auf die wichtige Automobil- und Bauindustrie, deren anhaltende, systemerhaltende Subventionierung (z. B. öffentliche Infrastrukturen) über Jahrzehnte Abhängigkeiten bewusst oder unbewusst geschaffen hat, die einen Systemwechsel unmöglich machen in einem für große Teile der Menschheit noch günstigem Zeitrahmen. Die meisten Beschäftigten Westeuropas verdienen ihr Geld in der Bau- und Automobil­industrie, von denen wiederum die Dienstleis­tungsbranche, Banken, Versicherungen, Rentenanstalten oder andere, zentrale Konstituenten dieser Gesellschaft abhängig sind. Können wir das System, das Wirtschaftssystem verändern? Der Ingenieur sagt: ja, wenn wir wissenschaftsbasiert argumentieren und auf dieser Grundlage eine andere Zukunft entwickeln, die suffizienter, sozial gerechter und politisch stabiler ist.

Doch wie kann die aussehen? Nach einem mit Zahlen gespickten Durchgang durchs Vokabular der Krisenanalyse (Atomausstieg, Emissionen, Niederschläge, Dürren, Wasser als Nahrungsmittel oder Ausstiegsszenarien etc.) entwickelt der Autor in Band 2 seiner Trilogie „non nobis“ fünf Szenarien: 1. die Schaffung eines gleichen baulichen Standards für alle heute Lebenden, 2. die Schaffung eines gleichen baulichen Standards für alle zukünftig Geborenen, 3. die mit der Verlagerung der Lebensräume aus der 20/40-Grad-Zone nach Norden einhergehenden Auswirkungen für das Bauen, 4. die mit der Stabilisierung von Lebensräumen in nicht mehr ganzjährig bewohnbaren Regionen verbundenen Auswirkungen für das Bauen und 5. die mit einer Überalterung der Bevölkerung einhergehenden Auswirkungen auf das Bauen. Letzteres müsste man korrekterweise mit „… in Deutschland“ ergänzen, denn im Gegensatz zu den vier vorgenannten Szenarien schaut der Autor hier auf heimische Implika­tionen. Während Szenario 1 und 2 in Summe die Aufgaben, Anforderungen aber auch Unmöglichkeiten (Nr. 1) beschreiben, deuten Nr. 3 bis 5 eher auf eine düstere, vielleicht aber durchaus realistische Zukunftsvision: Es wird massive Wanderungsbewegungen geben; das Bauen muss sich verändern und: Wir bauen heute nicht das, was wir morgen brauchen. Können diese Szenarien Hoffnung stiften? Aus Sicht desjenigen, der das Problem auf wissenschaftlicher Grundlage anpackt: Ja. Dass diese Anpackersicht durchaus auch dafür verantwortlich ist, dass wir beispielsweise diese Verbrauchsprobleme haben, darüber ließe sich streiten. Und das sollten wir, wie auch der sich zahlennüchtern gebende Werner Sobek streitbar ist und für seine Ansichten kämpft. Auch einmal für ein Material; so sollen die von ihm geliefertern Zahlen „den Baustoff Zement in ein anderes Licht rücken und zu seiner Entdämonisierung beitragen.“ (179) Könnten sie, wenn man es unter Effizienzaspekten anschaut; können sie nicht, schauen wir auf die Effekte, die der Autor selbst prognostiziert.

Nun müssen wir warten auf den dritten und letzten Band. Bis dahin pflügen wir uns durch Zahlenberge und sollten uns selbst ein (am Ende doch immer ganz eigenes) Bild machen.

Benedikt Kraft / DBZ

www.wernersobek.com, www.avedition.de
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