Perspektiven der Planung

Staab Architekten setzten bei der Entwicklung neuer Projekte auf integrierte Planung und starke Partner. Das zeigt sich zum Beispiel auch bei der Erweiterung des Bauhaus-Archivs in Berlin. Ein Werkbericht aus drei Perspektiven.

Die Arbeit von Architekten hat sich verändert. Durch die immer komplexer werdenden Anforderungen ist eine integrierte Planung inzwischen bereits während der Wettbewerbsphase von großer Bedeutung. In unserem Büro, das die meisten Projekte durch Wettbewerbserfolge akquiriert, decken wir mit einer Vielzahl an Experten frühzeitig Themen wie Nachhaltigkeit, Digitales und Fassaden ab. Zudem arbeiten wir mit bewährten Partnern außerhalb unseres Büros zusammen, mit denen wir parallel zum Wettbewerbsentwurf das Tragwerk und das Haustechnikkonzept entwickeln, da beide zunehmend architekturbestimmend sind.

Zwei Beispiele für den integrierten Gestaltungsprozess in unserem Büro werden in diesem Heft vorgestellt: Im Projektteil der Kammermusiksaal des Casals Forums in Kronberg (S. 26) und in diesem Artikel der kleine Turm der Erweiterung und Sanierung des Bauhaus-Archivs in Berlin, dessen Genesis und begleitende Entwurfsthemen aus drei verschiedenen Perspektiven dargestellt werden – mit Fokus auf die Gestaltung, auf das Tragwerk und auf die digitale Umsetzung im Büro.

1. Volker Staab und Julia Zillich, Staab Architekten: Perspektive Gestaltung

Die Bauaufgabe

Das Bauhaus-Archiv von Walter Gropius in Berlin besitzt die weltweit umfangreichste Sammlung zur Geschichte des Bauhauses. Ursprünglich wurde es als Solitär für die Rosenhöhe in Darmstadt entworfen. Das auf den Dialog mit dem Besucher und dem umliegenden Freiraum hin angelegte Gebäudeensemble stand zum Zeitpunkt des Wettbewerbs etwas verloren am weiten Verkehrsraum der Klingelhöferstraße, flankiert von der stark befahrenen Von-der-Heydt-Straße im Norden und dem Landwehrkanal im Süden. Der angrenzende Stadtraum war in der für Berlin typischen Traufhöhe nachverdichtet worden und ließ das kleine, sorgsam komponierte Gebäude mit den präg­nanten Sheddächern nur noch unzureichend zur Wirkung kommen. Die Aufgabe, das Gebäude um ein Museum von doppelter Fläche zum Bauhaus-Archiv/Museum für Gestaltung zu erweitern, bot nun die Chance, den denkmalgeschützten Bestandsbau besser im Stadtraum zu verankern.

Der Wettbewerbsentwurf

Um das Bestandsgebäude nicht zu übertönen, wurden die Ausstellungsflächen um den abgesenkten Garten vor dem Bestandsbau in das Gelände eingebettet. An diesem neuen Innenhof liegen sich nun das Foyer des Bestandsbaus und das neue Foyer des Museums gegenüber und werden unterhalb der aufgeständerten Rampe des Bestandes zu einer neuen Einheit verbunden. Diese räumliche und organisatorische Verzahnung von Bestandsbau und Erweiterung wurde um zwei Bauteile auf dem Vorplatz ergänzt, welche die Ankunftssituation und die Sichtbarkeit des Ensembles verbessern: Einen zeichenhaften, auf elementare Gestaltungselemente reduzierten Turm, der als Eingang zum Museum dient und alle öffentlichen Angebote des Bauhaus-Archivs/Museums für Gestaltung aufnimmt, und einen flachen Riegel für das Café und den Museumsshop, der den Vorplatz im Norden fasst und vom Verkehr abschirmt. Der am Antritt der bestehenden Rampe positionierte Turm hält den Blick auf die Westansicht des Bestandsbaus frei und bietet gleichzeitig einen gut auffindbaren, von allen Seiten zugänglichen Zugang zum Museum. Im Turm sind gemäß den Kernthemen des Bauhauses die Diskurs- und Vermittlungsangebote des Hauses gebündelt: ein Studiolo zum Recherchieren, eine Lounge für Veranstaltungen und Räume für die Museumspädagogik.

Das Signet des neuen Bauhaus-Archivs

In der Frage, wie der Turm vor der markanten Silhouette des Altbaus aussehen könnte, entschieden wir uns, keine stilistischen Referenzen an die Bauhaus-Architektur zu machen, sondern vielmehr im Geiste des Bauhauses zu entwerfen – experimentierfreudig und die Themen der Zeit aufgreifend. War zur Zeit der Gründung des Bauhauses die Industrialisierung eine besondere Herausforderung für den Bausektor, so verlangt heute die zunehmende Digitalisierung des Bauens nach einem neuen gestalterischen Ausdruck.

Zusammen mit dem Ingenieurbüro Bollinger + Grohmann entwickelten wir deshalb ein neuartiges Stahltragwerk aus filigranen, leicht tanzenden Stützen, das auch die Fassade des Turmes bildet. Die außenliegenden Stützen tragen nicht nur das Gebäude, sie steifen es durch ihre leichte Neigung auch weitgehend aus, woraus entscheidende Vorteile für die Errichtung des Turms und eine größere gestalterische Freiheit bei der Konzeption des Innenlebens erwachsen. Die Verteilung und die besondere Schlankheit der Stützen ließ sich nur durch digitale Rechenmethoden ermitteln, bei denen in mehreren Schritten zahlreiche Stützenvarianten errechnet, nach gestalterischen Gesichtspunkten ausgewählt und weiter verfeinert werden.

Die Turmkonstruktion legte eine vorfabrizierte Fertigung nahe, die in enger Zusammenarbeit mit dem Tragwerksplaner und den beteiligten Firmen geplant wurde. Der Stützenkranz des Stahltragwerks wurde in Segmente zerlegt, die jeweils über mehrere Geschosse reichen. Vor Ort wurden sie in wenigen Wochen zu einem stabilen Traggerüst verbunden, in das die elementierten hölzernen Decken, Träger und Treppenkerne von oben eingehoben wurden. Anschließend wurde die rahmenlose Glasfassade geschossweise ergänzt.

So entstand ein durchlässiger, sehr feingliedriger Turm, der das Bauhaus-Archiv/Museum für Gestaltung im Stadtraum sichtbar macht und die Silhouette des Bestandbaus um ein ganz eigenes, im Geiste jedoch verwandtes Element ergänzt.

2. Christoph Gengnagel, Bollinger + Grohmann, Berlin: Perspektive Tragwerk

Konstruktionsentwicklung

Der Wettbewerbsentwurf für die Erweiterung des Bauhaus Archivs sollte als ein entscheidendes Element einen ca. 20 m hohen, fünfgeschossigen Turm beinhalten. In dem auf den Wettbewerb folgenden VgV-Verfahren für die Fachplaner waren B+G Ingenieure nicht erfolgreich. Das beauftragte Tragwerksplanungsbüro scheiterte jedoch bei dem Versuch, das Konzept des Wettbewerbs weiterzuentwickeln. Aufgrund der Bestätigung der Machbarkeit durch die Prüfingenieure für Standsicherheit Schlaich Bergermann & Partner entschied sich 2019 deshalb der Auftraggeber für eine Neuvergabe der Tragwerksplanung des Turms an B+G Ingenieure und ermöglichte damit die Fortsetzung der gemeinsamen Entwurfsarbeit von 2015. In einer intensiven Zusammenarbeit erfolgte eine  Geometrie- und Formoptimierung des Stabwerks in tragwerksplanerischer Hinsicht. Dabei spielten die Möglichkeiten eines kontinuierlichen computergestützten Entwurfsprozesses für alle Beteiligten eine entscheidende Rolle. So entstanden aus einer Vielzahl von Sensitivitätsstudien die Grundregeln für die “tanzenden” Stützen (max. 87 ° Neigung der Stützen, Ausrichtung auf vier Grundrisslinien mit einem Versatz von 45 °oder 90 ° zueinander), auf deren Basis die ­finale Weiterentwicklung des Gesamtragwerks erfolgte.

Der Wettbewerbsentwurf hatte als Deckenkonstruktion eine von Randträger zu Randträger freitragende vorgespannte Stahlbetonplatte vorgesehen. In der weiteren Bearbeitung wurde dieser Konstruktionstyp aus verschiedenen Gründen in Frage gestellt: Neben den Bedenken des Einsatzes einer Stahlbetonflachdecke für ein Bauwerk, das einen Beitrag zu Fragen des Bauens der Zukunft leisten solltet, zeigten vor allem die multimodalen Anforderungen aus Bauphysik, Schwingungsverhalten sowie baukonstruktive Notwendigkeiten die Schwächen dieses Ansatzes. Durch den gedanklichen Sprung zum Werkstoff Holz als Material für die Deckenkonstruktion konnte die Mehrheit dieser Fragen auf einfache Weise gelöst werden. Zugleich war die Basis für eine elementierte hochpräzise Bauweise geschaffen. Sie ermöglichte, die komplexen Anforderungen an den Übergang von Decke zum Randträger, von der inneren zur äußeren Tragstruktur und den Anschluss der großflächigen Fassade in einem konstruktiven System mit klarer Gestaltungssprache zu lösen. Eine weitere wichtige Entwurfsentscheidung war die Interpretation des Haustechnikschachts als Trag­element. Mit der Ausbildung der Schmalseiten des Schachts als Holzstützen entstand die Möglichkeit der Einführung eines Querträgers als Zangenkonstruktion. Der Querträger reduzierte die Spannweiten der Deckenplatten auf 7 m und ermöglichte den Einsatz 1-achsig gespannter Brettsperrholzplatten. Zugleich konnten damit die Öffnungen für den Aufzug und das Treppenbauwerk ebenfalls auf einfache Weise realisiert werden. Zudem wurde durch den Materialwechsel für die Deckenkonstruktionen das Eigengewicht des Gesamttragwerks deutlich reduziert und damit das Erreichen des Entwurfsziels der “tanzenden” schlanken Außenstützen ermög­licht. Weitere wichtige Aspekte des “Neuentwurfs” waren die Nachweise einer kurzen Montagezeit des Turms. 

Ausführung und Realisierung

Für die Realisierung der anspruchsvollen Stahl- und Holzbaukonstruktion konnte nach einem langwierigen Ausschreibungsprozess die Firma Zeman mit dem Nachunternehmer H. & R. Quappe gewonnen werden. Beide Unternehmen zeigten in der finalen Entwicklung in der Werk- und Montageplanung ein hohes Engagement und ermöglichten damit eine reibungslose Montage und ein sehr schönes Endergebnis des Gesamtprozesses. Dabei erwiesen sich das vollständige para­metrische Datenmodell der Struktur und die damit verbundenen halbautomatischen Nachweisroutinen als entscheidender Vorteil. So war die mehrfache Anpassung von Querschnitten und Werkstoffgüten des Stahltragwerks aufgrund sich verändernder Lieferbedingungen problemlos möglich. Gleichzeitig diente das gemeinsam genutzte Geometriemodell der Arbeitsvorbereitung des Holzbaus und des Fassadenbaus für eine fehlerfreie Zusammenarbeit. Ebenso konnten auf dieser Basis Schablonen erzeugt werden, die Lage, Neigung, Anschnittfläche und Winkel zwischen den Stützen und den Randträgern zur Vorfertigung der Stahlmodule präzise bestimmten. Nach einer Testmontage im Werk wurden die Elemente zur Baustelle transportiert und beeindruckend reibungslos vor Ort montiert.

3. Jamie Queisser, Staab Architekten:

Perspektive digitale Umsetzung im Büro

Algorithmisches Entwerfen – Möglichkeiten und Praxis

Bei Staab Architekten nutzen wir algorithmisches Entwerfen als eine Methode, um unsere Entwurfs­ideen zu präzisieren. Dafür übersetzen wir diese projektspezifisch in Algorithmen und Skripte. Diese Algorithmen sind in der Lage, basierend auf den konzeptionellen Vorgaben verschiedene Entwurfsvarianten zu generieren. Der Schwerpunkt liegt hierbei weniger auf der Ausformulierung einer einzelnen Variante als auf der Entwicklung und Präzisierung der Logik, die dem Entwurf zugrunde liegt.

Ein iterativer Prozess spielt dabei die zentrale Rolle: Entwerfer und Algorithmus arbeiten in einem kontinuierlichen Dialog zusammen. Die Entwurfslogik wird durch Feedback, Erfahrung und Intuition der Entwerfenden ständig weiterentwickelt und verfeinert, wodurch ein dynamischer Austausch zwischen analogen und digitalen Praktiken entsteht. Diese Arbeitsweise ermöglicht es uns, komplexe Zusammenhänge im Prozess abzubilden und zusätzliche Anforderungen z. B. aus der Tragwerksplanung, Normen oder Fabrikationsparameter, frühzeitig zu integrieren.

Die Einsatzmöglichkeiten reichen von der Handhabung komplexer Geometrien und „mass-customization“ (Definition einer große Menge an individualisierten Bauteilen) bis zur Anordnung von Elementen nach spezifischen Regelwerken und der Optimierung gestalterischer und funktionaler Kriterien. Um diesen digitalen Ansatz zu fördern, haben wir eine spezialisierte Gruppe etabliert, die die Entwurfs- und Planungsteams bei spezifischen Aufgaben unterstützt. Mit umfassenden Programmierkenntnissen und Expertise verbindet dieses Team algorithmisches Denken mit klassischen Entwurfsprozessen und fördert so die Integration beider Welten.

Bauhaus Archiv/Museum für Gestaltung

Ein Beispiel für diese Arbeitsweise ist – neben dem Entwurf des charakteristischen Turms –die reliefierte Betonfertigteilfassade des Riegelgebäudes auf dem Vorplatz des Bauhaus-Archivs/Museums für Gestaltung. Die Fassade wurde mit einem feinen Relief aus vorgefertigten Betonfertigteilen gestaltet, das durch verschiedene Steg- und Sickenbreiten eine markante Struktur erzeugt. Da die Maße der Fertigteile bereits feststanden, war eine präzise Abstimmung der ­gestalterischen Regeln für das Relief erforderlich. Ein definiertes Regelwerk legte fest, welche Maße und Formen sich wie oft wiederholen dürfen, damit das Relief über die gesamte Fassade hinweg harmonisch wirkt und ohne auffällige Wiederholungen auskommt. Die Übergänge zwischen den Elementen – ob an Außen- oder Innenecken – mussten dabei exakt aufgehen.

Um den Herstellungsprozess wirtschaftlich zu gestalten, war die Minimierung der Gussmatrizen entscheidend. Die Planung erfolgte in enger Abstimmung mit der herstellenden Firma, die ihre Fabrikationsbedingungen in den Prozess einbrachte. Es wurde das Ziel gesetzt, nur eine Matrize für das breiteste Element zu verwenden und diese so zu gestalten, dass sie auch die Reliefstruktur und Anforderungen der kleineren Elemente abbilden kann. Diese Randbedingungen wurden durch einen Algorithmus dargestellt, der die Frage berechenbar machte und versuchte, alle Anforderungen mit einer Matrize zu lösen. Es stellte sich dabei heraus, dass mindestens zwei Matrizen nötig waren. Angesichts der ursprünglich geplanten 100 individuellen Matrizen erreicht man so jedoch immer noch eine deutliche Reduktion.

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