Das Wagnis ins Reale geführt: Der neue Eingangsturm am Bauhaus-Archiv, Berlin

Manchmal möchte man einfach mehr. Einmal an die Grenzen gehen, aber ohne hinter ihnen abzustürzen. Als sich das Berliner Büro Staab Architekten 2015 am nichtoffenen Wettbewerb „Bauhaus-Archiv / Museum für Gestaltung, Berlin Mitte“ beteiligte (vorgeschaltetes Bewerbungsverfahren mit Losung sowie eingeladenen Büros), wollte Volker Staab zusammen mit den Tragwerksplanern von Bollinger+Grohmann, Berlin, das Potenzial einer Konstruktion ausreizen mittels computerbasierten Entwurfsvarianten. Dabei ging es ganz speziell um ein Entwurfsteil aus dem Gesamtentwurf, den gläsernen „Eingangsturm“.

Blick auf die Baustelle und das transparente Stahltragwerk
Foto: Marcus Ebner, Berlin

Blick auf die Baustelle und das transparente Stahltragwerk
Foto: Marcus Ebner, Berlin

Dieser Eingangsturm könne – wie im Ergebnisprotokoll des Wettbewerbs im November 2015 festgehalten – „durch seine freie Stellung Besucherströme aus allen Richtungen aufnehmen“ und sei „eine eindeutige Antwort auf die schwierige Adressbildung und Orientierung des Grundstücks“. Er besteche – trotz der in der Jury kontrovers diskutierten „zurückhaltende(n) Größe“ – „durch seine Leichtigkeit und seine experimentelle Bauweise, was als hervorragender Beitrag zur Weiterentwicklung der Idee Bauhaus gesehen wird.“  Das mit der experimentellen Bauweise stimmt insofern, als das Architekt:innen und Ingenieur:innen hier in acht bis zwölf Varianten erstmals etwas ausprobierten, wie oben schon einleitend geschrieben (Potenzial ausreizen) und das zugleich „ohne jedes Vorbild“ sei, so jedenfalls Prof. Dr. Ing. Christoph Gengnagel, Partner bei Bollinger+Grohmann Büroleiter Berlin im Gespräch. Christoph Gengnagel war wesentlich in die ersten Skizzen und Überlegungen zum Turmprojekt involviert.

Warum aber über den Turm schreiben, der nur ein Teil der Arbeit des Büros Staab Architekten zur Erweiterung und Sanierung des Bestands an der Klingelhöferstraße ist? Vielleicht, weil man damals, als der Wettbewerb und die ersten Bilder davon veröffentlicht wurden (so natürlich auch in der DBZ, 12 | 2015), nicht glauben wollte, dass dieser Turm, der tatsächlich überall das erste Bild war, jemals würde so realisiert werden. Derart ­filigran, derart transparent, mit einer irgendwie wohl tragenden Treppenkonstruktion, die aber später ganz anders aussehen soll. Wie auch die Fassade, mit ihren bis zu 152 Stäben je Geschoss. Sonnenschutz? Geste? Ein Bauhauszitat, das sich nicht erschließt auf den ersten Blick? Immerhin, es gab ein renommiertes Tragwerksbüro im Entwurfsteam, die würden sich schon etwas dabei gedacht haben. Hatten sie auch, aber zunächst kam es anders.

Das Stahltragwerk steht und dient ­zunächst als Einhausung für den ­Innenausbau
Foto: Benedikt Kraft / DBZ

Das Stahltragwerk steht und dient ­zunächst als Einhausung für den ­Innenausbau
Foto: Benedikt Kraft / DBZ

Wie üblich schloss sich dem Wettbewerbsgewinn ein VgV-Verfahren an, Bollinger+Grohmann kamen hier nicht zum Zuge. Das beauftragte Tragswerksplanerbüro übernahm das Designkonzept, führte Gespräche mit den Vorgängern. Dann gab es Verstimmungen, die Feinheit des ersten Entwurfs geriet unter die Räder der Zweifler: Geht das überhaupt? Der Projektleiter des Prüfbüros schlaich bergermann partner, Thomas Schoknecht, darauf nur: Warum soll es nicht gehen?! Die Tragwerksplaner setzten auf mehr Sicherheit, beispielsweise auf massivere Stützen. Doch wie kann man im Ergebnisprotokoll des Wettbewerbs – Empfehlung des Preisgerichts an den Auslober – vom November 2015 lesen: „Der Brandschutz und die Konstruktion des gläsernen Turms sind zu prüfen, ohne die Leichtigkeit und Nutzbarkeit preiszugeben.“ Zwei, drei Jahre wurde getüftelt und die Leichtigkeit des Turms war hinüber. Die Vergleichsberechnungen des Prüfbüros zeigten, dass der Entwurf so wie im Wettbewerb beschrieben, mit den schlanken Stützen und auch ohne Fassadenpfosten, machbar ist. Man trennte sich, Bollinger+Grohmann setzten dort wieder ein, wo sie aufgehört hatten.

Holz und Stahl: ein rundes Konzept

Und arbeiteten weiter. So sollten die Betondecken wie auch der Treppenturm nun in Holz ausgeführt werden! Was auf den ersten Blick wie eine Tempoverschärfung in Sachen Risiko aussieht, machte aber durchaus Sinn: So war ja das äußere Gerüst, der etagenweise gestapelte Säulenwald, die eigentlich tragende Konstruktion. Die Holzdecken – Träger aus Baubuche mit Brettsperrholzplatten – sind deutlich leichter und machen zusammen mit der hölzernen Treppe das hybride Konzept rund.

Der fünfgeschossige Turm – der Willkommens­turm – steht auf einem Stahlbetonsockel, der einen Hof bildet, von dem aus über eine innenliegende, zum Hof hin verglaste Rampe der Altbau erschlossen wird. Der Sockel ist damit das Fundament des Turms. Die Stahlrohrstützen mit einem Durchmesser von gut 101 mm und Rohrwandstärken von 8 bis 30 mm, teilweise auch als Vollprofile je nach Position und damit Belastung, sind so angeordnet, dass sie je Geschoss und Seite nicht nur eine „leichte Scheibentragwirkung“ entfalten können, sondern der gesamte Turm als räumlich tragende Struktur das Gebäude horizontal ausgesteift. Durch die unterschiedlichen Schrägstellungen jeder einzelnen Stütze wird dieser Trageffekt wesentlich unterstützt in der Raumtiefe der Fassadenkonstruktion insgesamt. Die unterschiedliche Geschosshöhe ist allein den entwerferischen Zielen der Architekten geschuldet.

Das Bauhausarchiv ist umgezogen, am leergezogenen Ort steht nun ein temporärer Schauraumturm, der das Projekt und die Baustelle erläutert
Foto: Benedikt Kraft / DBZ

Das Bauhausarchiv ist umgezogen, am leergezogenen Ort steht nun ein temporärer Schauraumturm, der das Projekt und die Baustelle erläutert
Foto: Benedikt Kraft / DBZ

Die Stützen, die außerhalb der eigentlichen Glasfassade stehen, sind zu sogenannten „Montagemodulen“ zusammengefasst, deren Größe sich vor allem aus den Transport- und Montagebedingungen seitens der ausführenden Firma ergab. Über ergänzende Schraubverbindungen werden die Module dann nach ihrer Verschraubung mit dem horizontalen Kastenträger zu einer Einheit verbunden. Der Träger ist trapezförmig im Schnitt und mit seinen innenliegenden Schotten zu einer biegesteifen Einheit geformt. Die Deckenkonstruktion besteht aus Brettsperrholzplatten, die thermisch getrennt indirekt auf Randträger und einem Zangenträger aus Baubuche vor dem Treppenhaus gelagert sind. Die Durchlaufsysteme der Baubuchenträger sind auf dem Randträger und zwei Holzinnenstützen gelagert. Sie flankieren einen schlanken Versorgungsschacht, der der Treppenanlage vorgelagert ist. An ihrer Seite ist ein freistehender Aufzug als eine Stahl-Glaskonstruktion angeordnet.

Realisiert wie im ersten Rendering

Für dieses besondere Bauwerk entschied sich der Bauherr nicht für eine getrennte Ausschreibung der Stahl-Glas-Holzkonstruktion, sondern auch für einen vorgezogenen Teilnehmerwettbewerb für die Ausschreibung und Vergabe des Turmbauwerks. Diese Entscheidung führte zur Beauftragung der Firma Zeman, mit den beteiligten Firmen waagner biro und Quappe. Für diese wiederholt mutige und weitsichtige Entscheidung muss man den Bauherrn ausdrücklich loben und kann deren Richtigkeit auch jetzt schon an der ausgeführten Genauigkeit und Qualität erkennen.

Auffällig ist vielleicht noch die 1 m unter die Traufe abgesenkte Dachfläche. In diesem Volumen wird die Haustechnik untergebracht und – „wenn es denn nötig sein wird“, so Christoph Gengnagel, ein Schwingungstilger. Erste Messungen sollen hier die Berechnungen stützen, die den Betrieb des Turms auch ohne eine solche Apparatur störungssicher darstellen.

Dass wir im Augenblick eine Art von Einhausung vorfinden, hat sich schnell im Entwurfsprozess als by the way-Idee entwickelt: Indem man zuerst die Tragkonstruktion komplett errichtet, hat man eine geschlossene Baustelle, die nicht bloß wegen des vielen Holzes, das verbaut wird, Vorteile hat. Auch ermöglicht das Planengehäuse einen schnelleren Innenauf- und -ausbau. Dass wir so allerdings das Konstruktionswunder nur erahnen können, ist eher nebensächlich. Baustellenfotos (wie hier das von Marcus Ebener) deuten schon mal an, dass Staab Architekten zusammen mit Bollinger+Grohmann, Berlin, den filigran gedachten Turm tatsächlich auch so werden realisieren können, wie es die frühen Renderings aus dem Entwurf zeigen. Be. K.

www.staab-architekten.com, www.bollinger-grohmann.com

Projektdaten

Planungsbeginn: 2016

Baubeginn: 2019

Geplante Fertigstellung: 2024

BGF Neubau: 6 700 m²

BGF Bestand: 3 500 m²

Bauherr: Land Berlin

Architekten: Staab Architekten, Berlin

Tragwerksplanung Turm: Bollinger+Grohmann, Berlin

Glasfassade: arup, Berlin

Landschaftsarchitektur: Levin ­Monsigny Landschaftsarchitekten

x

Thematisch passende Artikel:

Ausgabe 12/2015

Staab baut Bauhaus-Archiv Berlin weiter www.bauhaus.de, www.staab-architekten.com

Die Diskussion war ausführlich, das Votum einstimmig: Der im Juni 2015 von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt ausgelobte, nichtoffene Wettbewerb „Bauhaus-Archiv / Museum für...

mehr

Staab Architekten gewinnen Architekturwettbewerb

Am 22. Oktober 2015 entschied die Jury für einen "fast zarten", gläsernen Turm

Die Diskussion war ausführlich, das Votum einstimmig: Der im Juni 2015 von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt ausgelobte nichtoffene Wettbewerb „Bauhaus-Archiv / Museum für...

mehr

Großer BDA-Preis für Volker Staab

Der Berliner Architekt erhält renommierte deutsche Architektenehrung

Der Architekt Volker Staab erhält 2011 den Großen BDA-Preis. Das entschied eine unabhängige Jury in Berlin. Der Bund Deutscher Architekten BDA würdigt mit seinem renommierten Preis das besondere...

mehr

Volker Staab: Müssen die Museen neu erfunden werden?

Ein Vortrag im Mainzer Gutenberg-Museum am 14. Juli 2016, um 19.30 Uhr

Müssen die Museen neu erfunden werden? – mit dieser Frage beschäftigt sich Professor Volker Staab in seinem Vortrag, zu dem das Gutenberg-Museum am Donnerstag, 14. Juli 2016, um 19.30 Uhr...

mehr
Ausgabe 05/2023

Staab Architekten: 10 Jahre, 5 Orte, 5 Museen

Bereits 2008 gewannen Staab Architekten den Wettbewerb zur Realisierung des Kunstmuseums Ahrenshoop, eines Neubaus bei der Künstler­kolonie am gleichnamigen Ort, etwa 30 km nordöstlich von Rostock...

mehr