Raum sucht Nutzung
DBZ Heftpartner weberbrunner architekten Zürich und Berlin
Vermutlich hätten wir vor zehn Jahren noch beim Thema Umbau über eine eigene Sparte im architektonischen Schaffen gesprochen. Zu dieser Zeit galt der Neubau als die Regel und damit auch als Königsdisziplin, während Umbauprojekte eher aus Mangel an Zeit und Budget unter geringer Beachtung realisiert wurden. Denkmalschutz oder andere Umstände, die keinen Neubau zuließen, führten damals noch zu sehr projektspezifischen Planungsprozessen und galten damit als Sonderfall. Rückblickend auf die Baugeschichte war die Weiterverwendung von Gebäuden und die Wiederverwendung von Baumaterialien über Jahrhunderte jedoch bewährte Praxis. Erst die Moderne hat dann, begünstigt durch die Industrialisierung, Standardisierung und günstige Energie, Neubauten ins Zentrum der Baukultur gerückt und dabei die Tradition des Erhaltens und Wertschätzens unterbrochen. Die Überzeugung war: Ein Neuanfang ist die beste Lösung für einen guten Ort. Diese Betrachtungsweise ignoriert jedoch die planetaren Grenzen, denn seit 2015 übersteigt die Nachfrage nach mineralischen Primärstoffen das noch verfügbare Angebot. In Deutschland wurden dieses Jahr bereits am 2. Mai so viele Ressourcen verbraucht, wie die Erde innerhalb eines Jahres für die Bundesrepublik regenerieren und zur Verfügung stellen kann. Zudem verursacht die Bauindustrie aktuell 55 Prozent des gesamten Abfallaufkommens – vor allem durch nicht sortenreinen Rückbau. Aus ökologischen Gründen können wir uns den Luxus von Neubauten nicht mehr leisten. Der Umbau und die Wiederverwendung von Ressourcen sind zu einem neuen Normal geworden.
DBZ Heftpartner weberbrunner
architekten, Zürich/Berlin
Foto: Jan Ahenberg/DBZ
Der Begriff „Umbau“ bezeichnet im Bauwesen klassischerweise die bauliche Veränderung eines bestehenden Gebäudes. Wenn wir den Begriff jedoch etwas weiter fassen, ist jede Art von Transformation enthalten, die in einer baulichen Intervention steckt: Das Vorhandene bildet die Ausgangslage des Prozesses und erfordert eine sorgfältige Analyse. Welche Eigenschaften und Qualitäten hat ein Gebäude, in welchem Zustand befinden sich die Räume sowie die Bausubstanz, wo liegen die Potenziale und welche Geschichten sind Teil des Ortes? Diese Bestandsaufnahme bildet die Grundlage für jedes Umbauen und eröffnet wichtige Handlungsfelder innerhalb des Berufsbildes der Architektur.
Bei Umbauvorhaben sind präzise Zustandsaufnahmen, Analysen und Potenzialabschätzungen der Weg zum Ziel. Je genauer der Bestand qualitativ erfasst ist, desto präziser und umsichtiger kann ein späteres Nutzungskonzept und Raumprogramm abgestimmt werden. Zustands- und Potenzialanalysen sind im Planungsalltag bei weberbrunner wesentlicher Bestandteil des planerischen Prozesses. Dabei werden nicht nur spezifische Erkenntnisse zur jeweiligen Aufgabe gewonnen, sondern auch Zusammenhänge aus der Baugeschichte und historischen Konstruktions- und Materialwahl sichtbar, die oft Innovationen fördern.
Die mit dem Umbau verbundenen Prozesse stellen heute einen Paradigmenwechsel im planerischen Denken dar. Früher richtete sich die Gestaltung von Räumen meist nach normierten Nutzungsvorgaben. Heute stehen vorhandener Raum und bereits verwendetes Material am Anfang und damit im Mittelpunkt der Planungs- und Entscheidungsprozesse, während die Nutzung daraus folgt. Der Gestaltungsprozess wird komplexer, denn er erfordert ein Zusammenspiel zwischen dem vorgefundenen und den Anforderungen der Nutzung. Die resultierenden Räume sind nicht nur ressourcenschonender, sondern auch durch ihre eigene Geschichte spezifischer und identitätsstiftend.
„Früher konnten wir uns den Neubau aus ökonomischen Gründen nicht leisten, heute können wir es aus ökologischen Gründen nicht mehr.“ Diese Aussage bringt auf den Punkt, vor welchem Wandel die Bauindustrie steht. Der Umbau bestehender Strukturen und die sorgfältige Wiederverwendung von Materialien sind nicht mehr nur eine alternative Herangehensweise, sondern ein imperativer Schritt, um die Ressourcen unseres Planeten zu schonen und nachhaltige Architektur zu entwerfen.
Die Herausforderung besteht darin, die Vielfalt und Komplexität des Bestands zu verstehen und in kreative Lösungen zu übersetzen. Jedes Umbauprojekt erzählt eine Geschichte, die es zu verstehen und zu respektieren gilt. Es erfordert ein feines Gespür für die Eigenheiten des Bestands und die Fähigkeit, diese in eine zeitgemäße Gestaltung zu integrieren. Dabei geht es nicht nur um die Erhaltung von Gebäuden, sondern auch um die Schaffung neuer Werte und Identitäten durch behutsame Interventionen.
In einer Zeit, in der die Ressourcen knapp sind und die Umweltbelastung steigt, gewinnt die Umbaukultur an Bedeutung. Sie steht für einen bewussten Umgang mit dem Vorhandenen und eine nachhaltige Nutzung im Kreislauf der Ressourcen. Der Umbau ist nicht nur eine architektonische Aufgabe, sondern eine gesellschaftliche Verantwortung, die es gilt, mit Weitblick und Kreativität anzunehmen. Es ist an der Zeit, den Umbau als zentrales Element der zeitgenössischen Architektur zu begreifen und ihm die Wertschätzung zukommen zu lassen, die er verdient.