Reduce, Reuse, Recycle

DBZ Heftpartner Christian Hertweck und Anita Eyrich, Eyrich-Hertweck Architekten, Berlin

„Mein Gott, hast Du mich erschreckt!“
„Ich wohne hier…!“
„Aber doch nicht jetzt, um diese Zeit.“

(aus: Loriot „Pappa ante Portas“)

In Loriots Komödie trifft der plötzlich frühpensionierte Einkaufsdirektor Heinrich Lohse im Wohnzimmer seine überraschte Ehefrau Renate, die ihn hier wochentags nicht erwartet.

DBZ Heftpartner Anita Eyrich und Christian Hertweck, Eyrich-Hertweck Architekten, Berlin
Foto: Benedikt Kraft/DBZ

DBZ Heftpartner Anita Eyrich und Christian Hertweck, Eyrich-Hertweck Architekten, Berlin
Foto: Benedikt Kraft/DBZ

Reduce

Schauten wir heute, gut 30 Jahre später, noch einmal in die großbürgerliche Filmvilla im Berliner Grunewald, böte sich wahrscheinlich folgendes Bild: Renate und Heinrich bewohnen das Haus nur noch zu zweit oder einer von beiden alleine, nachdem Sohn Dieter ausgezogen ist. Das ist einer der Hauptgründe, warum sich die statistische Wohnfläche seit dem Filmjahr 1991 von 34,9 m2 und 1,8 Räumen pro Kopf auf heute 47,7 m2 und 2,3 Räumen erhöht hat [In: Pressemitteilung Nr. N041 - 2023 des Statistischen Bundesamts].

Das Lohse‘sche Haus würde auch andere Optionen bieten: Frührentner Heinrich könnte im Erdgeschoss ein Start-up für im Keller handwerklich hergestellten Senf aufmachen, Renate mit ihren kulturbeflissenen Freundinnen eine Senioren-WG mit regelmäßigem Salon etablieren. Sohn Dieter böte das Haus Platz für eine Patchwork-Kommune mit den aktuellen und verflossenen Freundinnen, die er im Film immer wieder vorstellt – oder er könnte einfach einen Teil vermieten.

Alle diese Szenarien reduzieren im Bestand die pro Person verbrauchte Fläche und wären für die Bewohnerinnen und Bewohner sicher eine größere Bereicherung als die statistisch wahrscheinliche erste Variante. Jeder bewohnte Quadratmeter in Gebäuden führt zu höherem Energieverbrauch, muss beleuchtet, beheizt, mit Bodenbelag versehen und möbliert werden. Die große Villa oder ein Geschosswohnungsbau mit flexibel nutzbaren Grundrissen bieten viele Möglichkeiten der Nutzung, des Zusammenlebens. Die meisten Einfamilienhäuser, deren Anteil am Gesamtbestand aller Wohngebäude seit der Entstehung des Films von 60 % auf knapp 70 % [ebenda] gestiegen ist, bieten kaum Chancen, in anderer Weise genutzt zu werden, als ihre auf die Kleinfamilie zugeschnittenen Räume es vorgeben. Und zur eigentlichen Fläche des Hauses ­kommen die Flächen für Erschließungsstraßen und Infrastrukturen [In: Umweltbundesamt zur Wohnfläche, 17. 11. 2023], die bei dieser am wenigsten dichten Bauweise am ineffizientesten sind.

Wir müssen also damit aufhören, immer neue Exemplare dieser monofunktionalen Häuser zu bauen und es schaffen, den großen Bestand denen zur Verfügung zu stellen, die ihn optimal nutzen.

Reuse

„Bis in die 50er-Jahre des 20. Jahrhunderts kamen so gut wie keine durch Wohngifte belasteten Baustoffe zum Einsatz. Holz, Lehm, Ziegel, Natursteine, Stroh, Schilf, Kalk sind zum Beispiel für die menschliche Gesundheit unbedenkliche Materialien.“ [In: Denkmalpflege und erneuerbare Energien - Landesdenkmalamt Baden-Württemberg 2020]

„Reuse“ könnte einfach bedeuten, diese Materialien wieder – wie früher – zu verwenden anstelle vieler synthetischer Materialien, die heute beim Bauen zum Einsatz kommen. Von ihrem Wert für die Wohngesundheit abgesehen, eignet sich diese Liste sehr gut für die ressourcenschonende Wiederverwendung: erneuter Einbau in Gebäuden, wie Holzbalken oder Natursteine, Auflösen und Neu-Anmischen von Lehmbauteilen oder durch Kompostieren vom Stroh und Schilf.

Dass man gebrauchte Bauteile als Ganzes in neuen Häusern wiederverwendet, ist bis heute eher die Ausnahme. Viele Schwierigkeiten stehen dem im Weg – von der räumlichen Verteilung und Verfügbarkeit der Bauteile bis zu Zertifikats- und Gewährleistungsfragen. Trotzdem gibt es viele sinnvolle Ansätze – Zirkuläres Bauen und Urban Mining sind aktuell viel diskutierte Schlagworte. Sprossenfenster und Fischgrätparkett der Lohse’schen Villa wären bei historischen Baustoffhändlern sicher heiß begehrt. Das hat zum kleinsten Teil mit ihrem Materialwert, zum größten Teil mit ihrer gestalterischen Qualität zu tun.

Recycle

Auch bei Räumen und Gebäuden fällt Wiederverwenden, Weiterverwenden, Umnutzen, Umbauen leicht, wenn diese uns neben einer rationalen auch auf einer intuitiven Ebene ansprechen. Die Herausforderung an uns als Architekten ist es, beim Entwerfen neben den funktionalen und technischen Aspekten auch diese Ebene mit zu bedenken und zu gestalten – um auch dadurch die Nachhaltigkeit unserer Bauten sicher zu stellen. Dann haben Gebäude eine gute Chance, in einer neuen Form von Recycling – also in Kreisläufen von Umnutzung und Anpassung – über viele Generationen zu bestehen.

Statt „Das ist mein erster Ruhestand. Ich übe noch.“ könnte Heinrich Lohse dann sagen: „Das ist meine erste Umnutzung, ich plane schon weitere.“

Heftpartner

Anita Eyrich studierte Architektur an den TU in Berlin und Darmstadt. Nach ersten Arbeiten bei Höger Hare Architekten in Berlin führte sie von 2001 bis 2004 mit Thomas Höger das Büro Höger + Partner Architekten. In den Jahren 2011–2012 arbeitete sie in einer Projektpartnerschaft zusammen mit Susanne Scharabi. 2021 wurde Anita Eyrich in den BDA Berlin berufen.

Christian Hertweck absolvierte sein Architekturstudium an der TU Darmstadt. Nach seiner Arbeit als Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Fachgruppe Stadt (Lehrstuhl von Prof. Thomas Sieverts) wechselte er zu Architekten Gössler nach Berlin. Von 2006 bis 2007 war Christian Hertweck als Architekt bei Sauerbruch Hutton tätig. Es folgte die Gründung des Büros CHe – architektur mit Sitz in Berlin und Mannheim. 2021 wurde er in den BDA Berlin berufen und hatte 2022 eine Gastdozentur an der FH Erfurt inne.

Das Architekturbüro Eyrich-Hertweck Architekten gründeten die beiden 2012. Ziel ihrer Zusammenarbeit ist es, durch intelligente räumliche Eingriffe die Grundrisse in Bezug auf räumliche Großzügigkeit, Belichtung und Funktionalität zu optimieren. Für ihre Projekte „Tetris-Adlershof – Mietwohnungsbau in zwei Abschnitten” und „Glashütte Alt-Stralau – Wohnen im Denkmal” gewannen sie den German Design Award 2018 und 2020 in der Kategorie Architektur.

www.eharchitekten.de

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