Neues Zentrum im Hafen

Stadhuis Den Helder, NL

Die Stadt Den Helder verlagert ihr öffentliches Leben in den Hafen. Neben Restaurants, Cafés, einem Museum und einem Konzerthaus zogen im Jahr 2023 auch das Rathaus und die Stadtverwaltung um. Office Winhov aus Amsterdam und Van Hoogevest Architecten aus Amersfoort haben dazu für zwei ganz verschiedene Bestandsgebäude der Werft eine gemeinsame Sprache gefunden. 

Es fühlt sich ein bisschen wie eine Reise ans Ende der Welt an, in die kleine Stadt Den Helder zu reisen, die am nördlichsten Zipfel der Halbinsel Nordholland an der Nordseeküste liegt. Die Endstation nutzen Zugreisende, um die Fähre auf die niederländische Insel Texel zu nehmen. Die überschaubare, aber belebte Innenstadt zieht sich vom Bahnhof bis zur historischen Werft im Hafengebiet Willemsoord, wo einige historische Schiffe und das Marinemuseum diese Geschichte bezeugen. Die Werft entstand ursprünglich um 1800 als Teil einer Festung entlang der Küste im Auftrag von Napoleon Bonaparte. Aus den darauffolgenden Jahrzenten stammen die bis heute bestehenden Bauwerke, wie die Mastwerkstatt und zwei Trockendecks. Die Königliche Marine hatte hier seit 1882 einen Stützpunkt, bis sie 1995 weiter östlich in den Neuen Hafen von Den Helder zog. Erst seitdem ist der Hafen öffentlich zugänglich und konnte schrittweise entwickelt werden.

Das Zentrum in den Hafen gerückt

Bereits in den 1990er-Jahren verfolgt die Gemeinde Den Helder einen städtebaulichen Entwicklungsplan, der auf die sinkende Einwohnerzahl und den fehlenden städtischen Zusammenhang reagierte. In dem Zuge wurden weitgehend alle Nachkriegsbauten rund um den im Zweiten Weltkrieg stark bombardierten Hafen ausgelöscht und durch schicke Neubauten mit Ziegelfassaden ersetzt, die das beschauliche Altstadtbild wieder herstellen. Es war ein längerer Prozess, sukzessive alle öffentlichen Einrichtungen der Stadt nach Willemsoord zu verlagern. Seinen Abschluss bildete 2023 der Umzug des Rathauses.

Bis zur Fertigstellung der Umbauprojekte im Jahr 2023 war das Rathaus und die Stadtverwaltung von Den Helder auf drei Standorte aufgeteilt, auf das historische Rathaus, das schon seit längerer Zeit zu wenig Platz bot, und zwei umgewidmete Gebäude, von denen eines 15 Kilometer außerhalb der Stadt lag. Für die Zusammenführung der Verwaltung mit rund 400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auf dem Areal der ehemaligen Marinewerft lobte die Stadt einen 2-stufigen Wettbewerb aus, aus dem der gemeinsame Entwurf von Office Winhov und Van Hoogevest Architecten als Sieger hervorging. Erstere hatten bereits das Rathaus von Leiden in ihrem Portfolio, letzte hatten sich in Bezug auf Denkmalsanierungen mit dem Rijksmuseum in Amsterdam profiliert. Ihr Entwurf setzte auf die funktionale Verbindung der Gebäude sowie auf die Öffnung des denkmalgeschützten Gebäudes, das von einer breiten Innenstraße für Besucherinnen erschlossen werden sollte.

Gegenstand der Umbaumaßnahmen sind zum einen ein denkmalgeschütztes Hallenbauwerk von 1826 (Gebäude 66), das als Mastwerkstatt diente und aus einer mächtigen Holzkonstruktion mit Ziegelfassaden errichtet ist. Zum anderen die ehemalige Seilerei (Gebäude 72), ein Nachkriegsbauwerk mit Stahlbetonskelett und Fassadenfeldern aus roten Ziegeln. Beide Gebäude dienten der Versorgung des Trockendecks. So unterschiedlich beide Werkstattgebäude auch sind, den Architekten sei es darum gegangen, eine Gestaltung zu finden, die den Charakter beider Gebäude hervorhebt und sie mithilfe subtiler Verweise verbindet, sagt der Architekt Dominique de Rond von Office Winhov vor Ort.

Offene Halle mit vielen Funktionen

Die 1-stöckige ehemalige Mastwerkstatt eignete sich als 4-schiffige Halle gut für die Unterbringung der öffentlichen Nutzungen, wobei sich die Herausforderung stellte, das neue Raumprogramm mit der geschützten Substanz zu vereinen. Die Raumaufteilung unternahmen die Architekten mit Trockenbauelementen. Dabei orientierten sie sich an den vier Achsen der Halle und ließen alle Holzstützen sichtbar. Während die Außenwände der Halle roh und ungedämmt bleiben, sind die neuen Wandelemente von einem hohen gestalterischen Anspruch geprägt. Als Inspiration diente eine aus der früheren Nutzung noch erhaltene Holzkabine für Werkstattleiter, die sich aus dünnen Wänden und filigranen Sprossenfenstern zusammensetzte. Daran angelehnt kommen nun schmale, vor- und rückspringende Holzlamellen zum Einsatz, die nebenbei eine wichtige Rolle für die Akustik spielen.

Wie für eine Werkstatt üblich, gab es zuvor in den Außenwänden und Decken kaum Tageslicht. „Eine ganz wesentliche Frage war daher, wie wir Fenster in die geschützte Substanz integrieren können, um die Räume mit Licht zu versorgen“, sagt Dominique de Rond. Ausgehend von dem einzigen historischen Fenster in der Westseite habe man in Analogie eine Multiplizierung dieser Öffnung entlang der zuvor geschlossenen Fassade durchsetzen können. Außerdem seien Dachfenster passgenau in die Zwischenräume der Dachkonstruktion eingesetzt worden, sodass die Balken unbeschadet blieben. Dabei erhielten nur die mittleren beiden Schiffe Dachöffnungen, damit von außen betrachtet das geschlossene Dach erhalten bleibt.

In der Raumkonfiguration hielten die Architekten das zweite Schiff der Halle als breiten Gang frei, um alle wichtigen Funktionen unmittelbar an diese „Straße“ anzuschließen. Wer den Eingang betritt, bekommt sofort einen Eindruck des schweren Holzdachs, das über der Innenstraße verläuft. Bis auf den Empfangsschalter und einen Wartebereich bietet sich hier viel Freiraum. Die Bürgerinnen- und Bürgerbüros sind wie Nischen direkt an den Gang angeschlossen. Für Mitarbeitende bietet sich vom Eingang aus rechts der Zugang zu den nicht öffentlichen Bereichen. Eine großzügige Kantine, die von den Mitarbeitenden beider Häuser genutzt wird, orientiert sich mit gro­ßen Fenstern zum Vorplatz. Von hier aus verbindet ein Flur zahlreiche kleinere Besprechungsräume entlang der West­seite und führt bis zu einem größeren Saal für Besprechungen und dem Trauungssaal.

Herz des gesamten Gebäudes ist der große Sitzungssaal, der die gesamte Breite der Achse einnimmt und der ganz in Dunkelblau gestaltet ist. Besucherinnen können den Sitzungssaal direkt von der Innenstraße betreten, während die Ratsmitglieder von der gegenüberliegenden Seite eintreten, an der auch die Besprechungsräume liegen. Auch die anderen Bereiche sind in verschiedene Farben getüncht: die ­Innenstraße in ein mattes Dunkelgrün und der Trauungssaal in Violett.

Auffällig ist die künstlerisch anspruchsvolle Ausstattung der wichtigsten Räume, denn große Teppiche mit abstrakten Motiven im Sitzungs- und Trauungssaal wurden eigens von der Künstlerin Edith van Berkel aus Amsterdam angefertigt. Dazu kommt das stimmige Lichtkonzept mit einem großen Kronleuchter und passenden Wandleuchten, die als feine perforierte Glasröhren gestaltet sind. Es ist den Räumen anzumerken, dass die Architekten alles aus einem Guss entwerfen konnten, bis hin zu den Möbeln und Details. Sogar eine eigene Schrift für die Beschriftung der Räume ließen die Architekten entwerfen.

Arbeitsplätze mit Hafenpanorama

Den 3-geschossigen Stahlbetonskelettbau mit Ziegelausfachungen fanden die Architekten in schlechtem Zustand vor. Die Fenster waren durch den beständigen Wind und die salzige Luft verrostet und konnten nicht erhalten werden. Sie seien ohnehin zu hoch gewesen, um herausschauen zu können, erzählt Dominique de Rond. Daher habe man sich für den Rückbau bis auf das Betongerüst entschieden.

An der neuen Fassade kamen statt Ziegel rote Stahlelemente zum Einsatz. Die mit der Zeit entstandene und willkürlich erscheinende Rhythmisierung der Tragstruktur und die teilweise vertikal gestellten Felder übernahmen die Architekten in ihre Übersetzung in Stahl und Panoramafenstern. Entlang der Fenster gliedern sich schmale Flächen mit kleinen gestanzten Löchern, die dem Bau eine maritime und rustikale Gestaltung verleihen und als Windbrecher für die Frischluftzufuhr der öffenbaren Elemente im Inneren dienen.

Um den industriellen Charakter auch im Innenraum zu bewahren und die Stützen und Deckenkonstruktion sichtbar zu belassen, brachten die Architekten alle Installationen in ca. 70 cm hohen Aufbauten auf den Böden unter. Außerdem stellten sie ein großzügiges Atrium über alle drei Etagen mit beinahe ­sakraler Wirkung her, in dem sie in der Mitte des Gebäudes, in einer Größe von vier Achsen in der Länge und zwei Achsen in der Breite, alle Querträger und Bodenplatten herausschnitten. Oberlichter versorgen es mit Tageslicht. Um diesen Raum vollständig freizuhalten, sind alle Büro- und Besprechungsräume und sogar die Treppen und Kaffeeküchen in die äußeren beiden Ringe bzw. umlaufenden Achsen geschoben. Die Küchen verspringen auf jeder Etage auf die andere Seite, sodass jederzeit Blickbeziehungen zwischen den Treffpunkten bestehen.

Die Unterteilung der Räume erfolgte, ähnlich wie in der Mastwerkstatt, mit Wänden aus vertikalen Holzpaneelen, die hier aber in einem hellbraunen Naturton blieben. Der Boden ist mit Terrazzofliesen gestaltet, die auf die Farben der Betonstützen abgestimmt sind. Einen gestalterischen Bogen schlagen die Wandlampen, die hier nur etwas anders proportioniert sind. Die um das Atrium führenden Galerien dienen auf jeder Etage als Kommunikationsebene und erschließen die Büros.

Während sich die Besprechungsräume zur Mitte orientieren, liegen die Großraumbüros mit maximal 16 Schreibtischen entlang der Außenfassaden. Rund 250 der insgesamt 300 Büros befinden sich hier in der ehemaligen Seilerei. Dabei haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, abgesehen vom Bürgermeis­ter, keine festen Plätze, können sich aber Schreibtische und Besprechungsräume reservieren. Akustische Deckenelemente, Trennwände zwischen den Tischen und Teppichböden sorgen für eine angenehme und ruhige Arbeitsatmosphäre. Von den Schreibtischen bieten die Panoramafenster einen freien Blick über den Hafen.

Natalie Scholder/DBZ

Durch das Einbringen neuer Interior-Elemente wurde der historische Bestand aufgewertet. Es entstand ein eleganter Ort mit maximalen Kontrasten, der von der Atmosphäre her mehr nach Filmkulisse als nach Rathaus aussieht.«
Kinzo Architekten, Berlin

Projektdaten

Objekt: Rathaus Den Helder, NL
Standort: Willemsoord, Gebäude 66 und 72, Den Helder, NL
Bauaufgabe: Renovierung und Umbau von zwei historischen Werftgebäuden in ein Rathaus, dazu gehören Arbeitsräume für die Verwaltung (250 flexible Arbeitsplätze), ein Ratssaal, Sitzungssäle, Hochzeitssaal, Kantine/Café und Bürgerbüros
Bauherrin/Nutzerin: Stadt Den Helder
Architektur: Office Winhov BV, Amsterdam, www.winhov.nl, Van Hoogevest Architecten BV, Amersfoort/Utrecht, www.vanhoogevest.nl
Team: Office Winhov: Jan Peter Wingender, Anna Tabellini, Niek de Rond, Charles Hueber, Leon Kentrop, Anna Janssen, Martijn van Wijk. Und Van Hoogevest Architects: Jacqueline van Dam, Maarten Bakker, Ronald Veltman, Henk van Rossum
Generalunternehmung: Ontwikkelingsmaatschappij Zeestad
Bauzeit: 01.2022 – 09.2023
Bauunternehmer: Friso Bouwgroep, Sneek Restaurierung: Jurriëns Noord
Installationen: Pranger Rosier Installa­tionen, Unica
Hersteller: ABT, Velp
Installationen: W4Y Adviseurs, Harderwijk
Bauphysik: Cauberg Huygen Amsterdam
Beschilderung und Wegbeschreibung: Janno Hahn, Amsterdam
Teppichbodengestaltung: Edith van Berkel, Amsterdam

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