Starkult oder reichen uns Vorbilder?

Ist das nur eine Behauptung, nur eine Hoffnung gar, dass der Starkult um Architekten, Architekturbüros oder manchmal auch um Architektinnen am Ende sei? Vielleicht?! Unsere Zusammenarbeit mit jungen ‚Architektinnen, die noch auf dem Weg ins öffentliche Bewusstsein sind, zeigt, dass der Wert eines Büros nicht zuerst in seiner Bekanntheit liegt, sondern vor allem darin, mit realisierten Bauten das Bauen zu kommentieren und im bestenn Fall insgesamt voranzubringen. Wobei die Frage, was „voran“ sei, eine wesentliche ist. Nun ist bei Hatje Cantz, einem renommierten Kunstbuchverlag, eine mächtige Arbeit zu einem Büro erschienen, das unveränderlich mit Kultstatus behaftet zu sein scheint. Scheint?

Die Diskussion um den Starkult, der im Architekturdiskurs schon zu den Akten gelegt erschien, könnte sich dennoch immer wieder neu entzünden. Der Hang, ein Follower-Dasein zu pflegen,  ist offensichtlich ungebrochen. Waren es vor Jahrzehnten noch namentlich bekannte und schon deshalb Vereinzelte (Stars), gibt es mittlerweile  eine eher unübersichtlich große Gruppe von Influencerinnen.

Aber in der Architektur? Die Stars vergangener Jahrzehnte – Mies van der Rohe, Le Corbusier oder Lina Bo Bardi – sind entweder nicht mehr in der Lage, ihren Kult über Sozial Media zu zelebrieren oder bereits in einem Alter, in dem Derartiges unglaubwürdig erscheint. Oder – obwohl irgendwie Star – sie wollen es einfach nicht: So genanntes Social Media wird von einem Peter Zumthor abgelehnt, was nicht heißt, dass er nicht seinen Kult pflege. Und die jungen? Buchner Bründler, ebenfalls Schweizer, kommen auf stattliche 67 200 Followerinnen (und folgen selbst niemandem!), Christ & Gantenbein sammeln immerhin 48 000 hinter sich. In Deutschland ist der Insta-Achitektenstar nicht zu erkennen, angesagte Büros wie baubüroinsito oder Peter Kröger Architekten haben bescheidene 5-6 000 Follower, selbst ein international aufgestelltes Großbüro wie gmp muss sich mit 15 000 Fans begnügen, Anna Heringer Studio mit gerade mal gut 6 000, Lacaton & Vassal mit etwa 4 000. Stars?

Die wirklichen Stars haben 1 Million Follower

Die wirklichen Stars müssen dann schon mehr bieten: Snøhetta bringen es auf aktuell 617 000 Follower, Bjarke Ingels auf 907 000. Bei Letzterem lohnt in jedem Fall ein Blick auf die Beiträge: Bjarke Ingels im Porsche auf einer Avenue, beim Shoppen in New York oder vor einer seiner Architekturen, diese in knappen Sätzen erklärend. Ein Star? Das Büro Ingels, das sich geschickt und wohl mit Recht „BIG“ nennt, ist tatsächlich ein Influencer. Das, was BIG baut, findet sich als schlechtere Kopie Jahre später in vielen Städten dieser Welt wieder.

Ich komme zurück zum Ausgangspunkt, einer aktuellen Publikation über die Architekten Herzog & de Meuron, Basel. Die haben zwar nur die Hälfte Follower-Zahlen, wie sie Mr. BIG sein Eigen nennt, doch ist ihr Einfluss auf das internationale Bauen ein größerer. Oder sollte ich schreiben: ein nachhaltigerer? Denn es mag sich paradox lesen, wenn man feststellt, dass es beinahe ausgeschlossen ist, HdM zu kopieren. Vielleicht muss der Einfluss dann auch nicht so sehr im Übertragen von fremden Bildern auf eigene gesehen werden, sondern in der Fortschreibung einer Fortschreibung, die auf analytischer Rezeption beruht. Im Gegensatz zu Großteilen der Arbeiten von BIG, deren spielerisch, fröhlich formalistische Formfindung Handschrift andeutet, wird man bei HdM-Projekten immer eine anhaltende Suche nach dem Idealen voraussetzen und finden können. Dabei ist das Ideale nicht im Sinne eines humanistischen Idealismus gemeint, der auch moralische Implikationen hat, eher im Sinne einer Perfektionierung einer auf Unschärfe angelegten Strategie.

In der Steidl Monografie „Fünfundzwanzig x Herzog & de Meuron“, herausgegeben von dem Architekturhistoriker Stanislaus von Moos sowie dem Architekten und ETHZ-Lehrer, Arthur Rüegg, versuchen beide zum Kern des HdM-Mythos zu gelangen, ein Versuch, der, das sei gleich gesagt, nicht in allen Aspekten überzeugt. Gibt es den Kern möglichweise gar nicht? In jedem Fall haben sie sich – bereits vor zehn Jahren und zusammen mit den Bürogründern – 25 Arbeiten aus dem früheren Werk vorgenommen, um an diesen zu untersuchen, was denn die Basis sein könnte, auf der die mittlerweile über 600 Projekte stehen, die weltweit realisiert oder als Ausstellungen etc. konzipiert wurden. Was damals als Gespräch mit „zwei kritischen Denkern, die das Büro von Anfang an verfolgt haben“ (HdM) begann, ist nun ein großartig gemachtes Buch geworden, in dem wir nachlesen können, wie die beiden Basler mit ihrer Arbeit großgeworden sind. Das Buch, das zum ersten Mal einen Einblick gibt in das fotografische Können Pierre de Meurons sowie in seine persönliche Fotoreise auch jenseits der Projekte, sowie andererseits ein paar Postkarten aus der Sammlung Jacques Herzogs zeigt, deren Bildersammlung weniger touristischer als vielmehr ikonologischer Praxis gefolgt ist, könnte helfen, soll helfen, tiefer in das einzusteigen, was hier als die Suche nach dem Idealen genannt wird, dem zu folgen wir uns – theo­retisch wie praktisch – mühen und abarbeiten. Dass wir hier vor allem ältere Projekte sehen, freut, denn offenbar ist auch den Herausgebern klar, dass über das Blaue Haus, das Sperrholzhaus, das Wohnhaus Schwitter, das Steinhaus und anderen die meisten Folgeprojekte von hier aus ihren Weg genommen haben. Nicht so sehr in der Frage der Formfindung, eher in der der Materialisierung, der Frage des Einfügens und ganz sicher der Problemstellung der Raumentwicklung im Spannungsfeld von Innen und Außen. Und ja, immer auch mit dem Reflex, künstlerisch zu reagieren.

Unschärfe erzeugt Nachfragedynamik

„In der Architektur ist ‚Unschärfe‘ ein ästhetisches Thema, vielleicht sogar ein Stil und sicher – was den radikalen Verzicht auf stilistische Festlegungen angelangt – auch ein Geschäftsmodell“, so Stanislaus von Moss in seinem Essay. Tatsächlich kann das Unschärfethema bei Herzog & de Meuron – und sicher auch bei anderen – der zentrale Punkt sein, der mit der Frage nach dem Wesen des Starkults das Vorbildhafte in die erste Reihe stellt: Nicht die Entwerfer sind die Stars, auch ihre Bauten nicht. Der Kult, der unübersehbar da ist (Buchpublika­tionen, die trotz hoher Preise in der ersten Auflage sofort vergriffen sind) wird aus der schier unübersehbaren und vielfachen internationalen Rezeption der Arbeiten generiert, deren prinzipielle „Unschärfe“ den HdM-Diskurs befeuert.

Alles ist unabsehbar

„Unabsehbar“ sei die Rezeption der HdM-Erfindungen in der Alltagsarchitektur, so von Moss weiter, und er überrascht damit. Denn eigentlich sollte es doch heißen „unübersehbar“? Unabsehbar, unscharf, damit auch überraschend. Das Arbeiten an der Stadt, kann alles durchdringen: das Feuilleton, das Thea­ter, die Fachwelt oder auch das Advertising, das sich selbstverständlich an Großprojekte wie Tate Modern oder die Elbphilharmonie anlagert. Damit hat sich möglicherweise die Frage erledigt, ob der Starkult beendet ist und ob wir noch Vorbilder brauchen. Der Kult folgt längst keinen Gesetzesmäßigkeiten mehr, er wabert, seine Wirkung ist „unabsehbar“. Wohin das Werk führt? Noch produziert die Denk- und Gestaltfabrik mit ihren beiden Gründern Überraschendes, wohin das geht ist allerdings … Sie wissen schon! Benedikt Kraft/DBZ

www.herzogdemeuron.com
Ist das nur eine Behauptung, nur eine Hoffnung gar, dass der Starkult um Architekten, Architekturbüros oder manchmal auch um Architektinnen am Ende sei? Unsere Zusammenarbeit mit jungen Architektinnen, die noch auf dem Weg ins öffentliche Bewusstsein sind, zeigt, dass der Wert eines Büros vor allem darin liegt, dass es das Bauen mit realisierten Bauten kommentiert und im besten Fall insgesamt voranbringt. Wobei die Frage, was „voran“ sei, eine Wesentliche ist. Nun ist bei Hatje Cantz, einem renommierten Kunstbuchverlag, eine mächtige Arbeit zu einem Büro erschienen, das unveränderlich mit Kultstatus behaftet zu sein scheint. Scheint?
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