Studium: Farbdesign
ALTERNATIV: Magdalena Tomoff hat sich in ihrer Abschlussarbeit mit dem Farbprofil der Bodenseeregion auseinandergesetzt und daraus Empfehlungen für zukünftige Gestaltungen entwickelt
Abb.: Magdalena Tomoff
Farbdesign bedeutet, sinnlich-ästhetische, emotionale und kulturelle Wirkung zu erzeugen. Im Studium lernen Student:innen, die Wechselwirkung von äußeren Bedingungen und inneren Zuständen des Menschen zu planen. Kernpunkte sind: Farbkonzept, Farbanalyse, Farbsystematik, Farbkommunikation, Farbidentität, Farbwirkung, Farbtrend und Farbkollektion. Farbdesigner:innen arbeiten international für Architekturbüros, Trendagenturen und Designstudios sowie Entwicklungsabteilungen der Industrie von Automobil bis Bau (Color & Trim und CMF).
Oft wird Farbe mit Buntheit verwechselt
Zuerst – es gibt keine allgemeinen Regeln, die sagen, welche Farben in welchem Kontext die richtigen sind. Es kursieren zwar viele Erklärungen, die den Grundfarben bestimmte Wirkungen zuschreiben, diese sind für architektonische Aufgaben aber denkbar ungeeignet. Die Stärke der Farbgestaltung liegt in der sensiblen und nuancierten Bezugnahme auf die vielfältigen Kontexte des architektonischen Entwurfs. Teil davon ist, am Anfang Grundwerte, Atmosphären, Stimmungen, Beziehungen und Bedürfnisse anhand der Farb- und Materialsprache zu bedenken. Das definiert den emotionalen Rahmen einer Bauaufgabe und beginnt beim Menschen und nicht bei geforderten Nutzflächen und Volumina, so wichtig die am Ende auch sind. Besonders bei partizipativen Prozessen ist das sehr hilfreich.
Wie plant man Farbe?
Um die Reaktion auf Farbatmosphären einigermaßen verlässlich planen zu können, liegt ein Ansatz in der Erforschung von Sehgewohnheiten und grundsätzlichen Farbwirkungen sowie in der Betrachtung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Das IIT Institute International Trendscouting an der HAWK beschäftigt sich seit 20 Jahren mit diesen Fragestellungen und entwickelt Konzepte für Produktkollektionen und räumliche Kontexte. Farbe in der Architektur erfüllt demnach zahlreiche ineinander greifende Funktionen, die im Entwurf und in der Planung berücksichtigt werden können.
Farbe und Oberflächenstudie von Michelle Häusler im Modul Farbe als Experiment
Foto: Timo Rieke
Farbe unterstreicht den räumlichen Entwurf
Eine Farbgestaltung ist dann gut, wenn sie mit der Architektur arbeitet und Teil der räumlichen Entwurfsidee wird. Gute Farbgestaltung arbeitet die tektonische Struktur, die Spannungsfelder der Architektur heraus. Sie fasst zusammengehörige Elemente zusammen und trennt architektonische Bereiche. So werden beim Bauen im Bestand neue, eingeschobene Kubaturen hervorgehoben und andere in den Hintergrund gerückt. Bewegliche Elemente werden farblich betont, statische, tragende Bauteile farblich stabilisiert. Die entstehende Lesbarkeit der Architektur führt dazu, dass die Nutzenden eine Beziehung zum Gebäude entwickeln können.
Farbe sorgt für Orientierung
Die farbliche Betonung von Funktionsbereichen der Innenarchitektur ist Beziehungsarbeit zwischen Mensch und Raum. Die IIT-Studie Office Atmospheres unterscheidet Kommunikations-, Regenerations- und Konzentrationsbereiche. Das jeweilige Farbklima unterstützt die Differenzierung des Verhaltens. In kommunikativen Bereichen werden Sehgewohnheiten anregender Farbgebung in den Raum übertragen. In Bereichen in denen Konzentration wichtig ist, wird die Farbgebung zurückhaltender und kühler. Entspannte und natürliche Farbprofile unterstützen die Regeneration. Machen Sie sich klar, welche Bereiche es in Ihrem Entwurf gibt und wie sie sich atmosphärisch unterscheiden können. Suchen Sie dann passende Bilder, Assoziationen und Farben, die zur Situation passen. Ein abgetöntes Weiß als Hauptfarbe zu verwenden ist zum Beispiel super. Machen Sie sich dann klar, wie Sie die einzelnen Situationen gezielt farbig gliedern können. Verwenden Sie Buntheit sparsam und vor allem zur Leitung und Orientierung.
Um Farbe in der Architektur und im Design handhabbarer zu machen, arbeitet die HAWK mit Partnern wie RAL an Werkzeugen zur Farbkommunikation. 15 Farben stehen im Mittelpunkt der Jahresberichte. Die aktuelle Ausgabe trägt den Titel SHARE + APPLY. Auf www.iit-hawk.de ist sie veröffentlicht
Foto: Timo Rieke
Farbe spricht die Sinne an
Sinnlich-ästhetische Gestaltung fördert die Identifikation mit einem Gebäude. Ein Raum, der die Sinne anspricht, wird innerlich erlebbar. Farbige Oberflächen erzeugen einen körperlich spürbaren Impuls, der die Architektur für Nutzende erfahrbar macht und die Blicke führt. Form, Linienführung, Material und Farbe sind die Kriterien einer resonanten Architektur, die sich erlebbar macht, wenn sie soll, und die schweigt, wenn sie darf. Je einfacher die architektonische Form, desto leichter kann die Farbe einen eigenen Körper entwickeln. Hier sollte Farbe von Anfang an mitgedacht werden.
Farbe ist transformativ
Farbgestaltung ist Ausdruck einer reflektierten Auseinandersetzung mit Zeitströmungen. Wir nutzen langfristige Megatrends, um Architektur und Design zukunftsfähig zu machen. Farbe kann die Attraktivität transformativer Gestaltungsformen erhöhen, Neues und Veränderung markieren. Farbdesigner arbeiten an der Entwicklung von Design und an der Entwicklung von Gesellschaft. Komplexe Scouting- und Monitoringprozesse werden eingesetzt, um diese Entwicklungen zu dokumentieren.
Farbe ist ethisch und nachhaltig
Wenn Sie Farbe auf einen gegebenen Kontext beziehen ist die Wahrscheinlichkeit der Akzeptanz der Maßnahmen hoch. Beziehungen zu regionaler Farbigkeit, regionalen Anstrichmitteln und Pigmenten sowie kulturellen Gefügen vermitteln wertvolle und langfristig angelegte Gestaltungslösungen. Gute farbige Gestaltung hat in diesem Sinne einen sozialen Aspekt, der an der Umgebung interessiert ist.
Fazit
Farben spielen eine wichtige Rolle, wenn es um lebenswerte und gesunde Umgebungen geht. Damit verbunden ist die farblich nuancierte Ansprache unterschiedlicher Bedürfnisse und Situationen. Reflektieren Sie Farben und Stimmungen in Ihrer Umgebung, mustern Sie mit geeigneten Farbkarten ab. Stellen Sie am Ende die Farben immer ein wenig heller und getrübter dar als auf der Farbkarte, Farben neigen dazu in der Fläche viel stärker zu wirken als im kleinen Muster. Lassen Sie Probeanstriche machen. Das verhindert Überraschungen und Sie lernen viel über die Wirkung der Farben im Raum. Vermeiden Sie das standardisierte Weiß. Es ist nicht neutral, sondern leer. Farben in der Architektur sind die Chance ihren Entwurf zu gliedern, den Wänden Körper und Orientierung zu geben, die Sinne und Emotionen anzusprechen und nachhaltig zu wirken.
Timo Rieke ist Professor für Farbdesign an der Fakultät Gestaltung der HAWK Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst in Hildesheim. 2003 eröffnete er ein Atelier für Gestaltung mit den Schwerpunkten Grundlagenforschung Farbe, Color Consulting, Oberflächengestaltung, Grafik Design und Kunst. Er ist Mitglied des deutschen Farbenzentrums.