Wohnraum effektiver managen

Müssen wir so bauen, dass unsere Gebäude 100 Jahre und länger bestehen? Oder brauchen wir auch in Zukunft das ständige Neu-Bauen als Teil unseres auf Wachstum ausgelegten Wirtschaftssystems? Darüber und über den notwendigen Wandel der Stadt haben wir mit Anja Bierwirth gesprochen. Die Architektin und Umweltwissenschaftlerin leitet den Forschungsbereich Stadtwandel am Think Tank Wuppertal Institut.

Vorher: Viel Platz für Autos, wenig Platz für Fußgänger und Radfahrerinnen ...
Foto: MUST Städtebau GmbH/EGLV

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Foto: MUST Städtebau GmbH/EGLV

Es gibt unterschiedliche Ansichten darüber, wie wir künftig mit dem Bauen umgehen sollen. Einerseits gibt es die Idee, gar nichts mehr neu zu bauen, sondern ausschließlich den Bestand zu ertüchtigen. Andere plädieren dafür, nur noch langlebige Gebäude zu entwickeln, die für möglichst 100 Jahre und länger halten. Beides ist per se nachhaltig und trägt dazu bei, Ressourcen zu schonen und den CO₂-Fußabdruck und damit die Umweltbelastung zu reduzieren. Andererseits ist das ständige (Neu-)Bauen Teil unseres Wirtschaftssystems, in dem kontinuierliche Gewinnmaximierung und Expansion als notwendig erachtet werden; mit dem bekannten Ergebnis der Übernutzung von endlichen Ressourcen und einer Zunahme des ungelösten Abfallproblems.

„Wir können es uns schlicht nicht mehr leisten, in eine Bauwendezukunft nicht zu investieren“, sagte Anja Bierwirth bereits Ende 2023 beim „Zukunft Bau Kongress“ in Bonn. Grund genug für die DBZ, dieses Thema mit ihr noch einmal zu vertiefen. Die Architektin Anja Bierwirth ist Leiterin des Forschungsbereichs Stadtwandel am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie, einer Denkfabrik für eine effektive wie anwendungsorientierte Nachhaltigkeits- und Transformationsforschung.

Nachher: Shared Space für alle Verkehrsteilnehmer und Raum für Begegnung
Visualisierung: MUST Städtebau GmbH/EGLV

Nachher: Shared Space für alle Verkehrsteilnehmer und Raum für Begegnung
Visualisierung: MUST Städtebau GmbH/EGLV

Bierwirth betont die Bedeutung von Transfer­formaten für die erfolgreiche Umsetzung der Bauwende. Transferformate sind dabei strukturelle Ansätze und Werkzeuge, die Wissen, Innova­tionen und Praktiken für nachhaltiges Bauen und Sanieren in die Breite tragen sollen. Bierwirth hebt vor allem folgende Punkte hervor:

Schnittstellen immer mitdenken: Transferformate schaffen Schnittstellen zwischen Forschung, Politik, Bauwirtschaft und Gesellschaft. Indem Akteurinnen und Akteure aus diesen Bereichen gezielt miteinander vernetzt werden, können sie ihre Perspektiven und Expertisen austauschen und voneinander lernen. Das ist wichtig, um gemeinsam an Lösungen für Herausforderungen der Bauwende zu arbeiten.

Praxisorientierte Wissensvermittlung: Anja Bierwirth betont die Notwendigkeit, Forschungsergebnisse und theoretisches Wissen über nachhaltiges Bauen in praxisorientierte Formate zu übersetzen, die direkt im Baualltag anwendbar sind. Das können Handlungsleitfäden, Trainingsprogramme oder Demonstrationsprojekte sein, die zeigen, wie nachhaltiges Bauen und Sanieren konkret umgesetzt werden kann.

Best-Practice-Beispiele fördern: Transferformate sollten Plattformen bieten, auf denen Best-Practice-Beispiele sichtbar gemacht werden. Erfolgreiche Projekte und innovative Ansätze können zur Nachahmung anregen. Dies hilft, die Akzeptanz nachhaltiger Bauweisen zu steigern und Vorurteile abzubauen.

Bildung und Qualifizierung: Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Qualifizierung von Fachkräften und Bauherren im Bereich der Nachhaltigkeit. Bierwirth sieht Bildungsprogramme, Fortbildungen und Workshops als essenzielle Bausteine, um das nötige Wissen und die Kompetenzen für die Bauwende in die Breite zu tragen.

Kommunikation und Bewusstseinsbildung: ­Neben dem Fachwissen ist die öffentliche Kommunikation zentral. Transferformate sollten auch darauf abzielen, das Bewusstsein für die Bedeutung nachhaltigen Bauens in der Gesellschaft zu stärken und ein Verständnis dafür zu schaffen, warum eine Bauwende notwendig ist.

Bedarfe abfragen und ein Wohnraummanagement einführen, das hält Anja Bierwirth für sinnvoll

Bedarfe abfragen und ein Wohnraummanagement einführen, das hält Anja Bierwirth für sinnvoll

„Es gibt nicht die eine große Lösung“

Die Krux ist, dass wir auf Bundes- und EU-Ebene Klimaziele definiert haben, diese aber oft auf der Baustelle in der Kommune vor Ort nicht ankommen, kritisiert Bierwirth. So habe sich bei der Sanierungsrate in den vergangenen 10 Jahren nicht viel getan. Und auch das Thema Flächenschutz komme medial gesehen nicht aus dem Schatten des Klimaschutzes heraus.

„Es gibt nicht die eine große Lösung auf dem Weg zur Klimaneutralität“, sagt Bierwirth. Vielmehr bedürfe es eines kleinteiligen, lokalspezifischen Zugangs zu Projekten. Schließlich gebe es mit der sich verändernden gesellschaftlichen Zusammensetzung, diversen Gebäudetypologien und Nutzungen „eine ziemlich bunte Gemengelage.“


Abb.: Wuppertal Institut

Abb.: Wuppertal Institut

Beratung aus einer Hand

Neubau können wir ganz gut, findet Bierwirth, jetzt müssen wir den Bestandsumbau lernen. Hier bedürfe es einen ganzheitlichen Sanierungsplan mit Beratung aus einer Hand, um der „maßlosen Überforderung“ des einzelnen Eigentürmers zu begegnen. Dafür müsse die Politik entsprechende Förderprogramme für das große Ganze statt für 5-6 Einzelmaßnahmen anbieten. Und an Eigentümer gerichtet fragt sie: Muss eine Einzelmaßnahme denn 25 Prozent Rendite abwerfen oder würden auch 5 Prozent genügen? Muss eine Sanierungsmaßnahme wirtschaftlich lukrativ oder darf sie auch nur wirtschaftlich zumutbar sein?

Regularien ausmisten

Auch ein Wohnraummanagement einzuführen wäre sinnvoll, um weg von der rein quantitativen Wohnraumdebatte um die angeblich fehlenden 400 000 Wohnungen zu kommen. Bislang werde die Gebäudetransformation nur peripher behandelt. „Wir könnten ja mal mit denen anfangen, die einen Bedarf äußern“, so Bierwirth. Denn die gebe es. Viele Ältere in ihrem 200 m2 großen Einfamilienhaus wollten sich durchaus verkleinern, wenn sie in ihrem angestammten Viertel wohnen bleiben könnten. Manch einer möchte auch sein Haus umbauen und teilen, könne aber nicht mit der dann vorgeschriebenen Anzahl an Pkw-Stellplätzen aufwarten. Grundsätzlich fehle es an guten Standards, wie wir den Bestand in unseren Kommunen weiterentwickeln können. Hier müsste bei den Regularien ausgemistet werden. „Wir bauen immer noch wie vor 30 Jahren, nur schicker“, kritisiert Bierwirth.

Kein Mangel an Wohnraum

Die immer noch mit großem medialem Aufwand geforderten 400 000 neuen Wohnungen pro Jahr bräuchten wir gar nicht. Diese Zahl beruhe auf veralteten Prognosen. Bierwirth: „Wenn wir die Klimaziele erreichen wollen, müssen wir das mit dem Bestand hinkriegen.“ Denn, so bekräftigt sich noch einmal: „Wir haben in Deutschland keinen Mangel an Wohnraum.“ Die Probleme gebe es nur in einigen Regionen, keineswegs aber flächendeckend. Selbst in Städten mit Mietraummangel gebe es Menschen, die sich verkleinern wollten. Wobei wir wieder beim Wohnraum­management sind. Hier bedürfe es eines kom­plementären Denkens hin zu einem generationenfreundlichen Viertel, in dem neben Ein­familienhäusern auch Platz für altengerechte Wohnungen sei.

Deutschlandweit organisierter Flächenschutz

Wie kann ich „Nicht-Bauen“ einen Mehrwert geben, fragt die Stadtforscherin. Hier brauche es vielleicht ein Flächenmoratorium. Viele Kommunen wachsen immer noch in der Peripherie, während die Ortskerne verwaisen. Im Sinne eines deutschlandweiten Flächenschutzes könne dann künftig vielleicht nicht mehr jede Kommune selbst entscheiden, ob sie noch ein Neubaugebiet ausweisen kann. Schließlich hatte die Bundesregierung in ihrem Klimaschutzplan 2050 die Flächenkreislaufwirtschaft mit einem Flächenverbrauch von „Nettonull“ zum Ziel erklärt. Bis heute gebe es aber keine Richtwerte, welche Kommune dann noch bauen dürfte.

Wie stellen Sie sich die Städte der Zukunft vor, Frau Bierwirth? Werden sie eher aus langlebigen Strukturen bestehen, oder wird das ständige Bauen weiterhin dominieren? Auf die richtige Mischung kommt es an, findet sie. Eine 15-Minuten-Stadt mit kurzen Wegen, die aber gleichwohl multiple Nutzungen ermögliche. Da kann es in Industrie- und Gewerbegebieten am Stadtrand auch kulturelle Veranstaltungen geben, die etwas lauter sind. Und ruhigere Wohnviertel, in denen trotzdem eine Nahversorgung stattfindet. Wichtig sei, auf eine gerechte Durchmischung zu achten. Wo ist es am lautesten, wo sind Hitzeinseln, wer wohnt an der sechsspurigen Straße, ohne überhaupt ein Auto zu besitzen? Für wen baue ich die Stadt? Auch hier seien kleinräumliche, diverse, gerechte Lösungen nötig. 

Anja Bierwirth ist Leiterin des Forschungsbereichs Stadtwandel am Wuppertal Institut. Nach einer Ausbildung zur Tischlerin studierte sie Architektur in Bremen und Köln sowie den Masterstudiengang Umweltwissenschaften an der FernUniversität Hagen. Seit 2008 ist Bierwirth am Wuppertal Institut tätig
Foto: Wuppertal Institut

Anja Bierwirth ist Leiterin des Forschungsbereichs Stadtwandel am Wuppertal Institut. Nach einer Ausbildung zur Tischlerin studierte sie Architektur in Bremen und Köln sowie den Masterstudiengang Umweltwissenschaften an der FernUniversität Hagen. Seit 2008 ist Bierwirth am Wuppertal Institut tätig
Foto: Wuppertal Institut

Gemeinwohlorientierte Stadtplanung als Ziel

Müssen wir also für 100 Jahre und länger bauen oder brauchen wir notwendigerweise das ständige Neubauen als Teil unseres auf Wachstum ausgelegten Wirtschaftssystems? Letztendlich hängt die Antwort auf diese Frage davon ab, welche Prioritäten unsere Gesellschaft in den nächs­ten Jahren setzt. Teile der Stadt sollten für 100 Jahre und mehr gebaut werden. Es könne aber durchaus im Einzelfall sinnvoll sein, diese Gebäude durch temporäre Strukturen oder Nutzungen zu ergänzen, fügt Bierwirth hinzu. Es seien auch in Zukunft immer Adaptionen von Stadt nötig.

Einen Mittelweg zu finden, der sowohl nachhaltiges Bauen als auch die wirtschaftliche Entwicklung berücksichtigt, könnte das Ziel sein. Es muss nicht immer die Maximalrendite dabei herauskommen. Wichtig auch: Eine Verantwortungsverlagerung aufs Individuum müsse vermieden werden, denn wenn sich der Einzelne überfordert fühlt, dann geschehe eher gar nichts. Lieber also kleine Schritte als gar keine Schritte hin zu einer gemeinwohlorientierten Stadtplanung. Denn nichts zu tun, können wir uns in der Tat nicht mehr leisten.

Heide Teschner/DBZ

Wuppertal Institut

Das Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie ist ein Think Tank für eine impact- und anwendungsorientierte Nachhaltigkeits- und Transformationsforschung. Im Fokus steht dabei die Gestaltung von Transformationsprozessen hin zu einer klimagerechteren und ressourcenschonenderen Welt. Der Forschungsbereich Stadtwandel am Wuppertal Institut verfolgt mit seiner Arbeit die Vision einer dekarbonisierten, resilienten, klimagerechten und sozial innovativen Stadt. Mit einem Schwerpunkt auf den Handlungsfeldern Klimaschutz, Energie, Klimafolgenanpassung und Nachhaltigkeit erforscht, entwickelt, begleitet und unterstützt der Forschungsbereich Stadtwandel Handlungsansätze auf kommunaler wie regionaler Ebene. Im Zentrum steht dabei die Frage, welche Handlungsbedingungen, Voraussetzungen und sozialen Innovationen geschaffen werden müssen, um Städte möglichst emissionsarm, klimaresilient und ressourcengerecht zu entwickeln.

www.wupperinst.org

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