Abriss oder nicht Abriss oder was?

Die Diskussion über den Abriss des Staudenhofs in Potsdam hat neuen Schwung bekommen. Aber auch neue Erkenntnisse?

Wir alle glauben zwar, dass die Klimaziele schon irgendwie noch oder dann doch nicht erreicht werden können, viele sind sich auch über die Strategie im Klaren, wie man eine Reduktion der Treibhausgasproduktion erreichen könnte ... Könnte, denn ob wir Bauschaffenden und alle die, die sich um das Baukulturelle kümmern das auch wollen, scheint auf anderen Blättern zu stehen. In Potdam ist nun eine Diskussion aufgebrochen, die medial aufgegriffen wurde und an der sich der Stand der Dinge ablesen lässt. Der Stand der Dinge in Sachen Radikalität. Ein Begriff, der nicht nur in diesem Land negativ konnotiert ist.

Das Stadtparlament in Potsdam hatte es mehrheitlich beschlossen: der "Staudenhof" genannte Wohnblock mitten in der Mitte der restaurierten guten Stube wird abgerissen, an seiner Stelle soll ein Neubau kommen, ebenfalls mit Wohnraum, nur neuer, größer auch bei den einzelnen Wohnungen und vielleicht etwas teurer in der Miete.

Warum jetzt wieder, insbesondere in den lokalen Medien, darüber spekuliert wird, ob dieses Abriss-/Neubau-Szenario ein tatsächliches sei, könnte daran liegen, dass die Zeiten einfach andere sind nach dem Abrissbeschluss. Krieg vor der Haustür, Energiemangel, ein Klimawandel, der doch schneller kommt als prognostiziert und möglicherweise Wählerverhalten beeinflusst. Eine Zeit also direkt nach dem Kanzlerwort "Zeitenwende", das eine Zeit beschreiben will, die eigentlich so wenig eine Wendezeit ist, wie alle Zeitenwenden jemals davor. Zeit kennt nur eine Richtung, sie schreitet - wollte man hier vermenschlichen - unbarmherzig voran.

Diesen Durchlass Staudenhof-Alter Markt gibt es zurzeit nicht, der Plattenbau ist nach Süden hin durch die Neubauten vom Alten Markt abgeschnitten
Foto: Benedikt Kraft / DBZ

Diesen Durchlass Staudenhof-Alter Markt gibt es zurzeit nicht, der Plattenbau ist nach Süden hin durch die Neubauten vom Alten Markt abgeschnitten
Foto: Benedikt Kraft / DBZ

Vielleich deshalb ein Zögern, vielleicht deshalb auch die Neuaufnahme, zumindest eine Reaktion auf ein Bündnis pro Erhalt Staudenhof, das sich erst vor wenigen Wochen gebildet hat. Mit prominenten Fachleuten besetzt, fällt es offenbar der Politik schwer, hier einfach zur Tages-, also Ratsbeschlusslage überzugehen. Gert Zöller, Fraktionschef der Grünen, fühlt sich angesichts der ideologisch (so Zöller) motivierten Debatte verstört und rational überfordert. Die SDP, hier Hagen Wegewitz, ebenfalls Fraktionsvorsitzender, sieht nach Abriss und Neubau mehr: mehr Wohnfläche, mehr soziales Wohnen, soziale Vielfalt und damit Nutzungsvielfalt. Auch begrüsst er in dem zur Rede stehenden Entwurf für einen Neubau die längere Nutzungsbindung, was immer er damit meint. Und: Die neuen Wohnungen wären nun nicht mehr nur für die (hier überwiegend älteren Alleinstehenden) Singles, wie er kolportiert, sondern auch für Familien, zu sozialverträglichen Mieten mit angemessem Wohnstandard. Dass Immobilien-Unternehmen in der Vergangenheit und tatsächlich bis heute meist für Familien Wohnraum errichtet haben, den wir jetzt mit riesiger, ungenutzter Wohnfläche bezahlen, davon weiß der SPD-Mann offenbar nichts. Sollte er aber längst.

St. Nikolaikirche im Zentrum, rechts die Schloss-Replika, links der Staudenhof, davor ein riesiges Baufeld
Foto: Benedikt Kraft / DBZ

St. Nikolaikirche im Zentrum, rechts die Schloss-Replika, links der Staudenhof, davor ein riesiges Baufeld
Foto: Benedikt Kraft / DBZ

Matthias Finken, CDU, und ebenfalls Faktionschef, schwärmt derweil von einem Potsdam, das es, wie er es sieht, aber erst seit ein paar Jahren gibt. Wieder gibt, die neugebaute Mitte der Stadt auf dem freigeräumten Platz der alten Mitte soll ja schön (Mitteschön) werden: Er benutzt den schwammigen Begriff der "Aufenthaltsqualität", die historische Straßen und kleinteilige Parzellierung offenbar zwangsläufig haben, jedenfalls in Potsdam. Der Staudenhof und die von der Initiative vorgeschlagenen Zubauten passen einfach nicht in die Mitte, so der CDU-Mann Finken, der hier offenbar auch modisch denkt.

Holger Rhode, als sachkundiger Bürger für die FDP im Bauausschuss, spricht dem Wohnblock aus DDR-Zeiten jede Schönheit ab, fühlt sich - offenbar auch sachkundig in Wirtschaftsfragen - angesichts der "eher häßlichen" Architektur an Regime und Misswirtschaft gemahnt. Was tatsächlich doch eigentlich ein Grund für die FDP, wäre, den Bau als Mahnmal zu erhalten?!

Es gibt auch andere Stimmen, die nicht dem Tenor (des sogenannten "Bürgerbündnis") folgen, dass man aus einem Ackergaul kein Rennpferd machen könne (wer wollte das aber noch gleich?). So sehen Die Linke, die Fraktion Die Andere und andere Potenzial, zweifeln das Gutachten mit Gegenentwürfen an, rechnen neu. Holen sich Verstärkung bei Prominenten. Was nichts nutzt, im Gegenteil werden deren Stellungnahmen als Statements von außen kategorisiert. Also von Reisenden in Sachen Bestandsschutzideologie.

Diesen Blick aus der mittlerweile schon abgerissenen Bibliothek der Hochschule gibt es naturgemäß nicht mehr
Foto: Benedikt Kraft / DBZ

Diesen Blick aus der mittlerweile schon abgerissenen Bibliothek der Hochschule gibt es naturgemäß nicht mehr
Foto: Benedikt Kraft / DBZ

Der Blick die Westfassade hinauf offenbart schnell die Bauschäden, Folge konsequenter Vernachlässigung seitens der Eigentümerin
Foto: Benedikt Kraft / DBZ

Der Blick die Westfassade hinauf offenbart schnell die Bauschäden, Folge konsequenter Vernachlässigung seitens der Eigentümerin
Foto: Benedikt Kraft / DBZ

Am Ende, das scheint sicher, wird wieder einmal abgerissen in der Mitte, die Neubauten um den Staudenhof - und auch gegenüber dem häßlichen Mercure-Hotelturm - erhöhen sichtbar tagtäglich den Druck. Brandschutzproblematiken, Schallschutz, sicher auch problematische Verbundstoffe, marode Gebäudeinfrastruktur, Wohnstandards, die längst nicht mehr Standard sind, alles das kann und wird ins Feld der Diskussion eingebracht. Auch Gegenrechnungen, die belegen sollen, dass das Argument mit der grauen Energie nicht haltbar sei. Und spätestens da muss sich die Stadt Potsdam fragen lassen, wie sie - und die meisten anderen deutschen Großstädte im Abrisszwang und Neubaueuphorie - denn das selbstgesteckte Ziel der Klimaneutralität im Jahr 2050 (Potsdam) erreichen will mit ihrem "Masterplan 100%". Nicht mit Abriss, nicht mit Neubau, und sei er noch so energieeffizient.

St. Nikolai im Süden des Plattenbauriegels. Eigentlich ein wunderbares Paar, architektonisch, historisch und auch konzeptionell: Kirche - Not
Foto: Benedikt Kraft / DBZ

St. Nikolai im Süden des Plattenbauriegels. Eigentlich ein wunderbares Paar, architektonisch, historisch und auch konzeptionell: Kirche - Not
Foto: Benedikt Kraft / DBZ

Blick über den Bauplatz für das neue Wohnen auf die Westfassade
Foto: Benedikt Kraft / DBZ

Blick über den Bauplatz für das neue Wohnen auf die Westfassade
Foto: Benedikt Kraft / DBZ

Dass sich das noch nicht bis in die Politik herumgesprochen haben sollte, ist kaum zu glauben, aber welche regierenden Politiker:innen trauen sich, gegen den Strom zu schwimmen und mit dem Votum für den Bestand - und sei er noch so häßlich - Wähler:innenstimmen zu riskieren?! Direkt gegenüber dem Staudenhof entstehen doch zur Zeit zig Neubauten, Wohnungen für allerdings eher Gutverdienende, die mehr haben wollen, als Mindeststandards. Die würden denen, die im Staudenhof teils schon lange leben, niemals die Wohnung streitig machen. Und ja, was in der ganzen Diskussion untergegangen ist: Wohin eigentlich mit denen, die da gerade in bester Lage ihre Zeit mit TV-Schauen und dem Warten auf Bescheide verbringen, auf dem Westbalkon mit Blick auf die Neubauten gegenüber, die demnächst bezogen werden, mitten in einer Stadt? In einer Stadt, deren soziale Haltung nicht nur aber gerade eben offensichtlich am Staudenhof fragwürdig ist angesichts der Rigorosität im Abriss und Altes neu bauen. Masterplan 100 Prozent? Ja, 100 Prozent Einbahnstraße. Wie wäre es mit Masterplan E?!

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