Abrissstadt Frankfurt
Die Mainmetropole macht Hamburg den Titel streitig: die Stadtabgeordnetenversammlung hat nun dem Abriss von Schauspiel und Oper zugestimmt. Neubauarbeiten frühestens 2027 21.12.2023 |"Wie sind wir geworden wer wir sind?", das war in der Spielzeit 2018/2019 die Fragestellung, unter der Intendant Anselm Weber zusammen mit seinem Ensemble vor fünf Jahren neue Stücke, Formate und Kooperationen der kommenden Spielzeit vorstellte. Der rote Faden damals: der Blick auf die großen Umbrüche der letzten siebzig Jahre, die unsere Gegenwart bis heute prägen. Da war aber auch schon bekannt, dass sich die Stadt Gedanken über die Zukunft von Schauspiel und Oper am Willy-Brandt-Platz machte, keine guten Gedanken und - schaut man auf die aktuell verlautbarten Entscheidung - keine klugen.
"Wie sind wir geworden wer wir sind?" Das müssen sich auch die GRÜNEN wohl immer häufiger fragen oder doch wenigstens fragen lassen: Warum jetzt so ganz anders, als in Zeiten vor einer Beteiligung an der Stadtpolitik? Denn auch und vielleicht gerade bei der ehmaligen "Öko-Partei" sollte doch die Erkenntnis Raum gewonnen haben, dass Abriss wegen folgendem Neubau nicht mehr die beste Lösung ist, schauen wir auf Ressourcenmanagement und CO2-Problematik.
Das Ensemble Oper Schauspiel mit dem Zubau Probenräume von gmp aus 2010
Foto: Benedikt Kraft
Mit Stimmen der GRÜNEN jedenfalls wurde in dieser Woche eines der größten innerstädtischen Abrissprojekte Deutschlands auf den Weg gebracht: Zwei große Gebäudekomplexe - die Städtischen Bühnen und der Haupsitz der Sparkasse - mit insgesamt 105.000 m² Gebäudeflächen werden abgerissen. Mehrere eingetragene Denkmäler (z. B. die Fassade oder das im Foyer hängende Kunstwerk Wolke) werden zerstört, Stadtgeschichte abgebrochen. Dass die sogenannte Kulturdezernentin der Stadt, die SPD-Frau Dr. Ina Hartwig, diese Unterdenkmalschutzstellung von 2020 heute als "spontan gefallen" disqualifiziert (Hessenschau, 23.2.2023), wirft wiederum kein gutes Licht auf die Protagonisten der Abrissentscheidung.
"Wer sind wir geworden wer wir sind?", Schauspiel vom Willy-Brandt-Platz aus
Foto: Benedikt Kraft
Etwa 100.000 m³ Bauschutt und eine Klimabelastung von 70.000 t CO2-Equivalenten fallen an. Das jedenfalls meldet die Initiative Zukunft Städtische Bühnen Frankfurt. Grüne Politik?
Natürlich werden die Neubau-Varianten - drei gibt es zurzeit - günstiger sein, als eine Sanierung, das jedenfalls legt ein Gutachten nahe, das uns leider ferne liegt. Ob es sich bei den damals auf rund 800 Mio. € geschätzten Arbeiten um eine reine Sanierung handelt, ober ob diese auch Umbaumaßnahmen, Vergrößerungen, neue Bühnentechniken etc. beinhalten, davon ist nirgends die Rede, die Rede ist von: kostet mehr.
Es gibt Reparaturbedarf. Aber Reparatur ist nicht so schön, wie etwas neues!
Foto: Benedikt Kraft
Nun könnte man auch sagen, dass sich die Stadt hier selbst Kosten produziert hat, die schlicht durch die mangelhafte Gebäudepflege entstanden sind. Dass Brandschutzanforderungen oder Barrierefreiheit nicht mehr den aktuellen Anforderungen entsprechen: Ja. Dass aber die Technik, das Gebäudeklima, Akustik, Mobiliar etc. ebenfalls erneuert werden müssen ... Vielleicht. Dass aber in den Kostenvergleichen immer die Kosten ausgeblendet werden, die ein Neubau als zusätzlicher Ressourcenverbraucher erzeugt, das verwundert dann doch. Und wer sich alle 50 Jahre einen Kulturneubau leistet, wird auch die geplanten Neubauten demnächs als obsolet klassifizieren: Sind einfach zu teuer in der Sanierung. Und dann haben sie nicht die Betriebsdauer zerzielt, die sie benötigen, um als energeeffizienter Bauten beispielsweise das Manko des Abrisses ausgeglichen haben. Und: Der Ausgleich, den wir jetzt, den wir heute und übermorgen dringend brauchen, kommt erst dann, wenn sowieso schon alles anders geworden ist. Mit dem Klima beispielsweise.
Kommt alles weg. Kommt alles neu. Hier soll es grün werden, bis zum Jüdischen Museum. Kulturmeile der Unkultur?
Foto: Benedikt Kraft
Und nicht zuletzt, und das gilt für alle sogenannten Kulturbauten: Ob wir in den Neubauten Oper und Schauspiel dann einen dramaturgischen Höhenflug erleben? Wohl kaum. Beckett geht auch im Kinosaal nebenan, Mozart hat Konzerte in Bierkneipen gegeben und ich habe meine schönsten Konzerte in Kirchen, Hörsälen oder im Freien, unter alten Bäumen erlebt. Zeitenwende? Wohl doch nicht, jedenfalls nicht unter dieser Kulturdezernentin Ina Hartwig, die Kulturniveau offenbar in der Höhe von Finanzinvestionen rechnet. Kosten im Augenblick: 1.3 Mrd. €. So geht Kultur den Bach, also den Main herunter!