Architektur im Dienst des Protests
Sehenswerte Ausstellung im DAM 06.11.2023Ist das Architektur oder kann das weg? Deutschland diskutiert über die Protestformen der Klimakleber – da kommt eine Ausstellung zu Architektur im Dienst einer politischen Sache genau zum richtigen Zeitpunkt. Nicht nur für Architekturliebhaber unbedingt sehenswert ist die Ausstellung „Protest/Architektur - Barrikaden, Camps, Sekundenkleber“ im Deutschen Architekturmuseum (DAM).
Von den Baumhäusern im Hambacher Forst bis hin zu Protestformen im internationalen Kontext wie in Hongkong oder Istanbul – die Ausstellung geht auf viele Protestformen, deren Ziele, Intentionen, Verläufe und Zusammenhänge ein. Dazu gehören unter anderem die Hongkong-Proteste 2014 und 2019, Occupy Wallstreet, die Startbahn West, der Tahrir-Platz, die Resurrection City, der Majdan, Gorleben, Lobau oder ein gefährdetes Auegebiet an der Donau. Protestarchitektur hat dabei auch immer zum Ziel, starke Bilder für die Medien zu erzeugen.
1980-1981, Hüttendorf Startbahn West, Frankfurt am Main, Bundesrepublik Deutschland Im Flörsheimer Wald südwestlich von Frankfurt am Main entstand ab Mai 1980 ein Protestcamp gegen den Ausbau des Frankfurter Flughafens. Blockiert wurde der Bauplatz der „Startbahn West“.
Foto: © Walter Keber, 1981 / DAM
seit 2012, Hambacher Wald, Deutschland Baumhaussiedlung im Hambacher Wald, ein seit 2012 besetztes Waldstück an der Grenze zum Tagebau Hambach. Über die Jahre entstanden dort aufwendig gebaute Strukturen mit Hängebrücken, Solarpaneelen und Heizöfen. Nach einer Räumung 2018 entstand eine neue Generation von miteinander vernetzten Baumhäusern.
Foto: © Tim Wagner, 26. Mai 2019 / DAM
Detailreiche Modelle, gebaut an der Technischen Universität München und der Hochschule für Technik Stuttgart (Leitung: Prof. Andreas Kretzer), zeigen Protestcamps von der Resurrection City 1968 bis zur Lobau-bleibt!-Bewegung 2021/2022. Vierzig „Bodenstrukturen“ aus Lützerath, zumeist Pfahlbauten, wurden von Rokas Wille (HfG Karlsruhe) mit Fotopapiermodellen dokumentiert. Der Regisseur Oliver Hardt entwickelte für die Ausstellung eine Filminstallation.
2019–2020, Hongkong Protestaktion mit Laserpointern vor dem Hong Kong Space Museum
Foto: Studio Incendo, 7. August 2019 (CC BY 2.0) / DAM
Blick in die Ausstellung
Foto: Moritz Bernoully / DAM
In Zusammenarbeit mit den Demonstrierenden konnte gar eine Hängebrücke aus dem Hambacher Wald übernommen werden. Auch ein 1:10-Hängemodell des Barrios Beechtown, eine Leihgabe des Künstlers Stephan Mörsch, zeigt diese Waldbesetzung. Die Ausstellungsarchitektur auf der um 1000 Quadratmeter erweiterten Fläche des DAM Ostend wurde vom Berliner Gestaltungskollektiv „Something Fantastic“ entwickelt. Die Ausstellungsmacher nutzten ausschließlich einfache Materien, die bereits im DAM vorhanden waren. Die Ausstellungsarchitektur selbst erinnert daher an Zelte und Barrikaden, wie wir sie in den ausgestellten Modellen sehen.
Stephan Mörsch: “Beechtown”, 2018-2023, © VG Bild-Kunst, Bonn 2023
Foto: Moritz Bernoully / DAM
Blick in die Ausstellung
Foto: Moritz Bernoully / DAM
Die Kuratorische Leitung hatte Oliver Elser (DAM) inne. Die gemeinsame Ausstellung des DAM – Deutsches Architekturmuseum und des MAK – Museum für angewandte Kunst in Wien ist noch bis zum 14. Januar 2024 in Frankfurt zu sehen. Unbedingt sehenswert auch das Begleitprogramm.
Ausstellung "Protest/Architektur - Barrikaden, Camps, Sekundenkleber", 16. September 2023 – 14. Januar 2024
DAM Ostend, Henschelstraße 18, 60314 Frankfurt am Main
Öffnungszeiten: Di, Do, Fr 12-18 Uhr, Mi 12-19 Uhr, Sa, So 11-18 Uhr
Mo geschlossen
Katalog: Protestarchitektur. Barrikaden, Camps, raumgreifende Taktiken 1830–2023, Park Books, Zürich, 19 Euro, 526 Seiten.