Kehrwochenbürgerfrieden gestört?
In Stuttgart wehren sich Bürger gegen das Milliardenprojekt „Stuttgart21“ 22.01.2018“Das Erhaltungsinteresse an dem Gesamtwerk Stuttgarter Hauptbahnhof wird durch den Zeitablauf von mehr als 54 Jahren seit dem Tod des Urhebers geschwächt.” (Landgericht Stuttgart vom 22.4.2010 in der Urheberklage des Bonnatz-Enkels Peter Dübbers. Dazu unten mehr im beiliegenden PDF).
In Deutschland wird wieder mehr protestiert, Menschen gehen auf die Straßen; auf ihre Straßen, möchte man sagen. Und protestieren gegen Energiekonzepte wie die Atomkraft (ja, immer noch), aber auch gegen Windparks, gegen Straßenbauten, gegen Etatkürzungen. Es wird natürlich auch für eine Sache demonstriert, in Sachen Architektur geht es immer um Baukultur. Könnte man meinen, schaut man sich die Liste der Demonstrationen an, die in den letzten Jahren Abrisse wenn nicht verhindern konnten, so doch zumindest sichtbar machten. Gegen Abrisse demonstrierten Bürger in der Provinz in Menden (Bahnhof), in der Landeshauptstadt Hannover (Landtag), in der Bundeshauptstadt Berlin (Ahornblatt, Palast der Republik und aktuell die Eisfabrik … ), in Nürnberg ging es fast ohne Proteste um den Milchhof, in Köln verhinderten man den Abriss des Kölner Schauspielhauses, den des Kindergartens St. Hermann Joseph (Böhm), ebenfalls Köln, interessierte dagegen kaum jemanden.
Und jetzt die Tumulte um den Bonnatz-Bahnhof in Stuttgart, Bürgerproteste, die empfindlich das stören, was dem Stuttgarter Beobachter immer die Kehrwoche dorten war: der Gemeinfrieden in allgemeiner Zwangsvollstreckung. Nun sind die Saubermachtage der Kehrwoche teils schon aus Mietverträgen gestrichen worden, Stuttgart schien sich der Jetztzeit nähern zu wollen. Ja mehr noch, die Landeshauptstadt (schon wieder eine) wollte Zukunftsmusiken aufspielen und sich von alten Zöpfen trennen (dem historisch wertvollen Hotel Silber beispielsweise). Oder dem Kopfbahnhof, welcher nach den Plänen des später in die Türkei ausgewanderten Architekten Bonnatz (mit Eugen Scholer) in den Jahren 1913–1927 realisiert wurde. Eigentlich nicht der schönsten einer, eher etwas für den Architekturhistoriker, erregt der Teilabriss (wohl in den kommenden Tagen soll es damit losgehen) die Gemüter wie kaum ein vergleichbares Projekt. So genannte Montagsdemonstrationen (jetzt auch mittwochs) versammeln wöchentlich mehr Protestierende vor dem Bahnhof; die einen wollen feiern, die anderen retten, wieder andere Krawall machen, nicht wenige sind wegen der bedrohten Bäume im anliegenden Schlosspark hier, einige, weil sie mit der Politik nicht einverstanden sind. Und natürlich ein paar durchaus prominente Architekten (Peter Conradi wurde gesichtet), die bereits ankündigten, sich notfalls anzuketten, wenn den Seitenflügel des Hauptbahnhofs „etwas angetan wird“, so jedenfalls Professor Gottfried Kiesow.
Die Bundesstiftung Baukultur (mit dem oben schon genannten Aktivisten Kiesow) versuchte es im Guten , doch wie soll ein derart lukratives Projekt noch gestoppt, verändert, verbessert werden, wenn viele längst ihre Gewinne bilanziert haben? Stuttgart21 könnte ein Menetekel werden, eine Warnung, es so nicht noch einmal zu machen, gegen alle Vernunft und auf Kosten eines unschätzbar wertvollen Bürgerfriedens jenseits aller Kehrwochenmentalität. Be. K.