Hauptbahnhof Stuttgart

Ein Text-/Bildband gerade zur rechten Zeit. Von Rüdiger Sinn, Stuttgart

Niemand hätte noch vor zwei Jahren geglaubt, dass der wohl nun berühmteste Bahnhof der Republik und das dem damit verbundenen Wahnsinnsprojekt Stuttgart 21 eine Landesregierung zu Fall bringen könnte – zumindest metaphorisch gesprochen. Der Regierungswechsel in Baden-Württemberg hatte sich letzten Sommer angebahnt, als Tausende für den Erhalt des Bonatzbaus auf die Straße gegangen sind. Die aktuellen Geschehnisse taten ihr übriges. Mittlerweile wurde von Seiten der Bahn auf die CDU-Abwahl reagiert und es ist ein Baustopp verhängt worden, zumindest so lange bis die Landesregierung neu gewählt ist.

„Gerade noch zum richtigen Zeitpunkt“, so könnte man sagen, ist der Bildband „Hauptbahnhof Stuttgart – Ein Wahrzeichen in Bildern“ im Buchhandel erschienen. Die Stuttgarter Fotografin Rose Hajdu beschäftigte sich seit 2009 intensiv mit dem Hauptbahnhof und eröffnet vor allem mit ihren Innenansichten neue Perspektiven. Sie war die Initiatorin des Buches. Vorausgegangen war eine Fotoserie des Bahnhofes für das Deutsche Dokumentationszentrum für Kunstgeschichte – Bildarchiv Foto Marburg.

Viele Ansichten sind dem Besucher bekannt. Der Bahnhofsturm, der als Blickpunkt der Königsstraße entworfen wurde und den jeder Stuttgarter Bub (allerdings wohl eher wegen des sich drehenden Mercedessterns) kennt, der kubische Baukörper, die Seitenflügel, die hohen Pfeilerkonstruktionen und die mächtige und wuchtige Bahnhofshalle. Bei allen Bildern geben die kunsthistorischen Erklärungen (Autorin ist Dr. phil. Habil. Ulrike Seeger) Aufschluss über die Entstehungsgeschichte.

Wirklich spannend und neu wird es, wenn die Fotografin interessante Blickwinkel zeigt, sich filigranen Baudetails widmet und die Orte aufsucht, die für den normalen Bahnhofsbesucher so gut wie verschlossen sind. Es finden sich wunderschöne Treppenaufgänge, bisweilen ganz aus Eichenholz oder in Kombination mit Steinguss oder Muschelkalk mit reichlich Verzierung. Dabei gleicht kein Treppenaufgang dem anderen, was auch der relativ langen Bauzeit zwischen 1914 und 1928 geschuldet ist, beziehungsweise der Inflation, die die Entwurfsplanung das ein und andere Mal über den Haufen warf.

Auch dem Untergrund widmet sich Rose Hajdu und das gleich auf mehreren Seiten. Die einstige Expressguthalle befindet sich unter den südlichen Gleisen des Bahnhofes. Die beachtliche, mächtige genietete Eisenträgerkonstruktion wird als technisches Kulturdenkmal eingestuft. So wie übrigens der Bonatzbau im Ganzen ein Kulturdenkmal ist.

Weshalb dieses Bauwerk, das als Wahrzeichen von Stuttgart gilt, im Zuge der Planungen für ein unzureichend geplantes und Milliarden schweres schwäbisches Projektle verstümmelt werden soll, das fragen sich nicht nur kulturbeflissene Menschen bis heute. Und vor allem: wo war das Landesdenkmalamt? Eine Antwort gab kürzlich der oberste Denkmalpfleger a. D., Norbert Bongratz selbst. Es hätte sehr wohl ausführliche Gutachten gegeben und darin wurde begründet, weshalb der Bahnhof als historisches Denkmal ganz erhalten werden sollte, sagte er der Stuttgarter Zeitung. Allerdings ist das Landesdenkmalamt in Baden-Württemberg seit Jahren keine eigene Behörde mehr, sondern seit 2005 den Regierungspräsidien unterstellt. Und darum hätte Bongratz, so seine Ausführungen während einer Ausstellungseröffnung zu Paul Bonatz in Tübingen, seinen Protest ohne Erlaubnis des Dienstherren nicht öffentlich machen dürfen. Der Regierungspräsident war bis 2007 Udo Andriof (CDU) und der hatte kein Interesse daran, die Kritik aus den Reihen der Denkmalschützer zu prüfen. Zu sehr war sich die Parteiriege wohl über das wichtige Projekt Stuttgart 21 einig. Andriof war übrigens, das eine kleine aber wichtige Fußnote, bis vor drei Wochen Projektsprecher des sogenannten Verkehrsinfrastrukturprojekts.

Das Buch kommt zur rechten Zeit und sollte all jenen zu denken geben, die sich hinter formaljuristischen Ausreden („ein Bürgerentscheid ist verfassungswidrig“), Kampfansagen („Bahnchef Grube droht Baden-Württemberg mit Milliardenzahlungen“) und wiederkehrenden Floskeln („das Projekt ist alternativlos“) verstecken und bis heute durchziehen wollen. Aber auch der zukünftige neue Vizelandeschef Nils Schmid (SPD) sollte sich das Buch unters Kopfkissen legen. Ein solches Kulturdenkmal zeigt, dass es in der modernen Welt um weit mehr als gesichtslose Prestigebauwerke geht, um Profitgier und Machtinteressen, sondern – vor allem in einer Stadt die nach dem zweiten Weltkrieg einen weiteren Krieg der Amputation von Baudenkmälern erleben musste – um Werterhaltung und damit Identitätsstiftung, um die Stadt (= Heimat) zu erhalten. Wenn es eine Tendenz in der Städteplanung geben sollte, und das zeigen die historischen Bilder in dem Buch auch, dann ist es die drastische Reduzierung von Verkehr und darin mündend die Wiederherstellung von Plätzen und Gestaltungsachsen. Die Planer von Stuttgart 21 besitzen die Dreistigkeit von lärmenden Zügen zu sprechen, die durch den neuen Tiefbahnhof aus der Stadt verschwinden sollen und übersehen, wie doch der Individual-Verkehr dieser Stadt die Luft zum Atmen nimmt und Lärmschneisen verursacht, viel gravierender als einfahrende Züge. Eine der größten umschlingt quasi den Stuttgarter Hauptbahnhof.

Die Architekten Paul Bonatz und Eugen Scholer haben ihren Bahnhof Umbilicus sueviae, also „den Nabel der Schwaben“ genannt und die Planer entschieden sich – entsprechend der geografischen Vorgaben des Stuttgarter Talkessels – logischerweise für einen Kopfbahnhof, der alle Gleise in sich bündelt. Die Autorinnen des Buches wünschen „dem geneigten Leser bei dem kommentierten Rundgang in Bildern neue Ein- und Ansichten“. Ähnlich einer Nabelschau, nur mit Weitblick, über den Kesselrand hinaus.

Rose Hajdu / UlrikSeeger, Hauptbahnhof Stuttgart, ein Wahrzeichen in Bildern. Jan Thorbecke Verlag, Ostfildern 2011, zahlr. Abb., 19,90 €,. ISBN 978-3-7995-0879-7

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