Bürohochhaus oder doch lieber Wohnen?
MVRDV gewinnen Wettbewerb „Gate 2“ am Simmering, Wien 22.01.2018Der Wettbewerb um die Bebauung einer Parzelle westlich der Wiener Gasometer ist entschieden: Gewonnen hat den von der BAI - Bauträger Austria Immobilien GmbH mit der Stadt Wien MA 21 - Stadtteilplanung Flächennutzung ausgelobte eingeladene Gutachterverfahren das Rotterdamer Büro MVRDV. Mit den Rotterdamern waren noch sieben weitere Büros geladen worden (zunächst nur fünf, auf Intervention der Kammer wurden es dann vier, dazu weitere, die sich in einem nicht anonymen Verfahren bewerben konnten).
Das zu entwerfende Hochhaus labelt unter dem gleichen Namen wie der zweiteilige Bürokomplex, der Ende 2014 fertiggestellt wurde und den kleinen Block im Westen der Wiener Gasometer auf zwei Seiten schließt. Arch.: HOFFMANN - JANZ Ziviltechniker GmbH, Wien).
Der Turm, dessen Taillierung in der Überarbeitungsphase gemindert wurde, „traut sich was“ aus Jury-Sicht. Die Architekten können die besondere Form jedoch begründen, insbesondere verweisen sie auf das Freibleiben von Sichtachsen, auf günstiger Windverhältnisse am Boden (öffentlicher Ort) sowie auf die Bezugnahme zur umgebenden Bebauung mit zwei Maßstäblichkeiten: Gründerzeithäuser und bereits bestehende Hochhäuser.
Und weil MVRDV für ihre zeitgemäßen Strategien im Wohnungsbau bekannt sind, bieten sie auch mit diesem Büroturm Variationen zum Thema Wohnen an … die Jury nannte das ein „robustes Planungskonzept“. „Robustheit“, auch das ist State of the Art. Be. K.
Aber lesen Sie selbst:
Projekttext von MVRDV:
„TURM MIT TAILLE – Das optimierte Hochhaus
KONTEXT
Das Gebiet um Wien’s weltberühmte Gasometer im Stadtteil Simmering befindet sich im Umbruch. Lange Zeit war es isoliert zwischen dem Stadtzentrum und dem Flughafen. Das neue Hochhaus ist Teil des Vorhabens, das Gebiet durch eine intensivere räumliche Nutzung an seine Umgebung anzubinden. Erstens, durch die Hinzufügung neuer Nutzungen, zweitens durch das Schließen von Baulücken um die Gasometer, und drittens, durch die Errichtung höherer Gebäude als städtebauliches Marketing-Tool.
Welche Art von Hochhaus kann diesem Vorhaben am Besten Ausdruck verleihen und ihm darüberhinaus mehr Inhalt geben? Könnte es ein Hochhaus sein, das Eigenschaften anderer freistehender Hochhäuser übernimmt? Eins, das flexible Nutzung ermöglicht, sodass es sich leicht an neue Bedingungen anpassen kann? Ein Hochhaus, das sogar ‚höflich‘ zu seiner Umgebung ist, indem es die Umgebung belebt und verbessert? Kurz gesagt, könnte es ein ‚höflicheres‘ Hochhaus sein nach einer durch Egoismus geprägten Epoche?
DAS KOMPAKTE HOCHHAUS
Verteilt man alle geforderten Nutzungen auf der vorgesehenen trapezförmigen Baufläche, ausgehend von einer regulären Geschosshöhe von 3,5 m, entsteht ein Volumen mit einer Höhe von 89 Metern, 14 m höher als die zulässige Gebäudehülle. Indem das Volumen maximal kompaktiert wird (vom dreieckigen Plan zu einem rechteckigen), vergrößert sich die Freifläche für öffentliche Nutzung, sodass eine großzüge Passage zur Metro und dem Gasometer realisiert werden kann. Durch diese Komprimierung der Baufläche ergibt sich ein Grundriss von 1.140 m2; ein schlanker Turm mit einer Höhe von 99,5 m entsteht.
DIE TAILLE
Das Hochhaus öffnet sich zum Stadtraum hin indem die Größe der unteren Ebenen reduziert wird. Die Reduzierung der Geschossfläche bewirkt allerdings, dass die Gebäudehöhe auf 110 m ansteigt – die gleiche Höhe wie der Turm, der auf dem Nachbargrundstück entstehen soll. Mehr städtebauliche Qualität auf den unteren Etagen ist ein Argument für diese größere Höhe. Wie ein Topmodel umgeben von Vollschlanken besticht das neue Hochhaus durch seine Taille und tritt in einen spannenden Dialog mit seiner Umgebung.
DIE KONSTRUKTION
Für die finanzielle Tragbarkeit des Projekts ist ein effizientes Konstruktionsprinzip außerordentlich wichtig. Dies betrifft einerseits eine effiziente Konstruktion, hier mit einem Stützenraster von 5,4m x 5,4m, andererseits einen effizient gestalteten Grundriss. Die Kerne und Korridore wurden optimiert, wodurch die Effizienz im Vergleich zum ersten Entwurf gesteigert wurde. Die rechteckige Form gleicht sich den Etagen an und ermöglicht einen für Büros und Wohnungen idealen Rundumgebrauch von min. 10 Metern, wodurch Korridore verringert werden. Hiermit erreicht das Gebäude einen effizient gestalteten Grundriss mit 81 % Nutzfläche, gesehen auf der ganzen Gebäudenutzfläche (im ersten Entwurf weniger als 70%).
Der Kern kann umgeben werden durch eine kostengünstige Bauweise mit Beton- oder Kompositstützen. Wo die Konstruktion Ausnahmen erfordert, kann Diagonalverband eingesetzt werden. Durch eine dünnere Bodenplatte von 25 cm kann Raumhöhe gewonnen werden, in den Büroetagen können 275 cm erreicht werden, auf den Wohnetagen 290 cm.
TERRASSEN
Ein Effekt der Taille sind die Terrassen in Richting Passage und Platz die Aussicht auf die Stadt bieten und den öffentlichen Raum beleben. An anderen Stellen der Taille entstehenauskragende Etagen die von Passage und Platz aus Einsicht erlauben. Auch in diesem Sinne benimmt sich das Gebäude höflich zur Umgebung und nimmt aktiv Teil an der Verbesserung des städtischen Umfelds.
WINDREDUKTION
Die Terrassen und die Form der Taille reduzieren Fallwinde und erhöhen auch auf diese Weise die Qualität der Umgebung. Die Form und Struktur der Taille wurde im Windtunnelmodel getestet, optimiert und bremst vertikale Fallwinde und reduziert die Windbelastung rund um den Turm. Glaswände schützen die Nutzer der Terrassen vor Wind.
EINE BEMERKENSWERTE FIGUR
Der Turm mit der Taille hat eine bemerkenswert schlanke Figur in der Wiener Skyline. Das Volumen des Turms zelebriert die Wiener Kombination von hochwertigen Stadtblöcken und Hochhäusern, da die Taille bis zur traditionellen Traufenhöhe der Gründerzeitgebäude reicht und die Gesamthöhe an andere, geplante, Hochhäuser angepasst ist. So entsteht ein Hochhaus das sich sowohl einfügt als auch herausragt. Die Taille ist auch eine wilkommene Antwort auf den oft introvertierten Charakter des Hochhauses im städtischen Kontext. Ein höfliches Hochhaus.“
Gewonnen haben MVRDV den Wettbewerb mit Bollinger + Grohmann Ingenieure Wien (Statik) und Energy Design Cody Consulting (Nachhaltigkeit). Die anderen Teilnehmer im Wettbewerb waren:
- Dietmar Feichtinger Architectes
- Dominique Perrault Architecture
- KCAP Architects & Planners
- Bevk Perovic Arhitekti
- Delugan Meissl
- Burkard Meyer Architekten
- Sauerbruch Hutton
- Nieto Sobejano Arquitectos
- eep architekten und
- Pichler & Traupmann Architekten.