Dämmen – nur eine Übergangstechnologie?
22.01.2018Architekten aus Österreich und der Schweiz präsentierten am 24. Mai im Deutschen Architekturzentrum DAZ in Berlin neue und wiederentdeckte Lösungen für energetisch optimierte sowie ansprechende Gebäude.
Im Vorfeld der Fussballeuropameisterschaft plädiert die Bundesstiftung Baukultur dafür, dass Deutschland zumindest auf den Titel „Dämm-Meister“ verzichtet. Thema der Veranstaltung „Baukultur im Klimawandel“, die am 24. Mai im Deutschen Architekturzentrum DAZ stattfand, war zeitgemäßes energieeffizientes Bauen. Moderne nachhaltige Architektur ist noch längst nicht zu Ende gedacht und beschränkt sich nicht auf das „Passivhaus in der Pampa“ – so das Fazit.
Rund hundert Personen kamen zu der Veranstaltung, die von der Architekturkritikerin Ira Mazzoni moderiert wurde. Hansruedi Preisig aus Zürich und Michael Kaufmann aus Schwarzach im Vorarlberg (Österreich) lieferten spannende Beispiele für zeitgemäße nachhaltige Architektur und dafür nötige Konzepte. Viele der Experten sahen in der Verdichtung von Städten ein wichtiges Mittel, um den Energieverbrauch zu reduzieren. Die Veranstaltung war der Auftakt einer Reihe von vier Podiumsdiskussionen der Bundesstiftung Baukultur, die von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt gefördert wird.
Deutschland auf dem Weg zum Dämm-Meister
„Ich fürchte, dass der energetische Umbau das Erscheinungsbild unserer Städte ähnlich zurichtet, wie einst die autogerechte Stadt“, warnte Michael Braum, Vorstandsvorsitzender der Bundesstiftung. Alarmiert zeigte sich auch Olaf Bahner, Referent beim Bund Deutscher Architekten BDA: „In diesem Jahr sind etwa 52 Millionen Quadratmeter Wärmedämmverbundsystem an die Häuser gebracht worden. Das entspricht einer Fläche von 6.000 Fußballfeldern.“ Für die Entsorgung des Materials Polystyrol, aus dem die Dämmungen bestehen, hielte die Industrie aber noch keine überzeugenden Lösungen bereit. Zentrale Herausforderungen benannte auch Sabine Djahanschah, Leiterin des Referats für Architektur und Bauwesen an der Deutschen Bundesstiftung Umwelt: „Forschungsbedarf sehe ich bei der Gesundheitsrelevanz und der Umwelt- verträglichkeit von Baustoffen, oder auch bei Lebenszyklusanalysen.“
Klimaschutz weder objekt- noch stadtgerecht
Michael Schumacher, Architekt aus Frankfurt am Main, berichtete in seinem Vortrag „Dauerhaft und schön“ über Sanierungsprojekte seines Büros, wie die Städelschule und das Amerikahaus in Frankfurt am Main. Solche baukulturell anspruchsvollen Beispiele würden den heutigen Maßstäben der energetischen Zertifizierung nicht mehr gerecht. Ein weiteres Projekt, der Erweiterungsbau einer Ganztagsschule in Frankfurt am Main, habe gezeigt, wie die politisch gut gemeinte Vorgaben der Zertifizierung am konkreten Objekt scheitern können: Durch Dämmung und aufwendige Verglasung erhöhten sich die Baukosten für den Erweiterungsbau um fünfzehn Prozent. Der Nutzen sei jedoch zweifelhaft: „Das Gebäude wird vor allem mittags genutzt. 200 Schüler essen dort: Es wird gekocht, das Haus wärmt sich auf. Die dreifachverglasten Türen sind außerdem zu schwer.“
Kritisch zeigte sich auch Michael Krautzberger, stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Stiftung Denkmalschutz, in seinem Vortrag über „Das baukulturelle Erbe in Zeiten des Klimawandels“. Das Problem der Gebäudezertifizierung bestünde vor allem darin, dass Neubaustandards gemäß ́Schema F ́ auf Altbauten übertragen werden. Bis der Ausbau von regenerativen Energien gelingt, bleibe das Dämmen eine Über- gangstechnologie, so Krautzberger. Umso schlimmer, dass durch diese Technologie das Gesicht der europäischen Stadt bedroht sei. „Sie ist ein Unikat, das man nicht ohne Weiteres umgestalten kann“, mahnte Krautzberger. Rede er mit Klimaforschern über deren Vorstellung von Stadt, werde ihm unbehaglich: „Sie berichten über Alu-Kisten, die kleine Energiefabriken sind.“
Regionale Ressourcen nutzen
„Die Energiewende kann eine Chance sein zur Überwindung der globalisierten Architektur“, so die versöhnliche These von Hermann Kaufmann, Architekt aus Österreich und Professor mit dem Fachgebiet Holzbau am Institut für Bautechnik und Entwerfen der TU München. „Das Billig-Öl war das Opium, das uns blöd gemacht und dazu geführt hat, dass wir die Konzepte für energieeffizientes Bauen vergessen haben – nun müssen wir die alten Prinzipien wieder entdecken und für unsere Zeit interpretieren“, so Kaufmann. In der Rückbesinnung auf regionale Rohstoffe wie Holz oder Lehm sehe er eine Möglichkeit. Neuinterpretiert lasse sich die traditionelle Holzbauweise aus dem Vorarlberg auch anwenden auf moderne Bauten, vom städtischen Gemeindezentrum bis zum achtgeschossigen Hochhaus. Nachhaltige Gebäude müssten zudem nutzungsneutrale Grundrisse bereitstellen und über ein großzügiges Raumangebot verfügen.
Der gesellschaftspolitische Überbau fehlt noch
Hansruedi Preisig, Architekt aus Zürich, setzte bei seinem Vortrag vor allem auf den nötigen Überbau, der in Deutschland bei allem Klimaschutzeifer fehle. In der Schweiz wurde dafür das Modell der lebensstilorientierten 2.000-Watt-Gesellschaft entwickelt. Dies umfasst die Deckelung des Verbrauchs pro Kopf auf 500 Watt aus fossilen und 1.500 Watt aus erneuerbaren Energien. Der Schweizerische Ingenieur- und Architektenverein habe entsprechende Leitvorgaben für den Baubereich erarbeitet. Neben einem Merkblatt für Architekten gehört dazu auch ein Rechentool für den Entwurf. „Hier werden die Weichen für den späteren Energieverbrauch gestellt“, so Preisig. Nicht zuletzt sei eine wichtige Voraussetzung, dass die Bevölkerung den Wandel mittrage. Rund zwei Drittel der Züricher stimmten dem Konzept der 2.000-Watt- Gesellschaft per Referendum zu. Wie weit die Gesellschaft ist, zeigt sich auch darin, dass die Hälfte der Haushalte – wie Preisig – ohne Auto auskommt.
Im Anhang die Sechs Thesen der Bundesstiftung über "Baukultur im Klimawandel".