Hang zum Traditionellen
„Martin Elsaesser und das Neue Frankfurt“ im Deutschen Architekturmuseum, von Marc Peschke 22.01.2018Martin Elsaesser, geboren am 28. Mai 1884 in Tübingen, verstorben am 5. August 1957 in Stuttgart. Dazwischen: ein Architektenleben, das in seiner Fülle und Vielgestaltigkeit wenig bekannt ist. Jetzt erinnert eine Ausstellung im Deutschen Architekturmuseum an den Architekten, der lange in Frankfurt gewirkt hat.
Martin Elsaesser war ein Architekt zwischen den Zeiten. Von 1902 bis 1906 studierte er in München Architektur bei Friedrich von Thiersch, später in Stuttgart bei Theodor Fischer – wurde noch geprägt von dem Gestus der schlichten Monumentalität der Reformarchitektur, um sich bald für die Bauideen der Moderne zu begeistern.
Bekannt geworden ist er durch seine vielen Kirchenbauten in Südwestdeutschland – Beispiele einer technisch modernen Architektur, die mit Elementen historischer Baustile verbunden wurde. Doch die bedeutendsten Bauaufgaben Elsaessers sind profaner Natur: Schulen hat er geplant, wie die Kunstgewerbeschule in Köln. Ein wichtiger Bau ist die Stuttgarter Markthalle, bei der Elsässer deutlich die gotische Baukunst zitiert.
1925 wechselte der Architekt nach Frankfurt, nach einer Professur an der TH Stuttgart und seiner Arbeit an der Kunstgewerbeschule in Köln. Der Frankfurter Oberbürgermeister Ludwig Landmann machte ihn zum Leiter des Hochbauamts, wo er neben Stadtbaurat Ernst May sieben Jahre lang die Bauvorhaben der Stadt entscheidend mitbestimmte. Hier baute er Schulen von strenger Formgebung – Gebäude für das „Neue Frankfurt“, die den Funktionalismus der Zeit stets mit einem Hang zum Traditionellen verbinden. Die Ausstellung „Martin Elsaesser und das Neue Frankfurt“, ab Oktober zu sehen im Deutschen Architekturmuseum, stellt Elsaessers Frankfurter Bauten wie die Pestalozzi-Schule, die Holzhausenschule, Elsaessers Wohnhaus in Ginnheim, das Fechenheimer Hallenschwimmbad oder die Gustav-Adolf-Kirche in Niederursel anhand von Plänen, Texten, Modellen, einem Dokumentarfilm sowie historischen und aktuellen Fotografien vor.
Der wichtigste Bau der Frankfurter Zeit, die 220 Meter lange, ohne Stützen in Stahlbetonkonstruktion errichtete Großmarkthalle, wurde 1926 bis 1928 gebaut. Hier wendet Elsaesser modernste Stahlbetonschalen an – ohne auf expressionistische Gestaltungsmerkmale zu verzichten. Der Backstein ist Elsaessers liebstes Baumaterial – seine besten Bauten entstehen in diesen Jahren. Ein weiteres Glanzstück: die Villa für Philipp F. Reemtsma in Hamburg-Othmarschen – außerordentliches Beispiel der Architektur-Moderne um 1930.
Einer wie Elsaesser konnte in Nazi-Deutschland nicht bauen. Er bleibt bis 1945 in Deutschland ohne Aufträge – wird seiner kreativsten Zeit beraubt. In diesen Jahren realisiert er den Bau der Sümer-Bank in Ankara. Sonst zeichnet er. Entwürfe mit utopischem Charakter. Nie wird etwas davon gebaut.
Nach dem Krieg lehrt Elsaesser wieder an der Technischen Hochschule in München, doch seine große Zeit ist vorüber. Ein Wohnhochhaus plant er noch. Kein Vergleich mit der regen Bautätigkeit der zwanziger Jahre. Der Wiederaufbau Deutschlands – er findet ohne Elsässer statt.
Seit diesem Jahr kümmert sich die von drei Enkeln Elsaessers gegründete Martin-Elsaesser-Stiftung um das Werk des Architekten, dessen Rolle in der Architekturgeschichte schwer zu umreißen ist. Ist er ein „avantgardistischer Baukünstler“, wie ihn Rainer Meyer in seiner 1988 erschienenen Dissertation nennt? Ist er der technische Erneuerer – oder ein ästhetischer Traditionalist, der sich immer wieder gegen den Formalismus moderner Fassadengestaltung ausgesprochen hat? Die von Christina Gräwe kuratierte Schau wird zeigen: Elsaesser ist ein Vermittler zwischen Tradition und Moderne.
Spannend wird sein, zu sehen, wie die Ausstellung zum Thema Großmarkthalle Stellung bezieht. „Es wird zwei Modelle geben: eins, dass den Zustand von 1928 zeigt und eins mit dem zukünftigen Hochhaus“, verrät die Kuratorin. Bekanntermaßen soll das Gelände der denkmalgeschützten Großmarkthalle bald der zukünftige Sitz der Europäischen Zentralbank werden. Der vom Wiener Architekturbüro Coop Himmelb(l)au geplante EZB-Neubau ist als Ensemble mit zwei ineinander verschlungenen Hochhäusern vorgesehen – ein, vorsichtig ausgedrückt, brutaler, äußerst umstrittener Entwurf. Die Großmarkthalle, wie Elsaesser sie entworfen hat, einzigartiges Denkmal der Baukunst, historisch aufgeladener Ort – Sammelpunkt für die Deportation Frankfurter Juden seit 1941 –, soll verschwinden, ihr Dach-Gewölbe durch einen Querriegel durchbrochen, ein neuer Eingangsbereich geschaffen werden. Ein Architektur-Skandal mit Erlaubnis des hessischen Landesamts für Denkmalpflege.
Annex-Gebäude wurden bereits aus dem Denkmalschutz entlassen, dann im vergangenen Jahr abgerissen. Und es geht immer schlimmer: Nach dem Abbruch verkündete die EZB im Juni 2008 den Baustopp. Denn leider fand sich kein Generalunternehmer für den Bau. 500 Millionen hatte die EZB für den „Skytower“ vorgesehen, aber nur ein Angebot über 1,4 Milliarden Euro erhalten. Nun wird der Bau neu ausgeschrieben. Ende 2009 will man entscheiden, was denn jetzt aus dem Restbau Elsaessers werden soll. Ein Grund mehr, sich diese Ausstellung anzusehen.
Martin Elsaesser und das neue Frankfurt
10. Oktober 2009 bis 14. März 2010, Eröffnung am 9. Oktober um 19 Uhr
Deutsches Architekturmuseum
Schaumainkai 43
60596 Frankfurt am Main