Von Jahr zu Jahr schöner bröckeln
Max Dudlers Besucherzentrum und sein Infopavillon in Bielefeld sind den Bürgern nicht geheuer 22.01.2018Burgen bröckeln. Das macht ihren Charme aus. Oder anders: Würden Burgen nicht auch zu Ruinen, wären sie heute wohl nicht so attraktiv. Die Mystifizierung bröckelnder Burgen haben wir der Romantik zu verdanken, ihre Inszenierung als bewohnbare Nachahmungen der Neogotik. Geschichten, die sich um Burgen und Burganlagen ranken resultieren aus sichtbarer Geschichtlichkeit und die bildet sich aus gespaltenen Mauern, überwucherten Toren und Torbögen, aus tiefen Brunnen und nach Moder riechenden Verliesen. Schießscharten weisen Schusslinien, Pechlöcher in Pechnasen vermitteln Verteidigungswillen um jeden Preis. Burgen bröckeln dennoch, mithin ein Grund, warum so viele dorthin fahren.
In Bielefeld steht seit etwa 1000 Jahren die Sparrenburg strategisch richtig am Durchbruch des Teutoburger Waldes. Hoch über der Stadt und doch mitten im Brausen des Autolärms unten zieht die Burg Besucher an. Bis vor Kurzem gab dort einen sporadisch geöffneten Pavillon mit Eis am Stiel und Bratwurst. Das Geld für die Turmbesteigung musste am Turm entrichtet werden bei jemandem, der in einen winzigen Unterstand gezwängt saß. Der Pavillon am inneren Burghofzug war zweckdienlich, aber auch er bröckelte wie immer stärker die Burg. Um diese nun, die am viel bewanderten „Hermannsweg“ liegt, vor gefährlicher und wohl möglich letzter Erosion zu bewahren, wurden die mächtigen Mauern auch mit Bürgerschaftsinitiative saniert. Es gab neue Absturzsicherungen, Ausgrabungen, neue Sitzmöbel und neue Hinweisschilder auf Geschichte und Aussicht. Und die ist vom Turm aus beeindruckend.
Aussicht kann man auch von der der Burg gegenüberliegenden Seite aus haben, von der historischen Garten- und Parkanlage Johannisberg, die lange zum bevorzugten Naherholungsgebiet der Stadt gehörte. Sie diente in den letzten Jahrzehnten aber zunehmend allein einem hier angesiedelten Hotel als Grünfläche. Seit ein paar Jahren nun wird die Grünanlage mit historisch durchaus heiklen Bestandsteilen wiederhergestellt. Grund genug, den im April 2013 entschiedenen, geladenen Wettbewerb sowohl für ein Besucherzentrum auf der Burg wie auch einen Info-Pavillon am Zugang zur Parkanlage gegenüber ausloben. Beide Bauten sollten dabei eine Art Klammer bilden zwischen den historisch geformten Natur- und Kulturäumen hüben wie drüben (im Tal läuft der autobahnähnlich ausgebaute und alles zerschneidende „Ostwestfalendamm“).
Gewonnen hatte den Wettbewerb das Büro Max Dudler, Berlin, auch weil, so in der Jury-Beurteilung nachzulesen, „auf Grund der einfachen Konstruktion massiver Wände mit Öffnungen für beide Gebäudeanlagen […] es sich um wirtschaftliche Entwurfsvorschläge [handelt], die sowohl in der Erstellung wie auch in einer späteren Unterhaltung der Aufgabe angemessen erscheinen.“
Womit wir wieder beim Bröckeln wären. Die Wandaufbauten der Neubauten machen Probleme. Leserbriefe in der lokalen Presse spiegeln die Sorge mancher wider, die Neubauten (die Rede ist noch nur von dem schon in 2014 fertiggestellten und eröffneten Besucherzentrum) seien jetzt schon ruinös und einsturzgefährdet. Dudlers Bielefelder Außenhautvariante des für das Büro fast schon Standard seienden Typus Besucherzentrum (so am Hambacher und Heidelberger Schloss) ist eine ca. 20 cm breite Stampfbetonlage, die vor einem konventionellen, mit Dichtschlämme geschützten Mauerwerk per Hand eingebracht und verdichtet wurde. Unterschiedlich farbige Zuschläge ergeben eine horizontale, dezent leuchtende Farbbänderung rings um den schlichten Quader.
Diese sichtbar poröse Fassadenhaut platzt nun in kleinen Teilen ab. Zudem laden die scharfkantig ausgebildeten Ecken dazu ein, diese auf Haltbarkeit zu prüfen; es gibt erste Materialverluste. Und erste Reparaturarbeiten, die so zweckmäßig wie unschön daher kommen. Der Betonbauer dazu in der lokalen Presse: „Ich gebe zu, die Farbe der Spachtelmasse ist nicht ideal gewählt.“ Nach Auskunft des Bauherren, des Immobilienservicebetriebs der Stadt Bielefeld (ISB), wollte man bei den Kanten beispielsweise auf das übliche Einlegen von Dreikantleisten in die Schalungswinkel verzichten, da diese die Gebäudeecken zu flächig hätten werden lassen. Auch wolle das Büro Dudler die Bauten bewusst einer Erosion aussetzen, diese greife schließlich auch bei der Burg in deren Substanz ein. Natürliche Alterung für einen Neuzweckbau?
Es habe, so ein Mitarbeiter beim ISB weiter, vor der Realisierung Testreihen für den Stampfbeton gegeben. Mit deren Ergebnis sei man zufrieden gewesen. Die „Wasserschäden“ – dunkle Verfärbungen auf der Oberfläche nach Regen – seien ebenfalls gewollt, ein Attika-Überstand (zum Beispiel ein Blech) dagegen nicht. Der Bau solle monolithisch wirken. Mitte März wird der Info-Pavillon mit dem Toilettenhaus am Johannisberg eröffnet. Beschädigungen hier waren vermutlich die Folge vom unachtsamen Schneeräumen, so der Vertreter des ISB.
Die abseits liegenden Pavillons werden aber nicht bloß von Räumdiensten bedroht, Vandalismus und Graffiti sind erwartbar. Ob das mit der Vorstellung des Architekten Hand in Hand geht darf bezweifelt werden. Aber welche Art der Erosion ist erlaubt, welche nicht? Die Stärke der Burgmauern kann man in Metern angeben, hier ist Erosion vielleicht noch eine Art von Veredlungsprozess (so lange nichts einstürzt). Bei den Neu- wie Zubauten kann man sich da nicht sicher sein. „Meine Vorschläge“, so der Betonbauer, „sind zum Großteil nicht berücksichtigt worden und jetzt sieht das Besucherzentrum eben aus, wie es aussieht.“ Immer noch sehr gut, liebe Bielefelder! Und es wird von Jahr zu Jahr schöner. Be. K.