Corona und die Baustelle

DBZ Webinar: Corona – Baurechtliche Fragen

am 23. April 2020 ab 15 Uhr

Wie lange wird der Baustellenbetrieb noch aufrechterhalten? Was ist, wenn es zu Verzögerungen des Bauvorhabens aufgrund von Lieferengpässen kommt? Was gilt bei einer Stilllegung der Baustelle? Sind die Verträge einzuhalten? In diesem Artikel gibt Dr. Thomas Senff von der Kanzlei GvW Graf Westphalen einen rechtlichen Ausblick.

Corona-Baustelle Der Justizpalast von Renzo Piano ist bereits fertiggestellt. Doch wie viele Baustellen werden durch die Coronakrise geschlossen?
Foto: Sarah Centgraf / DBZ

Der Justizpalast von Renzo Piano ist bereits fertiggestellt. Doch wie viele Baustellen werden durch die Coronakrise geschlossen?
Foto: Sarah Centgraf / DBZ

Es ist leider absehbar, dass es zu epidemiebedingten Verzögerungen, Stillständen und sonstigen Störungen in Bezug auf die Planung, Genehmigung und Ausführung von Bauvorhaben in Deutschland kommen wird. Haftungsrechtlich gesehen, betreten wir dabei Neuland. Von Epidemien oder gar Pandemien auf deutschen Baustellen sind wir glücklicherweise bislang verschont geblieben. Auf eine gefestigte Rechtsprechung kann zur Lösung der aufkommenden Rechtsfragen daher nicht zurückgegriffen werden. Dies hat aus Sicht eines Juristen Nachteile, aber auch Vorteile, eröffnet es doch Spielräume für eigene Argumente.

Verzögerungen des Bauvorhabens
Das größte Problem werden Lieferprobleme für Materialien und – leider – eine Ansteckung des Personals sein (mit hoffentlich baldiger Genesung), die die Produktivität der Baustelle oder der Planung ebenfalls deutlich beeinträchtigen werden. Zunächst fällt es nach den meisten Verträgen bei größeren Bauprojekten in den Pflichten- und Risikobereich des Auftragnehmers, hinreichend Personal und Material vorzuhalten. Die branchenübliche VOB Teil B hebt dies sogar besonders hervor.

Höhere Gewalt?
Zwar kann man daher von einer Art Beschaffungsrisiko des Auftragnehmers sprechen. Doch findet auch dieses seine Grenze. In der Regelungswelt der v.g. VOB Teil B gilt nämlich, dass dem Auftragnehmer bei höherer Gewalt oder anderer für den Auftragnehmer unabwendbarer Ereignisse jedenfalls ein Anspruch auf Verlängerung seiner Ausführungsfristen zusteht. Unter höherer Gewalt oder auch force majeure verstehen Juristen ein von außen einwirkendes und objektiv unabwendbares Ereignis. Eine Pandemie gehört sicherlich dazu. Aber so einfach ist es nicht. Fragen bleiben zu klären: Können wichtige Baustoffe und andere Materialien wirklich nicht mehr beschafft werden – oder haben sich diese nur erheblich verteuert? Dass Deckungskäufe verlustreich sind, hat die Rechtsprechung noch nie als höhere Gewalt gelten lassen.

Während die Klärung dieser Fragen also eine Befassung mit jedem Einzelfall voraussetzt, duldet die Einhaltung der auch sonst üblichen formalen Anforderungen keinen Aufschub: Behinderungsanzeigen sind also weiter zu schreiben!

Wer kommt für den Schaden auf?
Weitaus problematischer gestaltet sich die Rechtslage bei der Frage nach Ersatz der durch die virusbedingten Vermögenseinbußen. Und das gilt sowohl aus Sicht des Auftraggebers als auch des Auftragnehmers. Die wechselseitigen Ansprüche auf Schadensersatz setzen jeweils ein Verschulden der anderen Vertragsseite voraus. Für eine Pandemie kann niemand etwas. Doch trügt die Einfachheit dieser Feststellung. Die zentrale Haftungsregelung des BGB besagt ausdrücklich, dass es hier nicht nur um das Vorliegen von Vorsatz oder Fahrlässigkeit geht, sondern vielmehr ist sorgfältig zu prüfen, ob eine strengere oder mildere Haftung „aus dem sonstigen Inhalt des Schuldverhältnisses, insbesondere aus der Übernahme einer Garantie oder eines Beschaffungsrisikos zu entnehmen ist.“ Kurz gesagt, sind das Bauvorhaben und die geschlossenen Verträge tiefgehend zu analysieren. Erst dann weiß man, ob nicht doch eine Vertragsseite die Haftung auch für die Auswirkungen der Corona-Krise trägt – und mithin die andere Seite finanziell zu entschädigen hat.

Was gilt bei einer Stilllegung der Baustelle?
Der massivste Eingriff in ein Bauvorhaben liegt zweifellos in der völligen Stilllegung der Baustelle durch die Behörden. Dies betrifft auf den ersten Blick eher die Risikosphäre des Auftraggebers als die des Auftragnehmers. Grundsätzlich gehört es zu den auftraggeberseitigen Mitwirkungspflichten, die Baustelle zur Verfügung zu stellen und somit die Bauausführung zu ermöglichen. Sollte dies dem Auftraggeber nicht mehr möglich sein, weil die die Behörden die Baustelle selbst schließen oder etwa diese in einem nicht mehr frei zugänglichen Sperrgebiet liegt, kommen Schadensersatz-, Entschädigungs- und Kündigungsansprüche des Auftragnehmers in Betracht. Dass den Auftraggeber an der Epidemie kein Verschulden trifft, schützt diesen nicht vor jeder Haftung. Denn die Ermöglichung der Bauausführung liegt, wie gesagt, in dessen Risikosphäre. Umstritten ist vieles in diesem Bereich. Es ist beispielsweise etwas ganz anderes, ob der Auftraggeber die Baumaßnahme beispielsweise wegen Finanzierungsproblemen nicht beginnen lässt, oder ob der Virus dem Bauherrn einen Strich durch die Rechnung macht. Ansprüche gegen den Auftraggeber werden sich also keineswegs einfach so ergeben, sondern jeder konkrete Fall ist unter die juristische Lupe zu nehmen.

Pacta sunt servanda – oder?
Verträge, welche in der Vor-Corona-Zeit geschlossen wurde, werden sich teilweise für die Marktteilnehmer heute und in der Zukunft nicht mehr als wirtschaftlich günstig darstellen. Beide Vertragsparteien können daher ein Interesse an einem schnellen Exit haben. Doch pacta sunt servanda (Verträge sind einzuhalten). Lässt man die immer zulässige ordentliche Kündigung des Auftraggebers (bei einem weitgehenden Vergütungsanspruch des Auftragnehmers) außer Acht, kommt vor allem eine Kündigung aus wichtigem Grund oder ein Rücktritt wegen geänderter Geschäftsgrundlage in Betracht. Im Kern entscheidet sich dies bei der Frage nach der Zumutbarkeit des weiteren Festhaltens am Vertrag. Und nicht zu vergessen ist dabei, dass beide Vertragsparteien von der Corona-Krise betroffen sein dürften. Interessant und ab Juni wahrscheinlich vielfach im Fokus des rechtlichen Interesses ist eine besondere Regelung aus der VOB Teil B. Danach ist jede Partei berechtigt den Vertrag im Falle einer Unterbrechung der Bauausführung von mehr als drei Monaten zu kündigen!

Und was ist jetzt zu tun?
Als erstes gilt es, die Realität anzuerkennen und sich auch auf die rechtliche Bewältigung der Krise zu konzentrieren. Unabhängig, ob Sie Auftraggeber oder Auftragnehmer sind, ob Sie als Architekt, Ingenieur oder Projektsteuerer handeln oder ob Sie Bauprojekte auf Investoren oder Nutzerseite begleiten, müssen Sie jetzt die rechtlichen Voraussetzungen für die bestmögliche Durchsetzung eigener Ansprüche oder Abwehr fremder Ansprüche schaffen. Genauso entscheidend wird es sein, für Sie akzeptable Verhandlungslösungen zu erreichen und langwierige und kostenintensive Gerichtsprozesse zu vermeiden.

Dr. Thomas Senff ist Leiter der Praxisgruppe Baurecht bei GvW Graf von Westphalen, https://www.gvw.com/anwaelte/detail/dr-thomas-senff.html


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