Frei, aber nicht folgenfrei: Auflösung von Bau- und Werkverträgen

Eine Besteller:in darf einen Bau- oder Werksvertrag jederzeit ohne Angaben von Gründen kündigen. In der Praxis ergeben sich daraus jedoch mannigfaltige rechtliche und finanzielle Fallstricke. Weshalb eine einvernehmliche Lösung meist die bessere Wahl ist

Die Entscheidung zwischen Rücktritt und Kündigung stellt sich als eine wichtige Frage dar, wenn Auftraggeber:innen aus einem Werk- oder Bauvertrag ausscheiden möchten. Im Vergleich zu Auftragnehmer:innen, die an gewisse rechtliche und vertragliche Bedingungen gebunden sind, haben Auftraggeber:innen (auch Besteller:innen, Bauunternehmer:innen, Architekt:innen, etc.) sogar das Recht, jederzeit ohne Angabe von Gründen zu kündigen. Dennoch gibt es überzeugende Argumente, die dafürsprechen, dass die „freie Kündigung“ stets als letztes geeignetes Mittel betrachtet werden sollte.

Im Zusammenhang mit gestörten Abläufen bei Bauvorhaben können nicht nur Auftragnehmer:innen wie Bauunternehmer:innen oder Architekt:innen, sondern auch Auftraggeber:innen bzw. Besteller:innen in die Situation geraten, den Werk- oder Bauvertrag zu kündigen. In diesem Beitrag wird nachfolgend orientiert an den Aufsätzen von Dr. Christian Behrens LL.M. die Kündigung aus wichtigem Grund behandelt, wobei ein besonderer Fokus auf der freien Kündigung nach § 648 BGB liegt. Der Begriff „Auftraggeber:in“ bezieht sich hier nicht ausschließlich auf Bauherrinnen oder Bauherren, sondern kann auch Unternehmen umfassen, die als Besteller:in Vertragspartei sind, beispielsweise eine Generalunternehmer:in, der ihrerseits Werkverträge mit Nachunternehmer:innen abschließt.

Kündigung aus wichtigem Grund

Die Beendigung eines Vertrages aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist, wie es wörtlich im Gesetz festgelegt ist, kann für die Auftraggeber:in unerwünschte und potenziell kostspielige Konsequenzen haben. Denn im Falle einer Kündigung, die sich im Nachhinein als unwirksam erweist, weil tatsächlich kein wichtiger Grund im Sinne von § 648a BGB vorlag, kann sie gemäß § 648 BGB in eine „freie“ Kündigung umgedeutet werden. Allerdings kann diese „freie“ Kündigung für Auftraggeber:innen nachteilige Folgen, insbesondere in Bezug auf Kosten, haben, die möglicherweise nicht beabsichtigt sind.

Um eine derartige Auslegung oder Umdeutung der Kündigungserklärung zu vermeiden, empfiehlt es sich, dass Auftraggeber:innen stets ausdrücklich von einer „Kündigung aus wichtigem Grund“ sprechen und sich zusätzlich ausdrücklich auf den § 648a BGB beziehen. Darüber hinaus kann die Auftraggeber:in klarstellend erklären, dass er/sie eine „freie Kündigung“ nicht beabsichtigt. Es ist auch ratsam, die Kündigung stets schriftlich zu erklären, um Beweiszwecken zu genügen. Im Falle eines Bauvertrags (§§ 650a ff BGB) ist dies gemäß § 650h BGB sogar zwingend erforderlich, da eine mündlich erklärte Kündigung eines Bauvertrags ohnehin unwirksam wäre.

Die „freie“ Kündigung

Das derzeit in § 648 BGB normierte „Kündigungsrecht des Bestellers“ wurde bereits bei der Einführung des BGB im Jahr 1896/1900 vom Gesetzgeber vorgesehen („Der Besteller kann bis zur Vollendung des Werkes jederzeit den Vertrag kündigen“). Dieses Kündigungsrecht berücksichtigt die Besonderheit von Werk- oder Bauverträgen, die streng an den Erfolg geknüpft sind. Denn nur eine Auftraggeber:in kann ein Interesse an dem von der Auftragnehmer:in zu erzielenden Erfolg haben, während die Auftragnehmer:in lediglich ein mittelbares Interesse an der Erbringung des vereinbarten Werks hat, da er/sie letztendlich den vertraglich vereinbarten Werklohn erhalten möchte.

Das Interesse des Bestellers an dem Erfolg des Werks kann nach Vertragsschluss aus Gründen, die ausschließlich in seiner Sphäre liegen, wieder entfallen. Zum Beispiel wird das bereits geplante gemeinsame Einfamilienhaus nach dem zwischenzeitlichen Scheitern der Beziehung doch nicht mehr benötigt oder der in Bayern bereits im Bau befindliche Bungalow wird nach einer kurzfristigen berufsbedingten Auswanderung ins Ausland nicht mehr benötigt.

Besondere Voraussetzungen

Die Beweggründe für eine freie Kündigung seitens der Auftraggeber:in (z. B. Bauunternehmer:in, Handwerker:in usw.) können unterschiedlich sein, doch sie haben alle eins gemein: Anders als bei einer Kündigung aus wichtigem Grund, ist die Auftragnehmer:in nicht verpflichtet, einen Anlass für die Kündigung gegenüber der Besteller:in anzugeben. Gemäß § 648 BGB hat die Besteller:in vielmehr das Recht, den Vertrag jederzeit „bis zur Vollendung des Werkes“ und insbesondere ohne Angabe eines (möglicherweise persönlichen) Grundes zu kündigen.

Der Begriff „Vollendung“ bezieht sich hierbei auf die Abnahme des Werks durch die Besteller:in, da mit dieser Abnahme die Unternehmer:in ihre vertraglichen Erfüllungsansprüche vollständig erfüllt hat und es somit nichts mehr zu kündigen gibt. Anders verhält es sich jedoch bei einem Werk, das von der Auftragnehmer:in als fertiggestellt angeboten wird, jedoch tatsächlich noch erhebliche Mängel aufweist: In diesem Fall ist die Besteller:in nicht verpflichtet, das Werk abzunehmen und kann den Vertrag weiterhin frei kündigen.

Wirkung

Die Leistungsverpflichtung der Auftragnehmer:in für bis zur Kündigung noch nicht erbrachte Teile des Werkes entfällt. Wenn jedoch bereits Leistungen erbracht wurden, müssen diese frei von Mängeln sein, ansonsten bleibt die Auftragnehmer:in verpflichtet, die Mängel fachgerecht zu beseitigen oder weitere Erfüllung oder Nacherfüllung zu leisten.

Die für die Besteller:in folgenreichste Wirkung ist die Fälligkeit des vertraglich vereinbarten Werk­lohns der Auftragnehmer:in, die normalerweise erst mit der Abnahme der bis zur Kündigung erbrachten Leistungen eintritt.

Es gibt jedoch Ausnahmen, bei denen die Abnahme entbehrlich ist, wenn die Besteller:in vorzeitig gekündigt hat, bevor die Auftragnehmer:in überhaupt mit der Ausführung von Arbeiten begonnen hat. Nicht erbrachte Leistungen können nicht abgenommen werden, da noch nichts vorhanden ist, das auf Vertragsgemäßheit überprüft werden kann.

In der Praxis ist es häufiger der Fall, dass die Auftragnehmer:in bereits Teilleistungen erbracht hat. Diese erbrachten Teile der Leistung müssen von der Besteller:in abgenommen werden, sofern sie frei von Mängeln oder lediglich mit unwesentlichen Mängeln behaftet sind. Dabei handelt es sich ausschließlich um tatsächliche Fehler des (Teil-)Werks selbst, z. B. bautechnische Fehler. Unvollständig erbrachte Werkleistungen infolge der Kündigung sind jedoch keine „Mängel“ im rechtlichen Sinne.

Falls die Besteller:in die Abnahme verweigert, kann die Auftragnehmer:in gemäß § 650g BGB vorgehen und eine gemeinsame Zustandsfeststellung verlangen. Obwohl § 648 BGB im Gegensatz zu § 648a BGB keine ausdrückliche Regelung zur gemeinsamen Feststellung des Leistungsstands enthält, ist die Besteller:in dennoch zur Mitwirkung an einer gemeinsamen Durchführung des Aufmaßes verpflichtet, da sie der Kooperationsgedanke dazu verpflichtet.

Vergütung

Aus der Perspektive der Auftragnehmer:in erscheint das Kündigungsrecht der Besteller:in, die den Vertrag jederzeit und ohne Angabe von Gründen kündigen darf, zumindest auf den ersten Blick als ungerecht. Die Auftragnehmer:in hat mög­licherweise bereits erhebliche Aufwendungen getätigt, um den Vertrag zu erfüllen, und dann kündigt die Besteller:in möglicherweise sogar spontan und ohne jeglichen Anlass. Der Gesetzgeber hat jedoch von Anfang an das Interesse der Auftragnehmer:in berücksichtigt, keine unzumut­baren Nachteile zu erleiden. Nach der Kündigung ist die Auftragnehmer:in berechtigt, die vereinbarte Vergütung zu verlangen, wobei jedoch dasjenige angerechnet werden muss, was sie aufgrund der Vertragsaufhebung an Aufwendungen einspart oder durch anderweitige Verwendung ihrer Arbeitskraft erwirbt oder böswillig unterlässt.

Die genaue Abrechnung der konkret von der Besteller:in geschuldeten Vergütung nach der Kündigung kann insbesondere für die Auftragnehmer:in in der Praxis erhebliche Probleme bereiten, insbesondere bei einem frei gekündigtem Globalpauschalpreisvertrag, deren Schwierigkeitsgrad zwischen „kompliziert“ und „unmöglich“ liegen dürfte.

Um die Abrechnung und damit die Durchsetzung der Werklohnforderung der Auftragnehmer:in zu erleichtern, hat der Gesetzgeber 2009 einen dritten Satz in § 648 BGB aufgenommen. Dieser enthält die Vermutung, dass der Unternehmer:in 5 % der auf den noch nicht erbrachten Teil der Werkleistung entfallenden vereinbarten Vergütung zustehen. Mit anderen Worten vermutet der Gesetzgeber einen Anteil von 95 % des vertraglich vereinbarten Werklohns, der die bei Kündigung ersparten Aufwendungen usw. ausmacht.

Zumindest in den Fällen, in denen die Auftrag­neh­mer:in noch gar keine Leistung erbracht hat, wird so die seitens des Gesetzgebers beabsichtigte Erleichterung der Abrechnung erreicht.

Falls die Auftragnehmer:in jedoch bereits Arbeiten ausgeführt hat, müssen diese zunächst genau ermittelt und korrekt abgerechnet werden, was im Einzelfall zu den oben genannten Schwierigkeiten führen kann. Erst danach kann die Auftragnehmer:in auf die vorgenannte, widerlegliche Vermutung zurückgreifen. Der Teil der Vergütung, der auf die erbrachten Leistungen entfällt, muss genau ermittelt werden, damit die Auftragnehmer:in den noch offenen Restwerklohn beziffern und die Pauschale von 5 % darauf verlangen kann.

Für die Besteller:in birgt die freie Kündigung daher ein nicht zu unterschätzendes Kostenrisiko, da sie, um einen Anspruch der Auftragnehmer:in in Höhe der gesetzlichen Vermutung abzuwehren, konkret und substantiiert zu den ersparten Aufwendungen der Auftragnehmer:in und zu deren anderweitigem Verdienst vortragen muss.

Abschließend stellt sich die Frage, ob eine frei kündbare Vereinbarung im Bauvertrag gemäß § 8 Abs. 1 VOB/B zu unterschiedlichen Ergebnissen führt. Denn von der vorherrschenden Meinung wird eine (ergänzende) Anwendung der gesetzlichen Vermutung des § 648 Satz 3 auch auf VOB/B-Verträge angenommen. Teilweise wird auch eine differenzierte Betrachtung gefordert. Diese Frage ist soweit ersichtlich noch nicht höchstrichterlich entschieden und birgt daher definitiv Potenzial für Streitigkeiten, zumindest theo­retisch. In der Praxis sollte jedoch jede vernünftige Auftragnehmer:in sorgfältig überlegen, ob sie die VOB/B in einen Vertrag mit einer Ver­braucher:in über ein Werk oder einen Verbraucherbauvertrag überhaupt einbeziehen möchte. Eine solche Empfehlung kann jedenfalls nicht ausgesprochen werden.

Fazit

Abschließend ist es sowohl für die Auftragnehmer:in als auch für die Auftraggeber:in im Einzelfall von Bedeutung, sorgfältig zu prüfen, auf welcher rechtlichen Grundlage ein Werk- oder Bauvertrag aufgelöst werden kann, sei es durch Rücktritt oder Kündigung. Im Gegensatz zur Auftragnehmer:in hat die Auftraggeber:in die Möglichkeit, den Vertrag jederzeit „frei“, also ohne Angabe von Gründen, zu kündigen. Obwohl dies auf den ersten Blick verlockend erscheinen mag, sollte eine solche Handlung aufgrund der möglichen Kostenfolgen aber sorgfältig abgewogen werden.

Sofern die rechtlichen Voraussetzungen für einen Rücktritt oder ein „wichtiger Grund“ für eine Kündigung nach § 648a BGB nicht gegeben sind, wird zunächst der Versuch einer einvernehmlichen Vertragsaufhebung empfohlen. Eine „freie Kündigung“ sollte hingegen stets als letztes geeignetes Mittel betrachtet werden.

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