Fristlose Kündigung: "Hau ab! Ich bin fertig mit Dir!"
OLG Frankfurt, Urteil vom 23.11.2022 - 29 U 108/20; BGH, Beschluss vom 08.11.2023 - VII ZR 229/22 (Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen)Ein Vertrag über die Dokumentation von Baumängeln und deren monetärer Bewertung ist als Werkvertrag zu qualifizieren. Das gilt auch dann, wenn es im Angebot heißt, dass auf den Vertrag die Vorschriften über den Dienstvertrag Anwendung finden.
Die Erklärung des Auftraggebers "Hau ab! Ich bin fertig mit Dir!" kann als fristlose Kündigung verstanden werden. Für die Wirksamkeit der fristlosen Kündigung ist aber nicht nur die Kündigungserklärung erforderlich, sondern auch das Vorliegen eines wichtigen Kündigungsgrunds. Haben die Parteien eines Werkvertrags vereinbart, dass der Vertrag nur aus wichtigem Grund gekündigt werden kann, kann eine aus wichtigem Grund erklärte Kündigung nicht in eine sog. freie Kündigung umgedeutet werden.
Ein zusätzlicher Vergütungsanspruch kann im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung begründet werden, wenn die Parteien unbewusst oder bewusst, weil sie die Entwicklung der Dinge falsch einschätzten, eine vertragliche Regelung für den Fall, der eingetreten ist, unterlassen haben.
Der Sachverhalt:
Der Auftraggeber kaufte Ende des Jahres 2018 ein Grundstück, das mit einem Hotelgebäude bebaut ist. Der laufende Hotelbetrieb wurde dabei fortgesetzt. Bei dem Erwerb übernahm der Auftraggeber den mit einem Dritten bestehenden langfristigen Hotel-Pachtvertrag als Verpächter. Nach Abschluss des Kaufvertrags bat der Auftraggeber den Auftragnehmer, etwaige Baumängel bei dem erworbenen Hotel zu dokumentieren und monetär zu bewerten. Der Auftraggeber beabsichtigte, gegenüber der Pächterin, deren Vertrag am 31. Dezember 2018 endete, Mängelrechte geltend zu machen.
Daraufhin erstellte der Auftragnehmer ein Angebot, welches eine zweistufige Vergütung vorsieht, bestehend aus einer fixen Pauschale und einem variablen Vergütungsanteil ("2% des realisierten Abzuges vom vertraglichen Leistungs-Soll"). Auf Basis der Dokumentation des Auftragnehmers strengte der Auftraggeber ein Klageverfahren gegen die Pächterin des Hotels an, machte dabei allerdings einen geringeren Betrag geltend, als vom Auftragnehmer ermittelt. Der Auftraggeber unterlag in zwei Instanzen aus "formalen" Gründen (Aktivlegitimation, fehlende Fristsetzung).
In der Folge kam es zu Unstimmigkeiten über die Höhe der Vergütung des Auftragnehmers. Im Oktober 2019 fand in den Kanzleiräumen des damaligen Prozessbevollmächtigten des Auftraggebers ein Gespräch zwischen den Parteien statt. Dabei kam es zum Streit. In einer Besprechung verwies der Auftraggeber den Auftragnehmer aus den Räumen mit den - vom Auftraggeber bestrittenen - Worten: "Hau ab! Hau ab! Ich bin fertig mit Dir!". Der Auftragnehmer verklagte den Auftraggeber auf Zahlung der streitigen Vergütung.
Die Entscheidung:
Mit Erfolg! Dem Auftragnehmer stehe eine weitere Vergütung für die von ihm erbrachten Leistungen in Höhe der vereinbarten Pauschale zu. Der Anspruch ergebe sich aus § 631 Absatz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Denn der Auftraggeber habe das Angebot des Auftragnehmers durch Leistung einer Abschlagszahlung und Verwertung der Leistungen im Klageverfahren gegen die Pächterin konkludent angenommen, wodurch ein Werkvertrag zustande gekommen sei. Der Auftragnehmer könne jedoch keine weitere Vergütung aufgrund der vertraglichen Regelungen für den Fall einer Kündigung aus wichtigem Grund beanspruchen. Keine der Parteien habe den Vertrag wirksam außerordentlich gekündigt. Nach § 648a Absatz 1 BGB können beide Vertragsparteien den Werkvertrag aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist kündigen, wenn dem kündigenden Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses bis zur Fertigstellung des Werks nicht zugemutet werden kann.
Diese Voraussetzungen seien hier nicht erfüllt. Die Auftraggeber habe die zwischen den Parteien bestehende Vereinbarung nicht wirksam aus wichtigem Grund gekündigt. Zwar könne die behauptete Äußerung "Hau ab, hau ab! Ich bin fertig mit Dir", als fristlose Kündigung verstanden werden. Ob der Auftraggeber dies tatsächlich gesagt hat, müsse aber nicht durch eine Beweisaufnahme geklärt werden. Denn für die Wirksamkeit der fristlosen Kündigung sei nicht nur die Kündigungserklärung selbst erforderlich, sondern auch das Vorliegen eines wichtigen Kündigungsgrundes. Ein solcher sei für den Auftraggeber nicht ersichtlich. Der Auftragnehmer habe keine komplett unbrauchbare Leistung erbracht und habe deshalb in der Folge auch keine vollkommen unangemessenen Forderungen gestellt, in dem er vergleichsweise nur die Zahlung des variablen Vergütungsteils vorgeschlagen habe. Insofern könne offenbleiben, ob diese behaupteten Umstände eine Kündigung aus wichtigem Grund hätten rechtfertigen können.
Die Aussage des Auftraggebers könne auch nicht als einfache Kündigung ausgelegt werden. Denn diese war zwischen den Parteien ausdrücklich ausgeschlossen worden. Aber auch der Auftragnehmer habe die Vereinbarung nicht wirksam aus wichtigem Grund gekündigt. Dass der Auftraggeber in dem Verfahren gegen die Pächterin nicht sämtliche, vom Auftragnehmer festgestellten Mängel geltend gemacht hat, könne keinen wichtigen Kündigungsgrund darstellen. Dem Auftragnehmer stehe aber aufgrund einer ergänzenden Vertragsauslegung eine weitere Vergütung für seine Leistungen zu.
Die zu Grunde liegende Vereinbarung enthalte dem Wortlaut nach keine Regelung für eine Vergütung, wenn der Auftraggeber nicht sämtliche vom Auftragnehmer festgestellten Mängel gerichtlich geltend macht oder aber bei einem Gerichtsverfahren die Klage aus Gründen abgewiesen wird, die nichts mit dem tatsächlichen Bestehen der Mängel zu tun haben. Diese Lücke sei durch eine ergänzende Vertragsauslegung zu schließen.
Praxishinweis:
Die Entscheidung des Oberlandesgerichts macht einmal mehr das "Potenzial" der ergänzenden Vertragsauslegung bei unvollständigen Vergütungsabreden deutlich.
Eine ergänzende Vertragsauslegung kommt immer dann in Betracht, wenn die Parteien unbewusst oder bewusst, weil sie die Entwicklung der Dinge falsch einschätzten, eine vertragliche Regelung für den Fall, der nun eingetreten ist, unterlassen haben. Für die Ermittlung des hypothetischen Parteiwillens ist dann darauf abzustellen, was die Parteien bei angemessener Abwägung ihrer Interessen nach Treu und Glauben als redliche Vertragspartner vereinbart hätten, wenn sie den nicht geregelten Fall bedacht hätten. Als Ausgangspunkt ist auf die vertraglichen Regelungen und den Vertragszweck abzustellen, danach die Verkehrssitte und schließlich auch auf Treu und Glauben gemäß § 242 BGB.