Fertiggestellt: Staatsbibliothek Haus Unter den Linden übergeben
Trotz der halben Milliarde Euro und einer deutlichen Bauzeitüberschreitung sind die meisten mit der Sanierung und der Bibliothek, wie sie sich heute zeigt, zufrieden. 07.11.2019Man solle, so Jörg Brandt, Projektleiter Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung Referat IV3 und verantwortlich für die bauliche Abwicklung der Generalsanierung und Modernisierung der Staatsbibliothek Haus unter den Linden, genauer rechnen. Dann werde man schnell erkennen, dass die rund 470 Mio. € für rund 100000 m² BGF so viel gar nicht seien, schon im Vergleich zum Humboldtforum schräg gegenüber. Jörg Brandt führte u. a. mit der Hausherrin, der Generaldirektorin Barbara Schneider-Kempf, und Petra Wesseler, Präsidentin des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung (BBR), die Presse Anfang November durch das Haus, am 4. November gab es die feierliche Schlüsselübergabe. Brandt beklagte, dass die Presse immer dann aufheulen würde, wenn die Kosten da landeten, wo sie landen müssen: in der Realität. Und: Ob ein Bau nun günstig oder überteuer geworden sei, könne allein die Quadratmeterpreiszahl verraten und die sei mit rund 4500 €/m² doch sehr annehmbar!
Nach Schlüsselübergabe wird der frisch sanierte und umgebaute 2. BA wieder für ein halbes geschlossen, die Bücher ziehen ein, die Mitarbeiter ebenfalls, die während der langen Bauphase der beiden Bauabschnitte in den der Containerburg an der Universitätsstraße arbeiten mussten.
Ursprünglich sollte die komplette Baumaßnahme 326 Mio. € kosten, die rund 150 Mio. € mehr und die wesentlich längere Bauzeit resultierte aus dem Üblichen: dramatischer Anzug der Preisindizes, Selbstüberschätzung anbietender Firmen und Unwägbarkeiten im Bestand. Dass diese Punkte, die eigentlich Kalkulationsroutinen sind, die bei öffentlichen Bauaufgaben allerdings nicht zum Tragen kommen dürfen, ärgert, denn würde man gleich über höchstmögliche Kosten sprechen, stünden am Ende die Fokussierung auf Wesentliches (weil dann doch zu teuer) oder die Zufriedenheit aller, weil nicht schon wieder die Baukosten „explodiert“ wären.
Die Staatsbibliothek, eines der letzten großen Projekte des Kaiser Wilhelm II und seines Architekten Ernst von Ihne mit dem Bauingenieur Anton Adam, füllte nach 11 Jahren Bauzeit einen ganzen Block mit der Grundfläche von 170 m x 107 m. Sieben Innenhöfe geben dem Bau Licht und Luft, der im Weltkrieg 1939-45 durch Bombentreffer stark beschädigt wurde. Zerstört war auch der zentrale Kuppellesesaal mit 34 m Höhe und einem Durchmesser von 43 m, der nach dem Krieg als Ruine im Zentrum des ansonsten reparierten Gebäudes stehen blieb. 1977 wurden die Reste abgerissen und durch durch vier sehr schlichte Betontürme (Magazine) für rund 2,5 Mio. Bücher ersetzt.
Der riesige Komplex musste saniert und den heutigen technischen Begebenheiten angepasst werden, der Wettbewerb hierzu aus dem Jahr 1999 ergab das planende und entwerfende Büro: Im März 2000 entschied das Büro HG Merz, Stuttgart/Berlin den Wettbewerb für sich. Das Büro schied auf eigenen Wunsch nach Fertigstellung des 1. BA 2012 aus, dieNachfolge als koordinierendes Architekturbüro trat die BAL Planungs- undSteuerungs-GmbH (Berlin) an.
Nun sind fast alle Arbeiten abgeschlossen und man kann die von Ihne beabsichtigte feierliche Prozession in den Museumsbau wieder nachvollziehen: Man betritt den Museumsbau unzeitgemäß feierlich über die Arkadenhalle, schreitet, den flachen Brunnen umrundend über den ersten Hof, gelangt in einen vergleichsweise niedrigen, überkuppelten Vorraum, um von hier aus in die Eingangshalle zu gelangen. Hier geht es unter der modernen, mittels Leichtbauelementen gestalteten Tonnendecke hinaus aus dem Halbdunkel hinauf ins tageslichthelle Vestibül, in welchem Besucher nur staunden den Kopf in den Nacken legen können, der weitere Zugang zur Bibliothek gelingt nur denen, die einen Nutzerausweis vorweisen können.
Die durchschreiten einen Sicherheitscheck, der in eine hohe Glaswand eingelassen ist, deren opake, gestaltete Oberfläche Durchblicke filtert. Vielleicht 20 m hinter der Schleuse gelangt man zur nächsten Treppe, die einen leuchtend orangeroten Teppichboden belegt ist, einer Farbe, die auf vielen Oberflächen der Neueinbauten zu finden ist. Die Treppe hinauf gelangt man in den Allgemeinen Lesesaal, in welchem weitere (Neben)Treppen weiter in die Höhe führen.
Vom Vestibül aus, dessen Mauern und die Kuppelkonstruktion aus Beton aufwändig mit Hilfskonstruktionen ertüchtig werden mussten, kann man auch linker oder rechter Hand zurückgehen, um die zahlreichen kleineren Lesesäle aufzusuchen, die das Haus bereithält: Handschriften, Musikalien, Zeitschriften etc. Der Rara-Lesesaal liegt unter dem Allgemeinen Lesesaal.
Ein paar Zahlen (gelten für beide BA): 700 m² Nutzfläche für das Informationszentrum mit 50000 Bänden Literatur, 18000 m² Magazinfläche mit rund 50 km Lipman-Regalen, saniert und mit 20°C (+/- 3°C) klimatisiert, Sanierung bzw. Austausch von ca. 3500 Fenstern, 5 Sonderlesesäle mit insgesamt 1420 m² Fläche und 139000 Bänden frei aufgestellter Literatur zur Erschließung der Sonderbestände, 230 Arbeitsplätze in den Lesesälen der Sonderabteilungen, davon 48 im Handschriftenlesesaal, 70 im Musiklesesaal + 10 Abspielkabinen für Tonträger, 40 im Kartenlesesaal, 50 im Zeitungslesesaal, 12 im Kinder- und Jugendbuchlesesaal. Um diese Lesesäle mit Lese-/Hör-/Anschauungsmaterial zu versorgen wurde eine Buchtransportanlage installiert, deren Trassenlänge ca. 1,5 km lang ist und über 17 Linear- und 4 Umlaufaufzüge im gesamten Alt- und Neubau verfügt. Dazu kommen Arbeits- und Büroflächen für knapp 400 Mitarbeiter, 700 m² Dauerausstellung über die Geschichte der Staatsbibliothek zu Berlin und 300 m² für Wechselausstellungen (beide öffentlich zugänglich, auch vom Haupteingang aus).
Was nicht fehlen darf, wie die gerade genannten Ausstellungsflächen aber noch im Aufbau begriffen: Caféteria und Buchshop (212 m²) und gar ein Bibliotheksshop! Drei Veranstaltungssäle mit Besucherkapazitäten von 50, 80 bzw. 300 Personen runden das Raumprogramm so ziemlich ab. Ach ja, es gibt auch ein etwa 1500 m² großes Digitalisierungszentrum sowie Werkstätten für Restaurierung, Buchbinderei und Reprographie. Immerhin: Digitalisierung.
Für Erstbesucher ist das gigantisch große Innenleben ein Labyrinth, in dem irgendwo auch Bücher stehen. Man kann, ja man wird sich in dem Bau verlaufen können, in den Gängen und Fluren, den Abzweigungen links rechts und zurück. Dabei kann man vor Skulpturen stehen bleiben oder mit Blick aus dem Fenster sich fragen, in welchen Innenhof man gerade schaut. Dass diese Höfe sämtlich mit hellen, fast weißen Ziegelfassaden umschlossen sind, ist der Tageslichtgewinnung geschuldet, ein frühes Beispiel baulicher Lichtlenkung. Dass diese Lichtstrategie allerdings dazu führte, dass man auf den Nordseiten der Höfe Sonnenschutzverglasung installieren musste, das denkt sich der Hinausschauende sicherlich nicht. Be. K.