Denkmal Debatten in Niedersachsen

Vielleicht brauchen wir ein anderes Wort!

Die Präsidentin des Niedersächsischen Landesamt für Denkmalpflege, Dr.-Ing. Christina Krafczyk, hadert auch einmal mit dem Begriff "Denkmal"

Während einer Podiumsdiskussion - mit Dr.-Ing. Birgit Franz von der Hochschule für Angwandte Wissenschaft und Kunst, Hildesheim/Holzminden/Göttingen, mit der Oberlandeskirchenrätin Dr. Kerstin Gäfgen-Track, sowie der Präsidentin des Niedersächsischen Landesamt für Denkmalpflege, Dr.-Ing. Christina Krafczyk, sowie drei Schüler:innen der 11. Gymnasialklasse - spürte man den Drang zum Konsens in allgemeinen wie sehr speziellen Fragen des Denkmalschutzes. Zugleich aber auch den Widerstand der jungen Generation dem scheinbar kompromisslosen Schutzanspruch gegenüber, den die Denkmalpflege für ein Denkmal einfordert. "Vielleicht brauchen wir ein anderes Wort als 'Denkmal', um anders und für alle erfolgreicher über denkmalpflegerische Haltungen und denkmalpflegerisches Wissen und die Bedeutung von Erhaltung des Kulturerbes für die Gesellschaft und ganz speziell auch für den Klimaschutz sprechen zu können", so Christina Krafczyk. Das überraschte möglicherweise all die, die die Präsidentin und ihre Ziele nicht kennen.

Podiumsdiskussion im gut gefüllten Andachtsraum des Andreanum, mit Fachexpert:innen und den Stimmen der Nutzer:innen (drei Schüler:innen)
Foto: Tobias Wulf / NLD

Podiumsdiskussion im gut gefüllten Andachtsraum des Andreanum, mit Fachexpert:innen und den Stimmen der Nutzer:innen (drei Schüler:innen)
Foto: Tobias Wulf / NLD

Mit der Überzeugung, dass ein großes Potenzial für Klimaschutz in der ganzheitlichen Betrachtung des Gebäudebestands und damit auch der Denkmal liegt, hatte das Niedersächsische Landesamt für Denkmalpflege in Kooperation mit dem Institut für Bauklimatik und Energie der Architektur (IBEA) der TU Braunschweig schon im vergangenen Jahr eine Wanderausstellung konzipiert, die unter dem Titel „Ressource Kulturerbe – Bestand und Denkmäler neu denken“ durch das Land Niedersachsen tourt und demnächst auch über die Landesgrenzen hinaus.

Zutritt zum Gymnasium Andreanum von Dieter Oesterlen durch ein ehemaliges Portal der heute noch bestehenden Klosteranlage (von der Klosterstraße kommend)
Foto: Benedikt Kraft / DBZ

Zutritt zum Gymnasium Andreanum von Dieter Oesterlen durch ein ehemaliges Portal der heute noch bestehenden Klosteranlage (von der Klosterstraße kommend)
Foto: Benedikt Kraft / DBZ

Blick auf den 2-3 geschossigen, zum Hof hin aufgeständerten Westflügel mit eingefügter Pausenaufsicht (in rot). Rechts hinten die Bibliothek, ein Neubau von 2004
Foto: Benedikt Kraft / DBZ

Blick auf den 2-3 geschossigen, zum Hof hin aufgeständerten Westflügel mit eingefügter Pausenaufsicht (in rot). Rechts hinten die Bibliothek, ein Neubau von 2004
Foto: Benedikt Kraft / DBZ

Aktuell macht die Ausstellung in einem Denkmal selbst Station (noch bis zum 6. Juni). Hier, im alterwürdigen Gymnasium Andreanum in Hildesheim, stehen die Ausstellungstafeln im sogenannten Andachtsraum, der selbst wie auch zahlreiche weitere Zubauten auf dem Gelände, mit Denkmalstatus nichts zu tun hat; aber dennoch überdurchschnittliche Architektur ist.

Der Westflügel, wie sein kürzerer Ostflügel über einen Skywalk an den Haupttrakt angebunden
Foto: Benedikt Kraft / DBZ

Der Westflügel, wie sein kürzerer Ostflügel über einen Skywalk an den Haupttrakt angebunden
Foto: Benedikt Kraft / DBZ

In diesem Andachtsraum am besagtem Denkmal, einem Schulbau von Dieter Oesterlen aus den frühen 1960er-Jahren, hatten sich am 24. Mai 2023 Expert:innen der Denkmalpflege, der Schulträger (Kirche), Architekt:innen und Ingenieur:innen zu einem Workshop getroffen, der Möglichkeiten und Notwendigkeiten einer Sanierung des geschützten Schulbaus diskutierten. Im Wesentlichen ging dabei um das Miteinanderreden, denn die Situation vor Ort scheint festgefahren.

Die Pausenaufsicht unter dem Westflügel
Foto: Benedikt Kraft / DBZ

Die Pausenaufsicht unter dem Westflügel
Foto: Benedikt Kraft / DBZ

Der in Ost-West-Richtung gesetzte, teils auf der historischen Stadtmauer errichtete Hauptriegel steht auf dem topografisch höchsten Punkt des historisch bedeutsamen Geländes, Blickrichtung UNESCO Weltkulturerbe „Dom und Michaeliskirche in Hildesheim“
Foto: Benedikt Kraft / DBZ

Der in Ost-West-Richtung gesetzte, teils auf der historischen Stadtmauer errichtete Hauptriegel steht auf dem topografisch höchsten Punkt des historisch bedeutsamen Geländes, Blickrichtung UNESCO Weltkulturerbe „Dom und Michaeliskirche in Hildesheim“
Foto: Benedikt Kraft / DBZ

Das liegt einerseits an den komplizierten und aus der Geschichte sich entwickelten Eigentumsverhältnissen, das resuliert aber auch aus dem Denkmalstatus der Anlage selbst wie ihrer Nähe zum UNESCO Weltkulturerbe „Dom und Michaeliskirche in Hildesheim", von denen beiden die Michaeliskirche nur einen Steinwurf weit entfernt, also direkter Nachbar ist.

Das Gymnasium mit seinen neueren Anbauten hinter der Klostermauer. Am Bildhorizont Kloster mit St. Michaelis
Foto: Benedikt Kraft / DBZ

Das Gymnasium mit seinen neueren Anbauten hinter der Klostermauer. Am Bildhorizont Kloster mit St. Michaelis
Foto: Benedikt Kraft / DBZ

Denkmalkontext: Dieter Oesterlen vis-a-vis UNESCO Weltkulturerbe, Magdalengärten und St. Michaelis
Foto: Benedikt Kraft / DBZ

Denkmalkontext: Dieter Oesterlen vis-a-vis UNESCO Weltkulturerbe, Magdalengärten und St. Michaelis
Foto: Benedikt Kraft / DBZ

Ottonische Baukunst: St. Michaelis
Foto: Benedikt Kraft / DBZ

Ottonische Baukunst: St. Michaelis
Foto: Benedikt Kraft / DBZ

Man können durchaus mit der Erfüllung bautechnischer Anforderungen wie Energieeffizienz oder Brandschutz auf kluge Weise die bestehenden substanziellen Qualitäten des Bestands größtmöglichst erhalten, so das Ergebnis des Workshops am Ende des Tages, der von dem schon erwähnten Podiumsgespräch abgeschlossen wurde. In diesem Gespräch, das Teil einer über viele Folgen angelegten Podcast-Reihe des Landesamts ist, ging es wieder einmal um die Frage, inwieweit Denkmale, als Ressource gedacht (materielle, ideele, geistige), für die Strategiebildung zum Erreichen einer CO2-reduzierten Bauwelt eine Rolle spielen. Im Gespräch wurde dann schnell deutlich, dass insbesondere die Nutzer der denkmalgeschützten Schule hier den Eindruck gewonnen haben, dass der Denkmalschutz, hier die Angestellten und Beamten der Ämter, eher verhindern als kooperativ an gemeinsamen Lösungen arbeiten. Denkmalschutz wurde von den Schüler:innen auf dem Podium aber auch den Eltern und Lehrer:innen als elitär, den realen Erfordernissen fern und eben als Verhinderer und nicht Ermöglicher angesehen. Tatsächlich wurde - durchaus provokant formuliert - vorgeschlagen, den Denkmalschutz ganz abzuschaffen.

Die beiden Skywalks verbinden Haupttrakt (auf der alten Stadtmauer) mit den beiden Nebenflügeln
Foto: Benedikt Kraft / DBZ

Die beiden Skywalks verbinden Haupttrakt (auf der alten Stadtmauer) mit den beiden Nebenflügeln
Foto: Benedikt Kraft / DBZ

Was eine höchst engagierte wie umtriebige Präsidentin nicht so im Raum stehen lassen wollte, allerdings nahm sie diese pauschalisierende Verurteilung ihrer und der ihrer Kolleg:innen Arbeit zum Anlass, den "Denkmal"-Begriff ansich infrage zu stellen, da er ihr selbst als oftmals negativ konnotiert erscheint. „Denkmal“schutz wird durch seine lange - und bis heute?! - Geschichte einer stur und elitär sich gebenden Unnachgiebigkeit in jeder Diskussion um Veränderung viel zu statisch und akademisch, zu wenig im Einzelfall lösungsorientiert wahrgenommen und nicht selten übervorsichtig gehandhabt: Wer möchte schon etwas riskieren, wer etwas falsch machen?!

Als Stahlbetonskelttbau angelegt, könnte die innere Organisation vielfältig variiert werden
Foto: Benedikt Kraft / DBZ

Als Stahlbetonskelttbau angelegt, könnte die innere Organisation vielfältig variiert werden
Foto: Benedikt Kraft / DBZ

Erweiterungsbauten am Westflügel, Übergabe 1998. Die Erweiterung wurde mittels Glasfuge an den Bestand angeschlossen, dessen Westfassade hierfür aufgemacht wurde
Foto: Benedikt Kraft / DBZ

Erweiterungsbauten am Westflügel, Übergabe 1998. Die Erweiterung wurde mittels Glasfuge an den Bestand angeschlossen, dessen Westfassade hierfür aufgemacht wurde
Foto: Benedikt Kraft / DBZ

Dass dieses Anklammern an Vorschriften (und Traditionen) längst nicht mehr alle Behörden lenkt, geht in der öffentlichen Wahrnehmung schnell unter, Denkmalschutz gilt als im wörtlichen Sinne konservativ. Und natürlich muss sich der Denkmalschutz spätestens dann genauer erklären, wenn das zu Schützende nur ein halbes Jahrhundert alt ist und zudem eine Schule, die doch nur einfach zu funktionieren hat (wie das Gymnasium Andreanum von Oesterlen). Also weg mit dem "Denkmal", hin zum "Kulturerbe", so Christina Krafczyk. Damit lasse sich besser arbeiten, seien die Fronten nicht gleich dicht, die Klischees noch ohne haltbaren Grund.

Originalflur im Westflügel auf der Erweiterungsseite
Foto: Benedikt Kraft / DBZ

Originalflur im Westflügel auf der Erweiterungsseite
Foto: Benedikt Kraft / DBZ

Dass, zum Schluss, die Schäden (undichte Fenster, Flachdächer, Zugluft in der Cafeteria) größtenteils in den jüngeren Anbauten zu finden sind, das kam sehr spät auf den Tisch. Dass Kirche und Stadt die nötigen Sanierungsschritte möglichst bald angehen wollen und werden, das sicherte Oberlandeskirchenrätin Dr. Kerstin Gäfgen-Track vor laufendem Mikro allen im Andachtsraum Versammelten zu. Ein Datum aber wollte sie nicht nennen.

Zum Ausstellungs- und Aufklärungsprojekt des Niedersächsischen Landesamt für Denkmalpflege: „Ressource Kulturerbe –Bestand und Denkmäler neu denken“

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