Ausblick, Durchblick, Arbeitsmöglichkeiten

Admiralspalast, Berlin

Der Admiralspalast an der Friedrichstaße in Berlin ist ein kultureller Schatz, den in die Zukunft zu transferieren eine so anspruchsvolle wie verantwortungsvolle Aufgabe ist. Zusammen mit GRAFT haben nun Kinzo – beide Berlin – in diesem Bautenensemble gearbeitet, die ersten grundsätzlich, die zweiten punktuell. Kinzo hat in dem Bau hoch oben und dem Himmel nahe eine offene Arbeitswelt geschaffen, die landschaftlich, urban und nicht zuletzt voller Geschichten ist; die haben nun eine selbstbewusst erzählte
Fortsetzung erhalten.

Vielleicht fragen Sie sich, warum wir hier einmal die Bestandsgeschichte ausführlicher vorstellen? Weil der „Admiralspalast“ an der Friedrichstraße in Berlin vielen bekannt, den meisten geläufig ist der zur Stadt dazu gehört, wie wenige andere öffentliche Bauten und dessen Geschichte mehr als reich an Geschichten ist. Die sich, das sei vorweggenommen, heute immer noch finden im nun und aktuell von GRAFT Gesellschaft von Architekten umgebauten, sanierten und erweiterten Palastgebäude. Das Berliner Büro hatte den Auftrag 2019 seitens des Bauherrn direkt erhalten.

Bestandsgeschichte

Tatsächlich reicht die Palast-Geschichte bis ins Jahr 1867 zurück. Da wurde bei Bauarbeiten in der Friedrichstraße eine Solequelle entdeckt, über der nur wenige Jahre später die Architekten Kyll-mann und Heyden ein Restaurant mit Badehaus errichteten, das „Admiralsgartenbad“. Den Namen hatte es vom nahgelegenen „Admiralsquartier“ am Schiffbauerdamm entlehnt, in dem zahlreiche Marineoffiziere ihre Häuser hatten. 1889 wurde das Bad durch Carl Gause 3-geschossig erweitert und erhielt eine Schwimmhalle. Nach dem kompletten Abriss des Gebäudes 1910 gab es an gleicher Stelle (und mit gleicher Quelle!) nach Plänen der Architekten Heinrich Schweitzer und Alexander Diepenbrock den bis heute vorhandenen, mehrflügeligen, 4-geschossigen „Admiralspalast“, einen Vergnügungstempel mit ­luxuriösen Bädern, einer Eislaufbahn und Res-taurants und, so ist es überliefert, 900 Zimmern bzw. Sälen, Kegelbahnen sowie dem damals als unverzichtbar für ein Haus dieser Größe geltenden Lichtspieltheater. Dass schon damals die beim Betrieb der Kältemaschinen anfallende Abwärme zum Heizen der Bäder genutzt wurde, deutet auf den Geschäftssinn und die Avantgardehaltung der Bauherrschaft hin.

Es folgten zahlreiche Umbauten, Umnutzungen, Überformungen. Die Nationalsozialisten beendeten die Revue- und Operettenära. Das wuchernde Ensemble wurde nach Plänen von Paul Baumgarten baulich versachlicht zu einer „festlich-schönen Erholungsstätte“ (Propagandaminister Goebbels), deren klassizistische Formensprache heute noch gut erkennbar ist.

1946 erlebte der Bau den Vereinigungsparteitag der ost­zonalen KPD mit der SPD, der zur Gründung der SED führte. Die Deutsche Staatsoper war hier temporär Gast, ebenso das Metropol Theater, das politische Kabarett Die Distel ist es noch. Es gab Schließungen, Insolvenzen, Schließungen und Wiedereröffnungen. Und 2006 eine erste Sanierung, dann, ab 2019, die von GRAFT geplante Sanierung, Umbau, Erweiterung.

Bestandsbearbeitung

Der Neubau, so GRAFT, ist einmal eine klassische Erweiterung zum Bestand in mehreren Ebenen, insbesondere auch der bisher ungenutzten Dachfläche über dem Hauptveranstaltungsraum: „Der Entwurf nimmt die elaborierte Formensprache des Admiralspalasts in abstrakter Weise auf, wobei die gefalteten horizontalen und vertikalen Bänder der Fassade eine dynamische Plastizität erzeugen, die sich zur Gebäudeecke hin verstärkt.“ Im Zubau befinden sich der neu gestaltete Anlieferungsbereich, eine Seitenbühne, Künstlergarderoben und Lagerflächen sowie separate Büromietflächen in den Obergeschossen. Im ausgebauten Dach werden weitere Büroflächen geschaffen, die über einen neu gestalteten Grundriss mit den Nutzflächen im Neubau verbunden werden. Die nutzbaren Dachflächen werden durch eine neue Galerieebene ergänzt, so dass ein 2-geschossiger Raum mit einer Raumhöhe von 8 m entsteht.

Arbeiten unterm Dach

Diesen besonderen Ort unter dem Dach für einen digitalen Dienstleister zu gestalten, übernahm das Berliner Architekturbüro Kinzo mit einer weitläufigen Raumlandschaft über drei Geschosse. Dass die Planerinnen sich hier auf wertvolle und teils denkmalgeschützte Relikte beziehen konnten, betrachten sie als Glücksfall. Wenngleich das Reagieren auf Fundstücke und irgendwie im Großen verteilte Preziosen immer eine Herausforderung ist, der sich nicht jeder gewachsen zeigt. So überspielte Kinzo beispielsweise das denkmalgeschützte Mosaik-Becken im ehemaligen Frauenbad unter einem begehbaren Glasboden. Die hier mitten über das Becken gestellte Sitzinsel mit umlaufendem Tresen und dazugestellten Barhockern lässt die Geschichte sichtbar, ohne sich ihr plump  anzubiedern.

Damit hat sich Kinzo bei der Zonierung der Räume sichtbar und damit nacherlebbar an der historischen Raumaufteilung orientiert. Die Konturen des Badebeckens im ehemaligen Frauen­bad spiegeln sich schon in der Unterkonstruktion (Stahlträger) wider. Heute wie früher ist an dieser Stelle ein Ort des Austauschs entstanden, ein social hub. Die hellblaue, multifunktionale Sitzinsel ist eine Raumskulptur, bei der man sich zum informellen Austausch trifft. Durch Anheben des ursprünglichen Fußbodenniveaus ergab sich die Möglichkeit, den historischen Boden wieder sichtbar zu machen. Die umlaufenden Bodenfenster setzen die freigelegten Fliesen eindrucksvoll in Szene.

Um den in beinahe alle Richtungen offenen und bis zu 8 m hohen Raum inklusive neuer Galerieebene unter dem historischen Stahlfachwerk sinnvoll nutzen zu können, musste er zoniert werden durch Einbauten, große Möbel (wie die Sitzinsel), aber auch durch Leuchtenskulpturen und Pflanzen. Der Mix aus Offenheit und Semitransparenz bis hin zu geschlossenen Einheiten kann neben der geforderten Sicht- auch Kommuni­kationsachsen vermitteln wie ganz selbstverständlich auch das immer nötige Gefühl von Geborgenheit.

Dem Auftraggeber war es wichtig, vielfältige Möglichkeiten des Austauschs und der Kommunikation zu schaffen und dennoch auch konzentrierte Einzelarbeit und das ganze Potpourri an Rückzugsräumen zu ermöglichen.

Durch die riesigen Panoramafenstern ergeben sich vielfältige Blickbeziehungen nach außen. Man kann nicht nur den Dom sehen, der Blick schweift ungehindert über die Dächer Berlins. Sehr viel Tageslicht gelangt über die Panoramafenster in die Büroräume. Man fühlt sich den Wolken nah und erlebt das sich ändernde Wetter intensiv. Auf dem Podest der ersten Etage, im früheren Ruheraum der Therme, sind die ehemaligen kleinen Nischen, die mit Betten ausgestattet waren, heute ein Rückzugsort, es entstanden Lounge-Inseln. Indirektes Licht und natürliche, hochwertige Oberflächen schaffen eine ruhige Atmosphäre. In dem Raum befinden sich zwischen den feingliedrigen Segmentbögen maßgefertigte Alkoven. Wahlweise hat man die Möglichkeit, sich in einer der Halle zugewandten Arbeitsnische einer eher introvertierten Tätigkeit zu widmen oder an einem über 8 m langen Tische kollaborativ zu arbeiten.

Neben der Materialität spielte das Thema Farbe bei den Ausführungen von Kinzo eine wichtige Rolle. Man orientierte sich in Abstimmung mit dem Denkmalamt an den ursprünglichen Farben. Bei den Einbauten standen die primären CI-Farbe des Unternehmens im Vordergrund der Planung – ein prägnantes Blau –, das man jetzt an verschiedensten Stellen wiederfindet. Eine Anforderung aus dem Raumprogramm war es, dass es Konferenzräume und Besprechungsräume in verschiedenen Größen geben sollte.

Der Board Meeting Raum bietet 20 Personen Platz. Bei der insgesamt sehr transparenten Struktur gab es hier die besondere Herausforderung, einen diskreten Ort zu schaffen, der dennoch öffentlich sein sollte. Die Lösung bestand darin, dass jeweils am Ende des Raums zwei große geräuschhemmende und verschließbare Vorhänge montiert sind. Zusätzlich zum Konferenzraum entstanden zwei Zonen, die auch als Séparée benutzt werden können. Eine dieser Zonen kann für Kundengespräche, die andere als Breakout-Zone mit Loungemöbeln benutzt werden.

Themenräume

Der Bauherr wünschte sich auch unterschiedliche Themenräume, die Werte und DNA des Unternehmens spiegeln sollten. Jeder Raum musste dabei eine andere, ganz eigene Atmosphäre haben. So ist unter anderem ein Dschungelraum entstanden. Mitten in der Stadt existiert jetzt ein Ort, den man in einem klassischen Büro nicht vermutet. Plötzlich befindet man sich in einem Urwald mit echten Pflanzen. Mit dem durch den Kunden eigens aufgenommenem Sound echten Dschungellebens arbeitete man gemeinsam an dem perfekten Feinschliff.

Eine vergleichbare Geschichte ließe sich mög­licherweise auch im Zusammenhang mit der Einrichtung eines Discoraums erzählen, aber wohl ganz anders: Um der Feierkultur des Unternehmens gerecht zu werden, gibt es nun diesen besonderen Raum, der den Arbeitsalltag zur Party machen soll. Ob das gelingt hängt von vielem ab, nicht nur von einer geschickten Raum- und Flächengestaltung. Dass der Ort hier schon allein wirkt, hoch über der Stadt und dem Himmel so nah, davon könnte man ausgehen. Die unglaublich bewegte und erzählenswerte Geschichte des Hauses wird hier jedenfalls sehr selbstbewusst weitererzählt.

Michael Schuster/DBZ

Bei diesem Projekt hatte der Bestand
maßgeblichen Einfluss auf den Entwurf.
Die große, stützenfreie Decke wurde mit
Leichtbaumaterialien einer neuen Nutzung
zugeführt und durch ein Galeriegeschoss ergänzt.
Damit entstand ein Ort mit viel Geschichte und
Atmosphäre.«
DBZ-Heftpartner Kinzo Architekten, Berlin

Baudaten

Objekt: Admiralspalast, Friedrichstraße, Berlin

Typologie: Bestandsgebäude mit Zubauten

Nutzungsart: Veranstaltung, Büro, Mixed-Use

Bauherr Bestand: k.A./ Tech Unternehmen

Architektur Neubau/Bestand: GRAFT Gesellschaft von Architekten, Berlin, www.graftlab.com

Innenarchitektur Bestand: Kinzo Architekten, Berlin, LPH 2-3 + Ausführung, www.kinzo-berlin.de

Team Kinzo: Chris Middleton (Co-Founder), Martin Jacobs (Partner), Elena Conrad (Projektleitung), Alejandra Horsley, Luca Marinelli, Armin Schmidt, uvm.

Bauzeit: 2019-2023

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