Das eigene Wissen der Architektur
Entwurfsbezogene Forschung macht ästhetische Praktiken für die Wissenskonstitution fruchtbar und richtet den Erkenntnisgewinn auf den Entwurf aus. Sie unterscheidet sich von anderen Wissenschaftsfeldern durch die Vielfalt ihrer Medien – in Dokumentation, Reflexion und Erkenntnisgewinn. Hierzu sind an der Technische Universität München (TUM) mit Dimensions. Journal of Architectural Knowledge, mit der Einführung der Mediendissertation und dem Symposium Design-Related Research drei Formate entstanden, die die Wissenskultur in der Architekturdisziplin bestärken.
Seit einigen Jahren zeichnet sich in der Architekturdisziplin[1] in allen Themenbereichen – Landschaft, Stadt, Architektur und Innenraum sowie Konstruktion, Detail und Material – ein vermehrtes Interesse an einer eigenständigen Forschungskultur ab. Die Hochschullandschaft entwickelt sich dahingehend, dass dem Forschen insgesamt mehr Bedeutung beigemessen wird: Forschungsaktivitäten, Publikationen und die Sichtbarkeit im Wissenschaftsdiskurs werden zunehmend in Berufungsverfahren berücksichtigt und auch in der Hochschullehre zeichnet sich ein wachsendes Interesse an Forschung ab. Während sich die Architekturforschung in der Vergangenheit oft an Methoden anderer Disziplinen, wie der Kunstgeschichte, den qualitativen Methoden der Sozialwissenschaften oder den quantitativen Methoden der Natur- und Ingenieurswissenschaften bedient hat, wächst das Interesse an den der Architekturdisziplin eigenen Methoden, Prozessen und Medien der Wissenskonstitution. Es wird eine Entwicklung deutlich, welche die zentralen Tätigkeiten des Architekturschaffens – Konzipieren, Gestalten, Entwerfen und Planen – als Methode und Gegenstand der Architekturforschung ernst nimmt.
Ästhetische Forschung
Wahrnehmung und Gestaltung stehen im Zentrum architektonischen Entwerfens. Die Erfahrung der gebauten Lebenswelt prägt, wie wir Visionen für künftige Entwürfe entwickeln. Eine besondere Herausforderung der Erforschung der Prozesse, Medien und Ergebnisse der Architekturdisziplin ist es, das ihnen eigene implizite Wissen explizit zu machen und non-verbale Aspekte sprachlich vermitteln und reflektieren zu können. Hier liegt das Potenzial ästhetischer Forschungsansätze für die Architekturdisziplin: Sie ermöglichen es, das architektonische Wissen in seinen Eigenheiten zugänglich zu machen und damit Erkenntnisse aufzuzeigen, die unmittelbar mit der Architekturpraxis in Verbindung stehen. „Kern ästhetischer Forschung ist die Vernetzung vorwissenschaftlicher, an Alltagserfahrungen orientierter Verfahren, künstlerischer Strategien und wissenschaftlicher Methoden“, beschreibt Helga Kämpf-Jansen, wobei „aus deren Zusammenspiel ästhetisches Wissen deutlich wird, das sich aus unterschiedlichen Weisen, Methoden, Verfahren, Strategien zusammensetzt“ und „diese gerade in ihrer Vernetzung auf besondere Weise produktiv werden.“[2] Dieses Wissen steht unmittelbar mit den Entwurfs-, Planungs- und Realisierungsprozessen der Architektur in Beziehung und ermöglicht es, diese zu reflektieren und damit verbundene Erkenntnisse aufzuzeigen. Das Wissen der Disziplin nimmt den Entwurf und die Gestaltung in den Fokus.[3] Eine der Architekturdisziplin dienliche Forschung steht damit in Verbindung, analysiert und reflektiert die Entwurfsprozesse oder nutzt architektonische Arbeitsweisen für die Wissensproduktion.[4]
Prozesse, Methoden und Medien
Um in der Architekturdisziplin neue Wege beschreiten und neue „Zukünfte des Bauens“ gestalten zu können, gilt es, das eigene Tun zu reflektieren und das der Disziplin eigene Wissen aufzuzeigen. An der Technischen Universität München (TUM) wurde mit der sogenannten Mediendissertation ein Format eingeführt, das Promovierende bewusst dazu ermutigt, den Wissensgewinn der Prozesse, Methoden und Medien ihrer eigenen Disziplin aktiv in die Forschung einzubinden. Skizzen, Planzeichnungen, Visualisierungen, Mappings, digitale und analoge Modelle sowie weitere Darstellungsformen für Landschaft, Stadt und Architektur werden als Techniken und Medien der Wissenskonstitution anerkannt. Die durch sie beförderten Erkenntnisse kommen in den Artefakten selbst zum Ausdruck. Sie werden darüber hinaus textlich reflektiert und der durch sie ermöglichte Erkenntnisgewinn benannt. Damit werden nicht-sprachliche Dokumentations- und Reflexionstechniken zu Methoden der Wissenskonstitution und somit – im Zusammenspiel mit textlichen Erläuterungen – integraler Bestandteil wissenschaftlicher Argumentation. Denn, so heißt es in den Richtlinien zur Mediendissertation, „der Erkenntnisgewinn einer Mediendissertation reicht somit über das medienimmanente Wissen hinaus, indem es dieses explizit benennt und reflektiert.“[5]
Entwurfsbezogene Forschung
Während die Architekturwissenschaft der Vergangenheit stark rezeptionsbezogen war – also die Reflexion der Bauwerke, ihres Erlebens und ihrer baugeschichtlichen Relevanz in den Vordergrund stellte – zeichnet sich gegenwärtig ein Trend hin zur produktions- und prozessorientierten Forschung ab. „Ziel der forschenden und zugleich gestalterischen Tätigkeit ist es, neue Erkenntnisse in gestaltungsrelevanten Fachbereichen zu erlangen“, wie es in Bezug auf die Mediendissertation der TUM heißt.[6] Das Interesse daran, die eigenen Prozesse, Arbeitsweisen und Wissensstände kritisch zu reflektieren, wächst ebenso wie die Suche nach der Architekturpraxis, dem Entwerfen und der Gestaltung zukunftsfähig gebauter Lebenswelten. Dabei ist die Forschung in vielfältiger Weise auf den Entwurf bezogen. Das Definieren der Methoden entwurfsbezogener Forschung ist Gegenstand der aktuellen Theoriebildung, die sich in den letzten Jahren in zahlreichen Publikationen von Handbüchern und Methodenwerken zum Thema niederschlägt. So werden etwa Forschungsansätze beschrieben, die das Entwerfen und das Wissen reflektieren, welches im Entwurfsprozess hervorgebracht wird. Ebenso wird die Forschung über das Entwerfen und die Gestaltung, welche die Arbeitsweisen und Prozesse der Architekturpraxis betrifft, thematisiert. Es handelt sich hierbei also um eine dem Entwurf dienliche Forschung, die unmittelbar aus den Entwurfsprozessen heraus entsteht oder diese übergeordnet analysiert und reflektiert. Im Zentrum steht die mit architektonischen Arbeitsweisen und Techniken vollzogene Wissensproduktion. Essenziell ist dabei, dass das Entwerfen nicht mit der Forschung gleichgesetzt wird, sondern die sich im Kontext des Entwurfsprozesses oder in dessen Reflexion ergebenden Erkenntnisse als Forschungsergebnisse herausgestellt werden. Die so unmittelbar mit dem Entwurf in Verbindung stehende Forschung wirft überdies Fragen zum Format der Forschungsvorhaben auf und verdeutlicht, dass auch das Forschungsdesign – die Art und Weise, wie ein Forschungsprojekt aufgebaut und seine Ergebnisse vermittelt werden – ein kreativer Entwurfsprozess ist, den es aktiv zu gestalten gilt; zumal wenn hier vielfältige Medien, Wissensstände und Argumentationsstränge miteinander verwoben werden.
Forschungskultur: Perspektiven und
Wissensvermittlung
Mit dem Etablieren neuer Methoden und Prozesse des Forschens erwächst auch eine neue Forschungskultur, die dem Anliegen folgt, Praxis und Wissenschaft wechselseitig befruchtend miteinander in Beziehung zu bringen. Um diese Wissenskultur zu befördern, wurden von Prof. Uta Graff und Dr. Katharina Voigt, Lehrstuhl Entwerfen und Gestalten, und Prof. Dr. Ferdinand Ludwig, Professur Green Technologies in Landscape Architecture, in den letzten Jahren an der TUM zahlreiche Initiativen für Austausch, Diskurs und Dokumentation entwurfsbezogener Forschung gegründet: Den Anfang machte im Sommer 2019 die von der DFG geförderte, internationale Konferenz Researchperspectives in Architecture. In diesem Rahmen wurden unterschiedliche Methoden der Architekturforschung vorgestellt und der Methodendiskurs der Architekturdisziplin eröffnet. Es wurden Arbeitsweisen entwurfsbezogener, reflexiver, wahrnehmungsbezogener, qualitativer, archivalischer und interdisziplinärer Forschungsansätze vorgestellt. Aus dem anregenden Austausch der Konferenz entstand im Weiteren die Initiative zur Gründung von Dimensions. Journal of Architectural Knowledge, das jährlich mit zwei kuratierten Ausgaben als Print und Open Access Publikation im transcript Verlag Bielefeld erscheint. Zentrales Anliegen des Journals ist es, das genuin architektonische Wissen den gegenwärtigen Standards der wissenschaftlichen Publikationskultur zugänglich zu machen. Alle Beiträge des Journals – sogenannte Full Paper ebenso wie Visual Contributions, also Beiträge mit einem ausgeprägten Anteil visueller Vermittlungsformen wie Grafik, Zeichnung und Bild – werden durch ein doubleblind Review Verfahren evaluiert und ausgewählt. Das Ausweiten des Peer Review Verfahrens auf nicht ausschließlich textliche Beiträge ermöglicht es, die Vielfalt der Methoden, Techniken und Medien, welche die Wissenskonstitution der Landschaft, Stadt, Architektur und Konstruktion sowie Material und Detail auszeichnet, in ihrem gesamten Spektrum abzubilden und damit auch Forschenden mit starker Affinität zu architektonischen Arbeitsweisen Zugang zu wissenschaftlichen Publikationskontexten zu eröffnen. Mit Einführung der Mediendissertation als Promotionsformat der TUM School of Engineering and Design haben die Autor:innen gemeinsam mit Dr. Julian Schäfer das Symposium Design-Related Research ins Leben gerufen, das Promovierenden die Möglichkeit gibt, ihre Arbeit mit etablierten Wissenschaftlern zu diskutieren und die Wissensweitergabe und das Etablieren eine PostDoc-Kultur in der Architekturforschung bestärkt. Das besondere Potenzial entwurfsbezogener Forschungsansätze liegt in der unmittelbaren Reflexion der Architekturpraxis und dem Hervorbringen von Wissensständen, die direkt für die Gestaltung-, Planungs- und Baupraxis zugänglich sind. Um den drängenden Fragen unserer Zeit mit wissenschaftlich profunden Antworten und einem nötigen, grundsätzlichen Paradigmenwechsel in der Baubranche begegnen zu können, ist es unabdingbar, dass Forschung und Praxis miteinander vielfältige, fruchtbare und lebendige Wechselbeziehungen eingehen.
Autorinnen: Dr. Katharina Voigt, Prof. Uta Graff und Prof. Dr. Ferdinand Ludwig
Weitere Informationen unter:
https://www.transcript-verlag.de/zeitschriften/dimensions.-journal-of-architectural-knowledge/?f=12320
1 Gemeint ist damit die Gesamtheit der Entwurfsdisziplinen Architektur, Landschaftsarchitektur, Städtebau, Innenarchitektur
2 Helga Kämpf-Jansen: »6. These«, in: Thesen ästhetischer Forschung
http://talentecafe.de/wp-content/uploads/2015/05/15-Thesen-ästhetischer-Forschung.pdf
3 Vgl. Uta Graff: »Research Perspectives in Architecture«, Dimensions 01/2021, Research Perspectives in Architecture, 13–19.
4 Vgl. Ferdinand Ludwig; Katharina Voigt: »Reflection«, Dimensions 01/2021, Research Perspectives in Architecture, 223–231.
5 https://www.ed.tum.de/ed/news-single-view-start/article/mediendissertation-an-der-ed-hochschulpraesidium-beschliesst-neue-promotionsform-1/
6 https://www.ed.tum.de/ed/news-single-view-start/article/mediendissertation-an-der-ed-hochschulpraesidium-beschliesst-neue-promotionsform-1/