Ästhetik
Dass der Begriff der Ästhetik – direkt übersetzt „Wahrnehmung“ oder „Empfindung“ – nicht nur, aber auch in der Architektur, eng mit dem Begriff der Schönheit verknüpft ist, macht ihn kompliziert für seine Verwendung im Fachdiskurs und hinderlich in der angewandten Praxis. Der vor 250 Jahren in den deutschsprachigen Diskurs von Alexander Gottlieb Baumgarten eingeführte Begriff, der zugleich eine neue philosophische Disziplin aufmachte, wird häufig dann gebraucht, wenn es um die Verteidigung des Entworfenen geht gegen die Fragen nach Sinn und Zweck und Daseinsberechtigung des Gebauten.
In diesem Kapitel fragen die Autorinnen von unterschiedlichen Standpunkten aus nach der Funktion des Begriffs, seinem Herkommen und seiner Verwendung, seinen Möglichkeiten heute und den Implikationen auf Entscheidungen für ein Weiter- oder Anders- oder Garnichtmehrbauen. Brauchen wir eine neue Ästhetik? (S. 24) Was hat uns der vielleicht berühmteste und bis heute noch einflussreiche römische Architekt und Buchautor, Markus Vitruvius Pollio (S. 22ff.) mit seinem in Zehn Bücher niedergeschriebem Traktat hinterlassen? Oder, irgendwie auf Vitruv aufbauend, was ist uns die Moderne des vergangenen Jahrhunderts heute noch? Welche Ästhetik ist hier wirksam, dass wir uns bis heute schwertun, Reparatur (S. 28) als eigene, als neugültige Ästhetik des Bauens anzuerkennen? Und ist uns geholfen, wenn wir der als expansiv eingeschätzten Moderne die Ästhetik einer wahrhaftig „reduktiven Moderne“ (S. 29) entgegensetzen?
Um in der Frage nach der neuen/alten Ästhetik weiterzukommen, genügt es keineswegs, sich des Fundaments bewusst zu sein, auf dem ästhetische Diskurse geführt werden. Wir benötigen vor allem auch das Etablieren neuer Methoden und Prozesse des Forschens, kurz, eine neue Forschungskultur (S. 32), die dem Anliegen folgt, Praxis und Wissenschaft wechselseitig befruchtend miteinander in Beziehung zu bringen. Denn nur im fächer- und stakeholderübergreifenden, neu aufgesetzten Dialog kann ein grundsätzlicher Paradigmenwechsel (S. 33) in der Baubranche herbeigeführt werden.
Fotos: Umbau in St. Annen/NRW / Möbelentwürfe Friedrich Kiesler