100 Jahre nach der 1. Werkbundausstellung

Vor einhundert Jahren, im Mai 1914, fand die Erste Werkbundausstellung in Köln statt. Bereits seit seiner Gründung 1907 galt der Deutsche Werkbund, eine Vereinigung von Künstlern, Kunstgewerblern, Architekten, Handwerkern und Unternehmer, die eine bessere Gestaltung der handwerklichen Erzeugnisse, Wohnungen und Gebrauchsgegenstände des Alltags erzielen wollten, als ungemein fortschrittlich. Aber wie schon auf dieser ersten Ausstellung in Köln gingen die Meinungen über das, was die gute Form sein sollte, auseinander. Richtungsstreitereien ziehen sich durch die Geschichte des Werkbundes, damals bezogen auf die Typisierung der Produkte einerseits ( Hermann Muthesius) wie die Erzeugung künstlerischer Unikate andererseits ( Henry van de Velde). Dabei spielten die bereits in Amerika praktizierten Herstellungsmethoden (z. B. die Fließbandproduktion) kaum eine Rolle.

Noch 1919 plädierte das als fortschrittlich eingeschätzte Werkbundmitglied Hans Poelzig für die Rückbesinnung auf eine handwerkliche Produktion. 1923 setzte sich Walter Gropius für die „Einheit von Kunst und Industrie“ ein, die er allerdings bereits im Jahrbuch des Deutschen Werkbundes von 1913 gefordert hatte aber erst im Lehrprogramm des Bauhauses in Weimar von 1919 ausdrücklich in Verbindung von Handwerk und Gestaltung brachte. Nicht ohne an anderer Stelle zu fordern: „Wir müssen zum Handwerk zurück.“

Nach dem Weltkrieg 1939-45 war angesichts zerstörter Städte das „Neue Wohnen“ prioritär, ihm wurde die Werkbundausstellung in Köln von 1949 gewidmet. Neue Maßstäbe sollten mit der „Interbau“ in Berlin gesetzt werden, an der u. a. K. Otto, W. Rossow, K. Müller-Rehm, G. Gottwaldt, E. Ludwig, W.Ebert, W. Wagenfeld teilgenommen haben. Auf teils turbulenten Tagungen wurden zwischen 1965 und 1968 Fragen nach dem Zusammenhang von Klassenkampf, Kulturindustrie, Architektur und Stadtplanung diskutiert.

Positionen und Perspektiven wechselten mit dem neuen Vorsitzenden und Soziologen Hans Paul Bahrdt und besonders mit dem Bauhistoriker Julius Posener, der 1973-76 den Vorsitz übernahm. Noch 1973 thematisierte Posener die Vergangenheit als Dimension der Zukunft. Er setzte sich angesichts der gedankenlosen Zerstörung des alten Baubestandes für die Erhaltung der älteren städtischen Bausubstanz ein und beteiligte sich u. a. im Rahmen des Internationalen Denkmalschutzjahres von 1975 an der Rettung einiger Landhäuser und Villen von H. Muthesius, des ehemaligen Krankenhauses Bethanien und des Rudolf-Virschow-Krankenhauses in Berlin. Seine grundsätzliche Position publizierte er in einem Artikel in der FAZ vom
4. September 1974 unter der Überschrift
„Wie politisch darf der Deutsche Werkbund sein?“ Hier schrieb er: „Der Werkbund ist nicht von seinem Wege abgewichen, um politisch zu werden: die Politik berührt seinen Arbeitsbereich, wie weit oder wie eng auch immer man es abstecken mag“.

Auch sein Nachfolger, der Soziologe Lucius Burckhardt bezog eine Position des kritischen Mahners, so angesichts der expandierenden Trabantenstädte und der Problematik der Erhaltung des städtebaulichen Erbes. In dieser Tradition versucht der Werkbund seither als unabhängiges Forum auf viele Fehlentwicklungen wie den ungebremsten Konsums, die Zerstörung der Städte und die Privatisierung des öffentlichen Raumes aufmerksam zu machen, um nur die wichtigsten Themen zu nennen.

In diesem Sommer öffnet der Deutsche Werkbund parallel zur Biennale für Architektur in Venedig (Juni-November 2014) eine ungewöhnliche Ausstellung über Haltung und Gestaltung der Architektur in Deutschland. Initiator ist Paul Kahlfeldt, Architekt und Professor für Grundlagen der Baukonstruktion in Dortmund und Vorstand des Deutschen Werkbunds Berlin. Thema der Ausstellung ist die architektonische Auseinandersetzung mit dem Deutschen Pavillon für dessen Zukunft. 22 Büros zeigen ihre Auffassung von dem was ist und was werden könnte. Die Werkbundausstellung ist aber nicht Teil der Biennale und findet außerhalb des Ausstellungsgeländes der Giardini statt (im Stadtteil S. Croce). Auch Bruno Tauts berühmtes Glashaus lag außerhalb des eigentlichen Ausstellungsgeländes und war sogar zum größten Teil auf eigene Rechnung erbaut. Das Glashaus errang Weltruhm.

Die Zukunft des Werkbundes liegt in der Interdisziplinarität seiner Mitglieder, die verschiedenen Fachrichtungen angehören. Die Zukunft setzt vor allem einen Paradigmenwechsel voraus, weg von Tradition und Musealität, so wie es der Künstler-Architekt und Werkbundmitglied Christian Wontroba formulierte. Er war 1980 bei der 1. Biennale für Architektur in Venedig als eingeladener Architekt dabei. Der Werkbund, so Wontroba, solle bei der Suche nach neuen „Fundamentals“ neben der Problematik verslumter Städte innerhalb und außerhalb Deutschlands auch die „Anwaltsplanung“ in der Bau- und Stadtplanung übernehmen.

Vom Organ zur Propagierung der neuen Form als Synthese zwischen Handwerk und Industrie hat sich der Werkbund besonders auf dem Stadtplanungs- und Architekturfeld zum Mahner und Kritiker gewandelt. Eine Forderung für die Zukunft könnte sein, High-Tech in Einklang mit der Umwelt zu bringen. Dr. Miron Mislin, Berlin

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