„72 Hour Urban Action Lobeda“. Eine Ortsbegehung in Jena
Um es ganz simpel auszudrücken: Die Stadt Jena will im Bauhaus-Jahr 2019 auch wahrgenommen werden. Zwar habe die Stadt, so die Projektverantwortliche bei JenaKultur, Caroline Zacheiß, Projektkoordination „72 Hour Urban Action Lobeda“, auch zwei Bauhaus-Villen, aber wer im Schatten der Bauhausgründungsstadt Weimar wahrgenommen werden will, muss mehr bieten.
Und mehr kann durchaus mehr Bauhaus-Spirit sein. Gesellschaftliche Perspektive, Stadtraum als Gestaltungsmöglichkeit, Einfachheit der Mittel, Kooperation. Und weil Jena hier den immer häufiger zitierten Laborraum als Stadtraum hat – nämlich mit dem Stadtteil Lobeda, genauer Neu-Lobeda – war die Entscheidung schnell gefallen und man hatte im vergangenen Jahr Kontakt aufgenommen mit den kreativen Köpfen von 72HUA. Das sind Gilly Karjevsky (Kuratorin und Co-Director 72 Hour Urban Action) und Kerem Halbrecht (Architekt und Begründer 72 Hour Urban Action). Die beiden hatten schon in den letzten zehn Jahren vergleichbare Projekte in den Stadträumen von Stuttgart, Witten, Terni/Italien, Bat Yam/Israel,Londonderry/Nordirland oder Roskilde/Dänemark realisiert.
Warum in Neu-Lobeda? Weil der größte Stadtteil Jenas, der zwischen 1966 und 1986 für die Beschäftigten des Carl-Zeiss-Kombinates gebaut worden war und einmal Wohnraum für 40 000 Menschen schaffen sollte, durch seine rigoros maßstabslose Planung bald schon zum Problemfall der Stadt geworden war. Wie die meisten dieser Grünewiesemassenwohnbausiedlungen aus dieser Zeit. Zwar sei – auch wegen der umfassenden Sanierung der Plattenbauten, aber auch wegen des mangelnden Wohnraums in der schnell wachsenden Universitätsstadt – die Siedlung schon seit Jahren kein Brennpunkt mehr, so Caroline Zacheiß, aber dennoch gebe es hier immer noch Defizite.
Im Fokus des „Internationalen Echtzeit Architekturfestivals Jena“ standen damit vor allem attraktiv gestaltete Plätze, Orte, an denen das Leben im Quartier sichtbar werden kann und Entwicklung möglich gemacht wird. Das können schlichte Sitzlandschaften sein, aber auch Ausflugsziele, Kleinstbiotope oder Spielplätze für Kinder und neugierige Erwachsene. Damit diese, in nur drei Tagen realisierten Arbeiten, auf die speziellen Defizite reagieren können, ist das „72 Hour Urban Action Lobeda“ der erste Echtzeit-Architekturwettbewerb, bei dem internationale Experten gemeinsam mit Anwohnern zusammenarbeiten. Die in Neu-Lobeda schließlich arbeitenden zehn Teams, sind darüber hinaus möglichst interdisziplinär zusammengesetzt. Alter, Internationalität, Ausbildung, alles das ist, wenn möglich, weit gestreut und soll für den jeweilig zu behandelnden Ort das beste Ergebnis bringen.
Was sind nun die Orte, an denen zehn meist skulpturale, aber nutzbare Arbeiten stehen und um deren Fortbestehen nach Ablauf des Festivals im Juni zum Teil gerungen wird? Es ist eine offene Rasenfläche, eher eine Wiese im Abseits. Oder ein kiesbedeckter Erdstreifen zwischen zwei Baumreihen, ein Straßenraum, eine Platzseite, ein öffentlicher Parkplatz oder auch der Deckel des Lärmschutztrogs der nahen Autobahn. Alle diese Orte wurde im Vorfeld von den Kuratoren zusammen mit Einwohnern und der Stadt gesucht und gefunden, sie alle spielen eine Rolle im tagtäglichen Funktionieren des Stadtteils oder sollten eine neue Rolle übernehmen.
Dass man die meisten Arbeiten über ihre Materialität (Holz) schnell ausmachen kann, ist von Vorteil, hat aber den Nachteil, dass sie teils sehr improvisiert erscheinen und man sich fast genötigt sieht, hier und da Schrauben nachziehen zu wollen. Die Wahl des Material ist natürlich dem Budget geschuldet: Das beläuft sich auf 426 000 € (Vorplanung 2018, Realisierung 2019, Dokumentation 2020), davon kommen 186 000 € als Förderung aus dem Bundesprogramm „Soziale Stadt“, 103 000 € gab die Stadt Jena, 75 000 € die Thüringer Staatskanzlei und über Sponsoring und Spenden kamen noch 42 000 € hinzu. Doch darüber hinaus ist auch die knappe Zeit Grund dafür, mit Holz zu arbeiten, was sich leichter als viele andere Baustoffe verarbeiten lässt.
Was wird bleiben? Das eine oder andere soll möglicherweise in eine dauerhaftere Form gebracht werden, alles andere wird verschwinden. Was sicher bleiben wird ist die Erfahrung der Bewohner, dass sie selbst Einfluss auf Lebensorte nehmen und mit wenig Mitteln eine Menge für das soziale Miteinander erreichen können. Und das auch in enger und vertrauensvoller Zusammenarbeit mit der städtischen Verwaltung. Und nicht zuletzt kommen Besucher ins Quartier, die sich einmal das anschauen, was sie selbst leicht nachvollziehen können, aber auch das, was uns die Städtebauplanung der 1960er-Jahre hinterlassen hat: Aufgabe und Herausforderung zugleich. Neu-Lobeda: Muss man hin! Be. K.