Das unmögliche Bankhaus
Hauptverwaltung Volksbank AG, Wien/A

Die Österreichische Volksbanken-AG ist viertgrößtes Bankinstitut des Landes und bestand als einziges mittel­europäisches Institut kürzlich den Stresstest der Banken nicht. Tröstlich: Mit ihrem neuen Hauptquartier inmitten des denkmalgeschützten Kerngebiets des UNESCO Welt­kulturerbe am Wiener Ring (zwischen Peregringasse, Kolingasse, Liechtensteinstraße und Maria-Theresien-Straße) besitzt die ÖVAG nun ein Kleinod der Baukunst.

Der 1. Wiener Stadtbezirk und seine Anrainer atmen eine sentimental melancholische K.u.K. Melange. Wien ist dort Stephansdom, Fiaker, ein bisschen Sachertorte und vor allem Unesco-Weltkulturerbe. Die mächtigen Bauten in der Ringstraßenzone spenden ihre Kulissen für die Identität des Wiener Stadtbildes wie es weltweit in dieser kompletten Form unvergleichbar ist, deswegen scheint es sakrosankt, und unmöglich, hier ein neues Stück Architektur hinzufügen. Aber seit dem Loos-Haus am Michaelerplatz (1909) oder mit dem postmodernen Haas-Haus (1990) am Dom wurde es immer wieder gewagt. Zurzeit ist ein „inoffizieller Wettbewerb“ unter drei internationalen Architekten zu beobachten, wie man im 21. Jahrhundert weiterbauen soll. Im Vergleich zu David Chipperfields kräftiger, leider maßlosen Natursteinfassade mit tiefen Fensterhöhlen an der Kärntner Str. für Peek & Cloppenburg und dem asymmetrischen Dunkelglas-Koloss für Sofitel-Hotel und „Stilwerk“ am Schottenring von Jean Nouvel punktet Carsten Roth mit der Volksbank durch ein präzises, rationales Häuserkleid und hat sich deswegen zurecht im damaligen Bankhaus-Wettbewerb gegen Gae Aulenti, Geiswinkler & Geiswinkler Architekten, Atelier Hayde, Martin Kohlbauer, Marte. Marte Architekten und Boris Podrecca durchgesetzt.


1. Außen: Über Plastizität durch Kunststeine zu bösen Tauben

Bei Bauten des Hamburger Architekten Carsten Roth, der eine Zeit seiner Ausbildung bei Gustav Peichl in Wien verbracht hatte, spricht man irgendwie immer zuerst von seinen faszinierend akkuraten Fassaden; hier allerdings besonders gern, weil er angesichts der Kern­zone des Weltkulturerbes einen zeitgerechten Approach mit traditioneller Dreigliederung aus (gläsernem!) Sockel, Mittelzone und Attika kombiniert; Mezzanin, Symmetrie, Risalit, Gesims und Lochfenster tauchen als Motive und Bestandteile in einer Beton-Glasfassade auf – man kann im Einklang mit dem zum Ensemble gehörenden Altbau und den Nachbarhäusern fast subversive Wirkung verspüren: die Fas­sade ist poetisch und rational zugleich. „Tiefe“ wird erlebbar, letztendlich durch die tiefenverstaffelten Betonsteine, die hier nicht nur konstruktiv notwendig sind, sondern Schatten spenden und tänzerisch Plastizität durch Vor- und Rücksprünge der Betonquader in drei unterschiedlichen Tiefen und Öffnungen erzeugen. Wobei man die Verdichtung dieses Gestaltungsmittels an Ecken und Übergängen zum Altbau besonders bewundern muss.

Auf solche Weise werden Licht und Schatten zu Elementen der Architektur selbst. Es wurde eine lange, hintersinnige wienerische Auseinandersetzung zwischen Bauherrn und Architekten in anstrengen­der, aber nicht angestrengter Arbeit mit kleinen Tricks geführt, weil die Fassade aus Sichtbeton besteht, dessen marmorierte Oberfläche die Anmutung von weißem lebendigen Travertin erreichen sollte, was wieder nur durch „kleine Fehler“ das heißt Eingriffe bei der Schalung geht – doch wie will man einer Bank kleine Fehler erklären? Aber am Ende hielt der von den Architekten von Anfang bis Ende durchgetragene Begriff „schalungsreiner Kunststein mit travertinartiger Ober­fläche“ sein Versprechen einer Lebendigkeit wie beim natursteinern Vorbild ein und zeigt die gewünschte Wirkung. Und die „große“ Katastrophe, dass ausgerechnet die Taubenplage das Kunstwerk dieser Wand hätte bedrohen können, weil die Fassade hätte „verschissen“ werden können, hat Carsten Roth durch Lebenserfahrung und mit viel Humor verhindert, als er deutlich machte, dass „Bewegung bei der Arbeit hinter den Fensterscheiben die Tauben schon verscheuchen würde“. So sind dann bisher weder Tauben noch ihre Spuren signifikant sichtbar geworden...

2. Konstruktive Feinheiten: Gehängte Fassaden und filigrane Dachtragwerke

Die achtstöckige Hauptfassade unter dem von der Straße kaum sichtbaren geneigten Dach scheint wie eine Scheibe über dem vollverglasten Erdgeschoss zu schweben. Das ist das Resultat der besonderen Tragkonstruktion, weil die Fassade als eine Art Vierendeel -Träger (Zweigurtträger mit quer angeordneten Verbindungselementen) ausgeführt wurde: „Die vertikalen Elemente bilden die Gestalt gebende Fassadenstruktur, die horizontalen Elemente sind als niedrige Brüstungen in den Geschossdecken integriert. Die Fassade hängt an zwei Stellen an orthogonal zu ihr liegenden Wandscheiben. Diese Wandscheiben kragen über dem Erdgeschoss aus. Die daraus resultierenden horizontalen Kräfte werden über die Deckenplatten in die aussteifenden Bauteile geleitet“. Das Dachgeschoss wird als umlaufender, auskragender Ring ausgeführt. Im Bereich des Altbaus liegt das Dachgeschoss auf Stahlbetonstützen auf, die in den Bestandswänden integriert sind. Die in der traditionell anmutenden, im konstruktiven Angang kühne Fassade wie auch die nun äußerst filigrane Glasdach-Unterkonstruktion liefern den Nachweis dafür, dass Kongenialität zwischen Architekten und Ingenieur Ziel führend ist!

Man muss nur auf die Unterkonstruktion schauen, wie dort kleine „V“-Stäbe auf Seilen erzeugt und so verspannt wurden, so dass sie nicht kippeln können...

3. Im Haus: Unendliche Räume und die Kunst

Das Projekt entstand unter raffinierter Auslegung der Wiener Bauordnung als Altbau: die neuen Teile betragen nur 49 % der Baumasse. Alt- und Ersatzbauten sind nun vereint unter einem Dach. Der Gebäudekomplex mit einer Bruttogeschossfläche von ca. 25 000 m2 bietet etwa 800 Mitarbeitern Platz.

Alt waren ursprünglich vier Wohnhäuser der K.u.K.-Hochzeit, später in den 1970er Jahren nachteilig zum Bürohaus verändert. Zwei Gebäude wurden abgebrochen. Die neue umlaufende Bebauung im Block ermöglicht weitgehend zweiseitige Belichtung zu den Gassen und zum überdachten Innenhof. Die Gruppen-Büros der meisten Mitarbeiter liegen weitgehend im Neubau und haben Straßenblick. So sie in den Innenhof ausgerichtet sind, bleiben sie dort ohne Einblick, da sich dort gegenüber keine Büros befinden, dafür die beiden Treppenhäuser, Teeküchen, Sanitär- und Nebenräume und einige Besprechungsboxen.

Roth und sein Team haben sie zu einer verspielten Metamorphose des Atriums verführt, in dem sie das gängige Bankenmotiv der „wolkenkratzenden Landmarke“ aufgenommen haben. Draußen zum Straßenraum war das aus bekannten Gründen in diesem Bezirk Wiens nicht erlaubt. Im Atrium nun wurden Funktions- und Erschließungsflächen zu sechs schlanken Baukörpern zusammengefasst, die von unten betrachtet wie das 1:10 Modell einer fensterlosen Hochhausgruppe ins 26 m hohe Atrium unter einem durchsichtigen ETFE-Foliendach ragen. Das an den Wänden verspannte Glasfasergewebe und die transparente Folie im Dach machen das Ambiente wolkig, Materialgrenzen wirken weich, verwischen sich, über uns der grenzenlose Blick in den Himmel über Wien. Ganz schön mutig. Aber die heutige Welt der Banken braucht wohl solche gefühligen Transiträume zur Beruhigung – ganz anders war die Situation zu Beginn der Moderne als die harte Materialität aus Glas und Eisen in der Mutter aller neuzeitlichen Kassenhallen, jener von Otto Wagner in der nicht weit entfernten Postsparkasse, Stärke und Aufbruch symbolisierten. Keine Überraschung, wenn dieser Lichthof der ÖVAG bei Besuchern und Angestellten wie ein Museumsraum aufgefasst und genossen wird. Otto Zitko hat deswegen die Figur der Minitürme künstlerisch mit einem 4 000 m2 großen Wandgemälde auf der Folienverkleidung versehen. Er verwirrt mit seinem Grafiti noch mehr und unterstützt damit die Virtualität in der Realität, weil er eine künstliche „vierte“ Dimension im Raum liefert. „Ich bin ein analoger Typ“ sagt Carsten Roth dazu und liebt das aufgemalte Knäuel der kurvigen Striche auf vor- und zurückspringenden Wänden. Wo üblicher­weise Bankhauslobbys glitzern oder den Besucher durch luxuriös „parfumierte“ Materialien bedrängen, setzt Carsten Roth auf perfekte Leichtigkeit im Spiel vom „gotischen“ Raum, wo einfallendes Licht ein ungewohntes Cocooning-Gefühl für Banker herbeizaubert... Kommerz und Kunst gehören ja irgendwie zusammen, die Deutsche Bank in Frankfurt (s. a. Seite 24 ff) verfügt über eine imposante Sammlung, im österreichischen Maßstab kann man hier mithalten Die Österreichische Staatspreisträgerin Brigitte Kowanz wartet schon im Foyer mit der Lichtintervention: „Unendlich/Eins, Eins/Unendlich” auf und lenkt den Blick des Betrachters in die Höhe. Der Schriftsteller Franzobel schrieb das Theaterstück „Die Pappenheimer“ eigens für das Gebäude, die Uraufführung fand im Innenhof statt, das Schauspielhaus Wien führt das Stück nun im Programm. Die Künstlerin Eva Schlegel verwandte den Text des Theaterstücks für architektonische Textinterventionen: Vom obersten Stockwerk bis zum Erdgeschoss auf Glastüren und Trennwänden aufgebracht, durchzieht der anschauliche Text die Bank. Wer über ein solches Haus verfügt, wird noch so manchen Stresstest gut überstehen.

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