Die „Eigenart der näheren Umgebung“ im Sinne des § 34 Abs.1 BauGB
VG Berlin, Urteil vom 04.06.2019, Az.: 13 K 125.18Wonach orientiert sich eigentlich die „Eigenart der näheren Umgebung“ eines Bauvorhabens nach § 34 Abs.1 BauGB? Mitte 2019 musste das Verwaltungsgericht Berlin diese Frage beantworten.
Geklagt hatte ein Grundstückseigentümer, dem die Erteilung einer entsprechenden Baugenehmigung für den Rückbau einer bestehenden Remise und die Neuerrichtung eines Wohngebäudes in zweiter Baureihe auf seinem Grundstück versagt wurde.
Das streitgegenständliche Grundstück liegt in einer Villenkolonie direkt an der Müggelspree. Zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung befand sich in der vorderen Grundstückshälfte ein freistehendes Einfamilienhaus, sowie im hinteren Grundstücksteil ein weitläufiger Garten sowie direkt an der Grundstücksgrenze eine Remise. In dem angrenzenden Baublock befanden sich im vorderen Grundstücksbereich durchgängig freistehende Einfamilienhäuser. Die Wohngebäude wurden dabei durchgehend nicht an die Grundstücksgrenzen gebaut. Ausnahmen hierzu bildete lediglich ein Doppelhaus, wobei dieses auch den Eindruck einer freistehenden Bebauung machte. Insgesamt wird die Villenkolonie durch ihre durchgehend offene und kleinteilige Bauweise, iVm. den landschaftlich dominierenden Uferbereichen, in denen sich oftmals parkähnlich angelegte Gärten befinden, besonders geprägt. Um dieses Bild zu erhalten wurde 2001 vom Bezirksamt eine das Gebiet betreffende Erhaltungsverordnung erlassen.
Das Verwaltungsgericht lehnte eine grenzständige zweigeschossige Bauweise des Wohngebäudes ab, da das Bauvorhaben u.a. nicht der durch die Umgebungsbebauung vorgegebenen offenen Bauweise entsprach. Zur Beurteilung, ob sich ein Bauvorhaben in die nähere Umgebung einfüge oder nicht, seien die in § 34 Abs.1 BauGB genannten Kriterien jeweils gesondert voneinander zu betrachten, so das Verwaltungsgericht in seinem Urteil. Entscheidend sei jedoch die Würdigung der tatsächlichen Verhältnisse des Einzelfalles. Generell sei bei der Beurteilung der „näheren Umgebung“ i.S.d. § 34 Abs.1 S.1 BauGB auf diejenige Umgebung abzustellen, auf die sich die Ausführungen des Vorhabens konkret auswirken können und die ihrerseits wiederum den bodenrechtlichen Charakter des Baugrundstücks prägen oder beeinflussen. Im konkreten Fall kam es dem Verwaltungsgericht zunächst auf die straßenseitige Bebauung der grundstücksanliegenden Straße, also das straßenseitige Erscheinungsbild an. Entlang des Straßenzugs prägen überbaute Grundstücksflächen im vorderen Grundstücksbereich das Gebiet. Vorhandenen Grenzbauten im Hinterland der Grundstücke fehlte hingegen jene Präsenzwirkung. Bei Betrachtung von Luftaufnahmen und Liegenschaftskarten ergab sich darüber hinaus ein generelles Bild des Straßenzugs, in welchem überwiegend freistehende Einzelhäuser vorlagen. Folglich sah das Verwaltungsgericht, als maßgebliche Bauweise nach § 34 Abs.1 S.1 BauGB, nur die offene Bauweise und gerade nicht die vom Kläger geplante halboffene Bauweise als maßgeblich an.
Demnach komme es nur auf die von außen wahrnehmbaren Maße und Verhältnisse der Gebäude an. Ob sie in Übereinstimmung mit den baurechtlichen Vorschriften errichtet worden sind, sei nicht relevant. So wäre es insbesondere unzulässig, die Eigenart der näheren Umgebung auf das zu beschränken, was städtebaulich gewünscht oder vertretbar sei. Allerdings muss die Betrachtung auf das Wesentliche zurückgeführt und alles außer Acht gelassen werden, was die Umgebung nicht prägt oder ihr gar als Fremdkörper erscheint. Bauliche Anlagen, die von ihrem Erscheinungsbild nicht die Kraft haben, die Eigenart der näheren Umgebung zu beeinflussen, die der Betrachter also nicht oder nur am Rande wahrnimmt, müssen folglich außen vor bleiben für die Beurteilung der „näheren Umgebung“ nach § 34 Abs.1 BauGB.
Der § 34 BauGB spielt für die Beratungs- und Planungsaufgabe der Architekten eine wesentliche Rolle. Fehlt ein entsprechender Bebauungsplan oder stellt sich dieser als unwirksam heraus, ist im städtischen Bereich für die Bauweise nach § 34 BauGB die nähere Umgebung maßgeblich. Hierbei kommt es immer wieder zu Problemen mit der Anwendung, bzw. der Auslegung, welche Bauweise genau zulässig ist. Hier hilft nur eine Einzelfallbetrachtung unter allen in Betracht kommenden Möglichkeiten, eben wie hier auch unter zur Hilfenahme von Luftbildern. Letztlich zählt also nur der Einzelfall und der Geschmack des Gerichts….