EuGH Verhandlung zur Anwendbarkeit der HOAI-Mindestsätze in den Altfällen
Der Europäische Gerichtshofes (EuGH) stellte am 4. Juli 2019 in dem Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland mit Urteil fest (Az.: RS C-377/17), dass das zwingende Preisrecht der HOAI 2009/2013 in unzulässiger Weise gegen die EU-Dienstleistungsrichtlinie (2006/123/EG) verstößt. Die Bundesrepublik war daraufhin zum Handeln aufgefordert. Es entstand die neue HOAI 2021 – ohne zwingendes Preisrecht. Was aber geschieht nun mit den Altfällen?
In der HOAI 2021 sind hierzu keine Regelungen zu finden. Wie sind all die streitigen Vertragsverhältnisse, denen die HOAI 2009/2013 zugrunde liegen, zu behandeln? Darf ein Gericht das zwingende Preisrecht in der Entscheidungsfindung noch anwenden oder muss es dieses außer Acht lassen? Hierüber ist zumindest in Vertragsverhältnissen zwischen Privaten ein großer juristischer Streit entfacht worden, den selbst der Bundesgerichtshof (BGH) nicht entscheiden wollte. Der BGH legte dem EuGH diesen Streit am 14.5.2020 zur Vorabentscheidung vor (Az.: Rs. C-261/20- Sache: Thelen Technopark Berlin). Die zentrale Frage in dem Fall ist, ob die in § 7 HOAI 2013 geregelten Mindestsätze in dem streitigen Rechtsverhältnis unangewendet bleiben müssen. Am 3.5.2021 fand hierzu in Luxemburg die mündliche Verhandlung vor dem EuGH statt. Teilgenommen hatten auch die Europäische Kommission sowie das Königreich der Niederlande als Beteiligte.
Sowohl die Niederlande als auch die Europäische Kommission vertraten im Ergebnis die Ansicht, dass die Mindestsätze keine Anwendung auf das streitige Rechtsverhältnis finden dürfen. Die Begründungen hierzu waren zwar unterschiedlich, das Ergebnis damit aber gleich. Die Entscheidung dieser Frage ist deswegen so interessant, da sich Private bisher nur gegenüber Mitgliedstaaten auf eine unmittelbare Wirkung von EU-Richtlinien berufen konnten, nicht aber gegenüber anderen Privaten. Im Verhältnis zwischen Privaten besteht grds. keine unmittelbare Wirkung von EU-Richtlinien. Hier muss zunächst auf eine Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht abgewartet werden.
Die Niederlande begründeten ihre Ausnahme von diesem Grundsatz mit der Schutzwirkung der konkreten EU-Richtlinie gegen ein EU-rechtswidriges Verbot (hier: Verbot der Unterschreitung der HOAI-Mindestsätze). Zudem würde bei der Unanwendbarkeit der Regelungen zu den HOAI-Mindestsätzen genau das gelten, was die Parteien ursprünglich vereinbart hatten, eine Unterschreitung der Mindestsätze. Die Schutzwirkung führt nur dazu, dass die entgegenstehenden nationalen verbotswidrigen Regelungen unangewendet bleiben.
Die Kommission dagegen beruft sich auf eine unmittelbare Wirkung der Richtlinie zwischen Privaten, da diese den Preis des Vertrages einvernehmlich abweichend vom gesetzlichen Mindestpreis vereinbart haben. Der Staat greift mit seiner unionsrechtswidrigen Regelungen zu den HOAI-Mindestsätzen in diese Vertragsfreiheit ein. Die Anwendbarkeit der EU-Dienstleistungsrichtlinie zwischen Privaten müsse daher als Abwehr gegen diesen staatlichen Eingriff direkt gelten (Schutzwirkung gegen unionsrechtswidrigen staatlichen Eingriff). Zudem führt die Kommission die in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union durch Art. 16 geregelte Vertragsfreiheit an, die unmittelbar auch zwischen Privaten gilt. Diese sei durch den unionsrechtswidrigen § 7 HOAI (2009/2013) gerade nicht einzuschränken.
Wie der EuGH entscheiden wird ist noch vollständig offen. Auch die weiteren Fragen, auf welchen Zeitpunkt für eine etwaige Unanwendbarkeit der HOAI-Mindestsätze abzustellen wäre ist noch offen. Die Schlussanträge des Generalanwalts werden jedenfalls für den 15.7.2021 erwartet, ein Urteil noch in 2021. Entscheidet der EuGH entsprechend der Argumentation der Kommission oder der Niederlande führt dies zur Unanwendbarkeit der HOAI-Mindestsätze in den streitigen Altfällen. Aufstockungsklagen hätten dann – ggf. abhängig vom noch unklaren Anknüpfungszeitpunkt für das Anwendungsverbot – sehr wahrscheinlich keinen Erfolg mehr.