EuGH öffnet Klageweg. Jetzt ist der BGH dran
„Die HOAI leistet einen wesentlichen Beitrag zu fünf Aspekten: zur Qualitätssicherung, zum Verbraucherschutz, zum Schutz unseres Mittelstandes und zur Kostentransparenz und Korruptionsvermeidung mit einem geringstmöglichen Maß an Bürokratie“, so die damalige Präsidentin der Bundesarchitektenkammer, Barbara Ettinger-Brinckmann, in einem Gespräch, das wir mit ihr am 24.01.2017 im Berliner Büro der Bundesarchitektenkammer geführt hatten. 2017, da war das Gespenst der Herausnahme der verbindlichen Mindest- und Höchsthonorarsätze durch die Europäische Kommission eben noch dieses: sichtbar, aber zugleich wesenlos.
Dieser Schwebezustand endete mit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 04.07.2019 (Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland, Az.: C-377/17), die HOAI schien gekippt. Zentraler Grund, warum die Kommission Deutschland verklagt hatte, war die in der HOAI festgeschriebene Einschränkung der Niederlassungsfreiheit, womit, nach Kommissionsauffassung, europäische KollegInnen nicht die gleichen Chancen hätten wie deutsche. Auch wurde das zwingende Preisrecht kritisiert, das gegen die EU-Dienstleistungsrichtlinie verstoße und nach Auffassung von Brüssel den ansonsten liberalisierten Binnenmarkt in seiner freien Entwicklung behindere.
Nun ist die vielzitierte „Abschaffung der HOAI“ gar keine. Sie dient immer noch der Orientierung an den Leistungsphasen, funktioniert immer noch bei Vertragsabschlüssen, die nun teils auch nur noch der textlichen Form genügen müssen, nach Leistungsstart neu verhandelt oder abgeschlossen werden können etc. Allerdings gab es bis Anfang dieses Jahres ein Problem: Können sich ArchitektInnen/IngenieurInnen vor Gericht immer noch auf das Mindestsatzgebot berufen? Oder dürfen deutsche Gerichte Klagen abweisen, die auf das zwingende Preisrecht rekurrieren? Der Bundesgerichtshof war 2020 mit einer solchen Klage befasst, die er allerdings an den EuGH weiterreichte, da dieser zunächst zu klären hatte, ob die EU-Dienstleistungsrichtlinie im Rahmen von laufenden Gerichtsverfahren zwischen Privaten unmittelbar angewandt werden kann. Das wurde nun, am 18.01.2022 vom EuGH positiv entschieden:
Die EU-Dienstleistungsrichtlinie, so die Richter, beziehe sich auf den Mitgliedsstaat, nicht auf den Einzelnen. Das Urteil im Vertragsverletzungsverfahren bindet ausschließlich die Bundesrepublik Deutschland. Damit können deutsche Gerichte weiter das zwingende Preisrecht der HOAI 2013 anwenden. Und: Eine Partei, die durch die Unvereinbarkeit des nationalen Rechts (zwingendes Preisrecht der HOAI 2013) mit dem Unionsrecht (EU-Dienstleistungsrichtlinie) einen Schaden erleidet, kann Schadensersatz von der Bundesrepublik Deutschland verlangen!
Damit ist nun der BGH wieder an der Reihe. Er wird, das scheint deutlich geworden zu sein, für die Anwendbarkeit der HOAI-Mindestsätze entscheiden. KlägerInnen in Sachen Aufstockungsklage können damit – aller Voraussicht nach – wieder den Klageweg beschreiten.
Unsere Rechts- und Fachanwälte Axel Wunschel und Jochen Mittenzwey haben das Thema intensiv und über viele Monate auf DBZ.de verfolgt. Wer tiefer einsteigen will, ist dort genau richtig. Be. K.