„Garden Campus Vaihingen“

Der ehemalige Sitz der IBM-Hauptverwaltung in Stuttgart-Vaihingen wurde in den 1960er-Jahren von Egon Eiermann geplant. Seit vielen Jahren leerstehend werden die Bauten und das riesige Gelände am Stadtrand immer wieder neu be- und verplant. Investoren kamen und gingen. Jetzt soll der letzte dieser Reihe wackeln. Wäre es hier nicht an der Zeit, dass sich die Stadt selbst zur Bauherrin/Investorin aufschwingt? Müssen wir den Denkmalschutz neu denken? Die Sache ist kniffelig, eine Lösung nicht in Sicht. Oder doch?!

Wieso ist eigentlich immer vom „Campus“ die Rede, wenn über die ehemalige, von Egon Eiermann in den 1960er-Jahren entworfene IBM-Hauptverwaltung die Rede ist? Vielleicht, weil die pavillonartigen Bürobauten plus Mensa in einer leicht hügeligen Wald- und Wiesenlandschaft eingebettet liegen? Eher schon, weil in der Zeit der Realisierung der Hauptverwaltung die Universität der Stadt Stuttgart als ein „universitärer Campus“ ganz in der Nähe neu gegründet wurde.

Und ganz sicher „Campus“, weil Großprojekte dieser Art immer am besten „Campus“ heißen müssen, darunter darf sich dann jeder etwas (Großartiges) vorstellen.

Also Eiermann-Campus Stuttgart-Vaihingen, oder „Carré 5“, wie es der erste Investor in Anspielung auf die vier Eiermann-Bauten (plus die Ergänzung durch Kammerer und Belz 1983–84) um 2010 ­herum vermarktete. Es folgten – teils inoffiziell, also volksmündlich – IBM-Areal, IBM-Campus und jetzt aktuell „Garden Campus Vaihingen“. Endlich, Garden assoziiert man sofort mit Garten Eden, Paradies … Also jedenfalls dann, wenn man ganz allein auf dem riesigen, umzäunten, rund 20 ha großen Gelände steht und die dort stillstehende Zeit erleben kann. Gras, Büsche und kleine Bäume sah man dort, wo sie nicht sein sollten, aber nun gewachsen waren in den mehr als zehn Jahren paradiesischer Verlassenheit. Allerdings, ganz so still steht die Zeit dann doch nicht. Das schöne Gelände hat den Nachteil – den man in der Planungs- und Bauphase als Vorteil gesehen hat – von zwei Autobahnen umfangen zu sein, auf denen unentwegt die Zeit blechern eilt und rast.

Nachdem IBM den Standort 2009 verlassen hatte – seit neun Jahren stand das Ensemble aus künstlerischen und wissenschaftlichen Gründen nach § 2 Denkmalschutzgesetz unter Denkmalschutz – kamen die Interessenten und gingen wieder. Es gab Abrissüberlegungen, worauf 2013 der damalige Oberbürgermeister Stuttgarts, Fritz Kuhn, Bündnis 90/Die Grünen, das „Fachkolloquium Eiermann-Campus“ initierte. Hierin wurde im Wesentlichen herausgearbeitet, dass das Ensemble nur zu erhalten sei, wenn die Bauten ers-tens sinnvoll weitergenutzt werden können, und zweitens, wenn auf dem großen Gelände großflächig neu gebaut werden würde. Wohnungen sollten das werden, eine Schule, Kita, Läden, Gastronomie, die ganze Kiste an Bausteinen, die man für die Realisierung eines Quartiers braucht.

Aber da sind wir in Deutschland noch ganz am Anfang

2016 gab es einen Aufstellungsbeschluss für das Bebauungsplanverfahren. Parallel dazu suchte der damalige Eigentümer, die Düsseldorfer Gerchgroup über einen zweistufigen städtebaulichen Wettbewerb nach konkreteren Bildern. Und natürlich nach der Zahl, wie hoch denn ca. die Kos-ten für das Invest werden können. Die zweite Runde gewann das Münchner Büro Steidle Architekten zusammen mit Realgrün Landschaftsarchitekten noch im gleichen Jahr. Leitidee des Siegerentwurfs war ein geschwungenes, von den Architekten so genanntes „Schleifenhaus“, eine bewohnte Lärmschutzwand, deren Visualisierung begeisterte, deren Realisierung aber wohl der günstigeren Lärmschutzwandvariante weichen wird. Im Inneren des Geländes mit sanierten Bestandsbauten und Neubauten auf drei Baufeldern entlang der Pascalstraße war ein zentraler Grün- und Erholungsraum mit einem See geplant.

Aber da sind wir in Deutschland noch ganz am Anfang. Es gab einen Investorenwechsel – das Areal ist mittlerweile im Eigentum der Consus Swiss Finance AG – und Ende 2018 beschloss der Gemeinderat die Projektanmeldung des Eiermann-Campus für die Internationale Bauausstellung 2027 (IBA‘27); der Investor stimmte dem zu, wieso auch nicht, ist eine Beteiligung an einer IBA doch immer auch eine zusätzliche Absicherung einer immer noch im Schweben seienden Projektidee. Im gleichen Jahr hatte der Ausschuss für Umwelt und Technik den Beschluss zur Fortführungsentscheidung zum Bebauungsplanverfahren Eiermann-Campus / Pascalstraße gefasst, mit einer Präzisierung der Projektzielsetzungen: hoher Wohnanteil, das Eiermann-Ensemble wird denkmalgerecht saniert und soll für gewerbliche ­Nutzung bereit gemacht werden, es soll ein Mobilitätskonzept sowie eine adäquate soziale Infrastruktur wie allgemein ein nachhaltiges Energieversorgungskonzept entwickelt werden. Der Investor folgt damit den gestiegenen Anforderungen an den State of the Art sogenannter integrierter Quartiere.

Es ist auch eine Seilbahn im Gespräch

Der Pavillon 4 von Kammerer und Belz sollte – weil er nach Abriss dem See Platz macht – Ende 2019 noch als temporäres Gründerzentrum herhalten. Die Wirtschaftsförderung im Rathaus wollte mit 180 000 € jährlich für vier Jahre eine Art Anschubfinanzierung leisten. Das Start-up-Konzept mit thematischem Fokus auf Themen wie Digitales Bauen, nachhaltige Mobilität und Energieversorgung sowie neue Arbeitswelten hängt allerdings in der Luft, die Pandemie hat diesem Projektteil die Luft genommen. Das könnte sich auch auf die Absichten auswirken, die Start-up-Konzepte in die drei Eiermann-Pavillons sukzessive weiter zu implementieren.

Im Januar dieses Jahres kam die Meldung, der Auslegungsbeschluss sei für den Sommer „an­gestrebt“. Er wird einige Änderungen auf der ­Planungsseite zeigen. So sollen die großen Dachflächen als Freiflächen genutzt werden können – Reaktion auf die Vorwürfe, die Neubauten nähmen zuviel Fläche in Anspruch. Auch rückt nun offenbar ein oberirdisches Quartierparkhaus in den Fokus, Teil des überarbeiten Mobilitätskonzepts. Zudem werden zwei Sondergebiete ausgewiesen, deren Bebauung die Lebensmittelversorgung sichern soll. Es wird ein Stadtteilhaus, eine Musikschule und geförderten Wohnraum geben. Wie der „Garden Campus Vaihingen“ verkehrlich in den Stadtraum Stuttgart zu integrieren ist, darüber wird noch gestritten. Es ist neben der Weiterführung einer vorhandenen Stadtbahn auch eine Seilbahn im Gespräch.

Ebenfalls im Gespräch ist aktuell die möglicherweise angeschlagene Kapitallage der Muttergesellschaft des Investors, die Adler Group, deren Projektentwicklergesellschaft die Consus Swiss ist. Zahlreiche Bauprojekte in deutschen Großstädten gehen zur Zeit nicht oder nur sehr zögerlich voran. Von da aus gesehen besteht die Befürchtung, dass die beschauliche Stille im „Garden Campus Vaihingen“ noch eine ganze Weile anhalten könnte. Vielleicht schaut die Stadt selbst einmal auf die Immobilie und ihr (auch wirtschaftliches) Potenzial? Be. K.

www.vaicampus.de, www.steidle-architekten.de
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