Großmaßstäbliches Mietwohnen? Aber Ja!

DBZ Heftpaten Pablo Molestina und Barbara Schaeffer, Molestina Architekten, Köln

Ab dem Ende des 19. Jahrhunderts bis in die 1930er-Jahre entstehen überall in Deutschland Wohnungsgenossenschaften, wie „DIE EHRENFELDER“ in Köln (1899). Alle stellten sich dem Anspruch, preiswertes Mietwohnen in einer konzentrierten Zusammenarbeit von Arbeitern, Fabrikanten und Sozialaktivisten zu schaffen. Es entstanden architektonisch ambitionierte Modelle eines Zusammenlebens für die unteren sozialen Schichten, die besser waren als die meisten in der restlichen Stadt. Beispiele dieser Wohnbau-Typologien, die an der Grenze stehen zwischen Städtebau und Architektur, lassen sich in Projekten von Ernst May, Wilhelm Riphahn, Bruno Taut, Hannes Meyer u. v. m. bewundern und stehen immer häufiger in der UNESCO-Liste des Weltkulturerbes.

Charles Moores in den frühen 1980er-Jahren geäußerter Imperativ „Houses, Not Housing!“ drückt dabei die Ambivalenz der internationalen Architekturavantgarde zu diesen ganz speziellen und meist großen Wohnbauprojekten aus, insbesondere zu jenen der Nachkriegszeit. Wie in der Wirtschaft, wo die gestaltende Rolle der Kommunen und Städte zugunsten der der Privatinves-toren wich, wurde die Wohntypologie der Großform „Siedlung“ als legitime architektonische Typologie von Architekten fast aufgegeben. Der fehlende architektonische Anspruch bei vielen der späten Projekte von gemeinnützigen Wohnungsbauunternehmen hat den schlechten Ruf dieser Typologie nur bestätigt. Dabei hat das neoliberale Wirtschaftsmodell das erhoffte Angebot an bezahlbarem Wohnen bis heute nicht realisieren können. Vielmehr leidet das bezahlbare Wohnen an der Höhe der Baukosten und fehlender Innovationsbereitschaft. Die Gesamtwirtschaftlichkeit von Projekten – Kernbedingung des neoliberalen Handelns –
leidet unter der Auflage nach gefördertem Wohnen.

Eine Typologie des „Bezahlbaren Wohnens für alle“ kann sich wieder an den selbstbewussten, großmaßstäblichen Modellen der frühen Wohnsiedlungen orientieren. An der Grenze zwischen Architektur und Städtebau kann das „große Mietwohnen“ die Einschränkungen der Einzelwohnungen durch ein ausgewogenes Kollektivumfeld kompensieren. Grünanlagen, Cafés und Spielwiesen werden für alle harmonisch eingeplant. Sonderräume für Genuss und Bildung sind für alle möglich. Das serielle Bauen in der Großform erlaubt Kostenoptimierung und ermöglicht den wirtschaftlichen Einsatz von nachhaltigem Bauen. Innovative Details können eigens für ein Projekt entwickelt werden, dass sie funktional und schön sind. Die Frage nach einem guten städtebaulichen Konzept, das ein Beitrag auch für die gesamte Stadt sein kann, bekommt eine besondere Bedeutung.

Wohnungsgenossenschaften leben vom sozialen Zugehörigkeitsgefühl der Teilnehmer. Der architektonische Maßstab der Siedlung bietet die Möglichkeit, der Mietergemeinschaft eine physische Gestalt zu verleihen. Einfache Gestaltungsmerkmale, wie Farbakzente, betonen die Zusammengehörigkeit einzelner Straßen und Höfe. So wirkt man der Entfremdung zwischen Nutzern und der Verwaltung der Wohnungsgenossenschaften entgegen und ermöglicht das Mitverantwortungsgefühl. Aktive Teilnahme und Identifikation von Bewohnern lässt auch eine Planung entstehen, die die Vielfalt und Besonderheit des Nutzermix reflektiert. So sind realitätsnahe Mobilitätskonzepte möglich, die zur Entlastung des Nebenflächenbedarfs im Projekt beitragen und die Kosten senken. Auch die Chancen für eine Voranfertigung einzelner Bauteile erlauben Kos­ten- und Zeitoptimierung und auch Qualitätsverbesserungen.

Sich beschäftigen mit dem „großen Mietwohnen“ bedeutet vor allem, dass Architekten sich die Frage nach dem zentralen Individualitätsbegriff stellen. Das inszenierte Individuelle mancher Neubaugebiete und Wohnanlagen schafft keine Individualität, sondern Konfusion. Denken wir an die Hauseingänge von Bruno Taut und die einfachen und einprägsamen Farbkombinationen seiner Architekturen, schon verstehen wir, dass „Individualität im Gesamten“ vielfältig sinnhafter ist als der reine Individualismus, und dass die Wohntypologie des großen Mietwohnens der Vergangenheit gar keine schlechte Ausgangslage für die Entwicklung des preiswerten Wohnens heute darstellt.

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