„Ingenieurskunst und Höhenweltmeister“
Dipl-Ing. Peter Cachola Schmal zum Thema „Hochhäuser“

Sicherlich ist es auch für uns in Deutschland immer wieder spannend, die spannende Entwicklung des Typus Wolkenkratzer zu studieren. Aber wir tun dies inzwischen leider von außen, denn sie findet nicht mehr bei uns statt. Noch vor 16 Jahren spielte Frankfurt und damit Deutschland und Europa in der ersten Reihe mit, dank des 259 m hohen Commerzbankturms von Foster + Partners. Dieser mitten in die engen Blöcke der Innenstadt platzierte Turm stand für eine neue Ära des städtebaulich vernetzten und ökologischen Hochhauses. Es war das höchste Haus Europas und löste somit den nur wenige Meter kleineren Frankfurter Messeturm von Murphy+Jahn von 1991 ab. Mit seiner Basis integriert sich der Commerzbankturm in den städtebaulichen Kontext. Und er hatte einiges der Öffentlichkeit zu bieten: einen Fußweg durch das Blockinnere, ein großstädtisches Restaurant sowie ein Auditorium für kulturelle Nutzungen. Stolz wurde es als „das erste ökologische Hochhaus weltweit“ gepriesen, dank ausgeklügelter Techniken, die heute oft als Standard gelten.

Diese Zeiten sind vorbei, die wirtschaftliche Dynamik – immer schon symbolisiert durch emporstrebende Wolkenkratzer – geschieht heute an anderen Orten. Aus Europa werden immer weniger Beiträge zum Thema Wolkenkratzerentwicklung gemeldet. Eine Handvoll der internationalen Akteure sind noch europäisch (Foster + Partners, RMJM, TFP Farrells, Renzo Piano Building Workshop, OMA, Dominique Perrault, Jean Nouvel, Rogers Stirk Harbour) doch die maßgeblichen Architekten (absolut führend SOM und KPF, vor Adrian Smith+Gordon Gill, Arquitectonica, Gensler, Goettsch, Murphy/Jahn, NBBJ, Pelli Clarke Pelli und Studio Daniel Libeskind) und ihre Fachingenieure stammen aus den USA – wobei ihre Schöpfungen heute zumeist in China, Südkorea und im Nahen Osten gebaut werden. So steht die neue Generation der Supertalls (ab 300 m) fast gänzlich dort und in den USA. Derzeit sind 73 dieser Türme fertiggestellt, davon jeweils 24 in China und im Nahen Osten, sowie 14 in den USA. In Zukunft wird die Statistik noch krasser ausfallen: Allein in China sind 67 Supertall Towers in Bau, 19 im Nahen Osten und nur noch 3 in den USA sowie 5 in Russland. Inzwischen redet der in Chicago ansässige Council of Tall Buildings and Urban Habitat (CTBUH) von Megatall Towers mit über 600m Höhe. Der künftige Spitzenreiter Kingdom Tower in Jeddah wird diese Position mit poetischen 1 001 m Höhe einnehmen.

Interessant am neuen Typus des Hochhauses des 21. Jahrhunderts ist seine Nutzerstruktur. Denn heute dominiert nicht mehr der reine Bürobau, der das Selbstbild einer stolzen Firma symbolisiert. Bei den meist von privaten Investoren erbauten Projekten spricht man von „Mixed-Use Buildings“: Büros werden in den unteren Bereichen über mehrgeschossige öffentliche Nutzungen und Einzelhandel angeordnet. Der Bau ist meist perfekt erschlossen, denn er steht über oder neben wichtigen Verkehrsknoten. Konstruktiv hat sich die Bauweise komplett von Stahl zu hochfesten Betonen verschoben, manchmal in Mischformen, wie mit Beton verfüllten Stahltragwerken. Über den Bürogeschossen folgen Eigentumswohnungen und die Höhe ziert ein Luxushotel mit Restaurant und Bar, oft mit einer Besucherplattform. Leider regiert bei den meisten der aktuellen Projekte nicht einmal gestalterisches Mittelmaß. Wir werten derzeit über 500 fertiggestellte Türme seit 2012 aus, um Nominierungen für den Internationalen Hochhauspreis 2014 zu finden. Leider erzeugen die Anhäufungen an Banalitäten (in China) und Absurditäten (besonders im Nahen Osten) eine nachhaltige Verschlechterung der Stadtbilder.

Ein kleiner Trost für die hiesige Bauwirtschaft: Deutsches Knowhow in Spezialdisziplinen wird durchaus hoch geschätzt. Beim kommenden Höhenweltmeister in Jeddah sorgt die bayerische Firma Bauer AG für das standfeste Fundament. Der Turm wird auf Hunderten von Pfählen gegründet, die mit Maschinen aus Schrobenhausen gebohrt wurden. Beim Burj Khalifa hat der schwäbische Betonpumpenhersteller Putzmeister den derzeit gültigen Höhenweltrekord im Betonieren erstellt (606 m). Danach wurde die Firma vom chinesischen Weltmarktführer Sany Corporation übernommen.

Der Architekt

Dipl.-Ing. Architekt, Kurator und Archi­tekturpublizist Peter Cachola Schmal, geb. 1960 in Altötting, lebt und arbeitet in Frankfurt a. M. 1981-1989 Architekturstudium, TH Darmstadt, arbeitete u. a. bei Behnisch & Partner, ABE Architekten. 1992-1997 wissenschaftlicher Mitarbeiter, TU Darmstadt, 1997-2000 Lehrauftrag für Entwerfen II, FH Frankfurt. Seit 2006 Leitender Direktor des Deutschen Architekturmuseums (DAM), wo er seit 2000 Kurator war. Generalkommissar des Deutschen Beitrags der VII. Internationalen Architekturbiennale Sao Paulo 2007. Mitgliedschaften bei internationalen Verbänden, Stiftungen etc. Buchpublikationen. www.dam-online.de

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