Mit Demut an die Geschichte rangehen
Ein Gespräch mit Max Dudler in Heidelberg, www.maxdudler.com

Zur Eröffnung des Besucherzentrums am Heidelberger Schloss trafen wir dessen Architekten und konnten ihn für ein kleines Gespräch vor historischer Schlosskulisse gewinnen. Wir unterhielten uns über Gegenwelten, Mauerwandstärken und natürlich die Europäische Stadt. Die Frage, wo genau er denn im Engadin wandere, beantwortete er nicht, dafür umso nachdrücklicher die, wo er denn seine eigentliche Heimat sieht.

Herr Dudler, lief beim Besucherzentrum alles nach Plan?

Nach dem Wettbewerb haben wir sofort zu planen begonnen. Es gab einen engen Zeitplan mit fixem Schlusstermin von der Finanzierung her. Zum Glück lief alles optimal.

Konnten Sie das, was Sie geplant hatten, bis ins Detail umsetzen?

Wir denken schon im Vorfeld im Hinblick auf die Bindungen der Aufgabe und den Ort darüber nach, was wir erreichen wollen. Tatsächlich konnten wir vieles davon auch durchsetzen und umsetzen. Das Meiste ist gelungen. Auch unser Konzept geht auf, denke ich. Schon wenn Sie auf das Gelände kommen, verstehen Sie genau die Figur und Lage des Baus und seinen Zusammenhang mit dem historischen Schloss.

Hier haben Sie die Transformation aus der Vergangenheit in die Zukunft mit rauem Naturstein gemacht. Passt das?

Wir wollten das Klischee – Stahl und Glas gleich Modern und Bruchstein gleich Alt – ganz bewusst unterwandern. Ich fand es gerade interessant die alte, handwerkliche Technik des Bruchsteinmauerwerks mit neuen, heutigen Augen zu sehen. Für eine gelungene Integration in eine historisch gewachsene Gegebenheit spielt die Frage der Materialisierung eine überragende Rolle. Wir wollen ein ästhetisches Ganzes schaffen, ein Ensemble, ohne das Gleiche zu Wiederholen. Aber wir wollen eben auch keine Gegenwelten.

Meinen Sie, dass die Besuchermassen erkennen, dass sie es hier mit einem Neubau zu tun haben? Oder ist Ihnen die Masse egal?

Nein, im Gegenteil! Die Masse besteht aus Individuen, die beispielsweise hierhin pilgern, um die Architektur des Schlosses anzuschauen. Ich glaube deshalb, dass es ein Bewusstsein für Architektur gibt, auch wenn vielleicht nicht alle Besucher unsere Auffassung von Architektur teilen. Der Unterschied zwischen handwerklich behauenem Bruchstein mit großen Trassfugen und unserem maschinell gespaltenem Neckartäler Sandstein, der minimale, fast nicht sichtbare Fugen hat, ist vielleicht etwas für Feinschmecker, aber die Wahrnehmung einer Differenz ist denke ich da.

Sie deuten hier eine Wandstärke an, die an Burgenbau erinnert, aber nur eine Natursteinschicht vor Ortbeton ist. Ist das befriedigend?

In der Renaissance hat man auch nicht anders gebaut. Der Marmor oder der Sandstein hing doch am rohen Ziegel. Entschuldigung: Die Idee, dass ein Mauerwerk monolithisch zu sein hat, haben doch schon die Römer verworfen. Hier geht es um ein ästhetisches Prinzip.

Womit haben Sie bei diesem Projekt punkten können?

Wie schon beim Hambacher Schloss haben wir auch hier nicht einfach eine Gegenwelt entwickelt, sondern wir haben aus der Geschichte heraus ein modernes Gebäude konzipiert. Viele andere Architekten haben im Wettbewerb mit großen Glasöffnungen gearbeitet. Ich
finde aber, man muss, wenn man eine tolle Landschaft oder ein schönes Gebäude gegenüber hat, in Fragmenten denken.

Noble Natursteinskulptur außen und Souvenierladen mit Toiletten innen: passt das?

Ja, das ist doch genau richtig! Wir haben die dienende Funktion der Bauaufgabe zum Anlass genommen, ein Gebäude zu gestalten, dass sich ganz auf seinen Kontext bezieht. Die schrägen Leibungen der großen Fenster beziehen die Architektur des Schlosses, etwa das
Elisabethentor, quasi direkt in den Innenraum ein. Das Haus wirkt durch die Qualität seiner Architektur nobel, nicht durch das Material.

Stichwort Denkmal: Wie gehen Sie als Architekt mit Geschichte um?

Wie gesagt haben wir unsere Haltung zur Stadt und zur Geschichte. Daneben ist es eine ganz individuelle Auseinandersetzung. Wir be-
ziehen immer die Leute vor Ort mit ein. Das sind ja in der Regel die Denkmalpfleger, die die Situation sehr genau kennen und auch ihre Auffassungen haben. Wir haben eine Haltung aber wir respektieren auch andere Gesichtspunkte in einer Diskussion.

Wie könnte das aussehen?

Man muss die Denkmalexperten mit ins Boot nehmen, mit denen diskutieren und dann versuchen, die zu überzeugen!

Der Begriff der Europäischen Stadt scheint Ihnen sehr zentral zu sein. Wer sagt eigentlich, wie diese Stadt aussieht, wie sie ist?

Der Begriff „Europäische Stadt“ ist ja recht vielschichtig. Als Architekt beziehe ich mich natürlich hauptsächlich auf die räumliche Ordnung der historisch gewachsenen Stadt mit ihren typischen Formen, den öffentlichen Plätzen, den Gassen, Straßen, Boulevards die durch die Volumen gebildet werden. Dem über alle Epochen in Europa gewachsenen Repertoire der Stadtbaukultur. Das ist eigentlich eine ganz einfache Auseinandersetzung. Und also ärgert es mich manchmal, wenn man versucht, da Gegenwelten zu machen. Bei manchen Architekten heute ist es ja Gang und Gäbe, dass sie nur noch versuchen, aufzufallen. Ich denke, wir sollten demütiger an die Geschichte rangehen.

Also das akzeptieren, was überliefert ist?

Ja. Und nein. Ich vertrete eine reflexive Moderne. Wir transformieren das Überlieferte. Manche Entwicklung, wie die Zonierung der Moderne oder die eben beschriebenen Auswüchse unserer Eventkultur sehe ich kritisch, auch wenn sie im Rahmen der Geschichte eine gewisse Folgerichtigkeit haben mögen.

Als Hochschullehrer …

Nein, ich bin Professor an der Akademie – der besten Akademie der Welt – in Düsseldorf! Und hier bin ich kein Lehrer. Wir arbeiten in Baukunstklassen, wir profitieren genauso von den Studenten, wie
die Studenten von uns.

Und das ist an einer Hochschule anders?

Aber ja, ich sehe das jedenfalls völlig anders im Vergleich zu anderen Hochschulen. Das Akademie-Prinzip bleibt für mich etwas Einzigarti-
ges.… Ich vermittle hier eine Haltung. Der Gedanke der Kontinuität ist mir wichtig. Man darf sein eigenes Handeln und Gestalten nicht unabhängig vom Vergangenen verstehen sonst wird es beliebig. Ich denke, dass wir wie Ungers und Rossi wieder einmal die Arbeit an der Europäischen Stadt aufnehmen und uns von den Bubbles und Bobbles verabschieden müssen.

Was sagen Sie dann zur Städel-Erweiterung in Frankfurt?

Ach nein, das ist doch o.k. Nein, wir müssen die Europäische Stadt insgesamt als eine Art Work in Progress betrachten. Und damit meine ich auch New York oder Rio de Janeiro. In China versucht man Geschichte in Form von Modellen historischer europäischer Städte zu importieren. Das wollen Sie in zehn Jahren nicht mehr anschauen.

Sie sind nicht in China unterwegs?

Nein. Mich interessiert das nicht. In Japan würde mich das eher interessieren, weil es Teil der japanischen Kultur ist, Fremdes auf überraschende Art in Kultur und Geschichte zu integrieren. Das würde mich interessieren, was die aus dem Dudler machen.

Was machen Sie eigentlich, wenn Sie nicht Architekt sind?

Ich schau mir ein bisschen die Berge an … [lacht]

Wo sind Sie dann, in der Schweiz vermutlich!?

Im Engadin …

Hambacher und Heidelberger Schloss ... das zwei große deutsche Kulturklischees. Wie fühlen Sie sich hier als Schweizer?

Ich lebe seit 30/40 Jahren in Deutschland …


… sind aber doch Schweizer im Herzen …

Ich baue sehr viel in der Schweiz, wir haben ein Büro in Zürich, aber ich denke mir, dass ich meine Sozialisierung in Berlin erfahren habe. Die Schweiz ist anders, kleiner aber vielfältiger durch die Sprache allein schon. Und es gibt dort Orte, mit denen man verbunden ist …

… Sie gehen also eines Tages zurück?

Nein! Ich bleibe in Berlin, damit das mal klar ist! Und damit fertig, Schluss!

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