Moscheenmoderne morgen
Was sich ein Kunsthistoriker für ein Zusammen in Europa erträumt

Wie viele christliche Kirchen gibt es in Deutschland und wie sehen die aus? Von innen: meist leer, von außen: meist ein größeres Kirchenschiff mit Glockenturm. Es werden – allen Abrissen zum Trotz – immer noch rund 40 000 Kirchen und Kapellen oder andere geweihte Orte in Deutschland sein, die einer allerdings nur noch in Ausnahmefällen (Weihnachten beispielsweise) besuchswilligen Gläubigenschar zum Gebet zur Verfügung stehen: Gerade mal gut 2 % aller Katholiken gehen noch einmal pro Woche zum Gottesdienst.

Exotische Muselmanen

Dennoch, knapp zwei Drittel der deutschen Bevölkerung sind den christlichen Konfessionen zuzuordnen, man könnte das absolute Mehrheit nennen. Doch was in der Politik bequem, ja geradezu gefährlich bequem ist, ist in der Diskussion um die unterschiedlichen Wahrscheinlichkeiten, wie das Abendland vom Morgenland gefressen wird, etwas höchst Spekulatives. Rund 160 Moscheen (Bauten mit Kuppeln und Minarett) gibt es hierzulande, noch einmal so viele sind aktuell geplant. Ein paar hundert Beträume kommen hinzu, die meisten hinter bürgerlichen Wohn- oder neutralen Gewerbefassaden. Die zunehmende Präsenz des liegenden Halbmondes auf Turm- oder Kuppelspitzen führte in mancher Gemeinde schon mal dazu, die Baugenehmigungen für Moscheen generell über Verbote einzuschränken (Anteil muslimischer Gläubiger an der Gesamtbevölkerung gut 4 %, Tendenz leicht steigend).

Die Spekulation frisst hier die Vernunft, am Ende bleiben Aggitation und Fremdenhetze. Ein bewährtes Mittel dagegen: Offenheit in der Planung, in der Durchführung und dem späteren Betrieb. So geschehen bei der Ende letzten Jahres eröffneten „DITIB-Merkez-Moschee“ in Duisburg-Marxloh. Ohne nennenswerte Proteste gegen den Bau der zurzeit größten Moschee in Deutschland entstand in dem Duisburger Vorort mit hohem Ausländeranteil (1975: 18,8 %, 2006: 34,2 %) eine Bet- und Kultureinrichtung für maximal 1200 Gläubige. Einen regelrechten Kampf um Sein oder Nichtsein, um Höhenmeter und Grundrissfläche erlebt man hier nicht, in Köln-Ehrenfeld dagegen, wo ebenfalls die DITIB (Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion e. V.) eine Moschee plant, wurde auch schon mal randaliert. Die Moschee in Köln kommt nicht von irgendeinem Architekten – Cavit Sahin aus Heiligenhaus, Architekt der Marxloher Moschee, darf hier eher als ein solcher angesprochen werden –, den Wettbewerb gewann 2006 das Kölner Architekturbüro Paul Böhm; ausgerechnet ein Architekt, der mit seinem Familiennamen für die Kirchenbaufamilie Deutschlands schlechthin steht. Doch so sehr souverän das Kölner Büro auch entwarf und entwickelte: Es folgte den „ ‚romantischen’ Klischees vom ‚exotischen Muselmanen’“, die sich in beinahe jedem Architekturtransfer muslimischer Gotteshäuser in der weiten und originär nichtmuslimischen Welt wiederfinden lassen.

Was eine Moschee ausmacht

Das jedenfalls legt uns eine Arbeit des Kunsthistorikers Christian Welzbachers nahe, welcher der obige Satz entnommen wurde. Unter dem Titel Euroislam-Architektur. Die neuen Moscheen des Abendlandes erschien die Arbeit, obschon auf Deutsch, in den Niederlanden (bibliografische Angaben unten). Welzbachers Schluss: Wir werden uns gegen die Moschee-Neubauten nicht sperren können – sollten wir auch nicht; doch es muss ja nicht immer ein Bau im Muselmanen-Stil sein. Er nennt Beispiele internationaler Büros, die für ihre Entwurfsfindung auf die einfache und zugleich authentische Quintessenz zurückgreifen, dass eine Moschee dann eine sei, wenn sie eine Wand besäße, deren Orientierung das Gebet gen Mekka zulässt.

„What makes a mosque a mosques? The question is easy as it is simple: a wall correctly aligned to Mecca“ (Omar Khattab, kuwaitischer Architekt). In dieser ungemein lapidaren Feststellung offenbart sich allerdings der Kern einer Geschichte, die der Kern jeder Weltreligion zu sein scheint: Die Gläubigen brauchen offenbar doch mehr als die zwei oder drei in seinem Namen Versammelten (Mt 18,20), mehr als eine auf ein Heiligtum irgendwo in der Welt ausgerichtete Wand. Sie verlangen nach einen Raum, der ihrem religiösen Anliegen Identität geben soll. Und gerade an diesem Punkt könnte die Einschätzung Welzbachers, dass sich mit der Herausbildung eines Euroislams zugleich auch eine Euroislam-Architektur entwickelt, in die Irre zu gehen. Wie in jeder anderen Architektur auch, drückt sich – und zwar vor allem hier – in der sakralen die Sehnsucht nach Anschaulichkeit des Unsichtbaren, nach prächtigem Ornament, nach Kunsthandwerk, nach atmosphärischer Geschichtlichkeit aus. Die christlichen Kirchen haben 1500 Jahre gebraucht, ihre Beträume architektonisch zu klären, die Muslime Europas hätten also noch ein paar Jahre Zeit. Bis dahin sollten Architekten wie die Böhms und Bauherren wie die DITIB mal den Welzbacher zur Hand und seine Reflexionen ernst nehmen (Christian Welzbacher, Euroislam-Architektur. Die neuen Moscheen des Abendlandes. Sun, Amsterdam 2008, 110 S., zahlr. Farbabb., 24,50 €, ISBN 978-90-8506-638-5). Be. K.

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