Skulpturenhalle der Thomas Schütte Stiftung, Neuss
Kunst und Architektur greifen bei der Skulpturenhalle der Thomas Schütte Stiftung räumlich und konstruktiv ineinander. Gemeinsam mit RKW Architektur + und den Tragwerksplanern von Mayer-Vorfelder und Dinkelacker entwickelte der Künstler ein komplex geformtes Holzhängedach, das über dem elliptischen Ausstellungsraum zu schweben scheint.
Für eines der ersten Konzeptmodelle der Skulpturenhalle legte der Düsseldorfer Künstler Thomas Schütte einen braun gebackenen, hyperbolisch parabolisch gekrümmten Kartoffel-Stapelchip auf eine Streichholzschachtel. Dreieinhalb Jahre feilte der Künstler mit immer neuen Modellen an einem dynamisch geschwungenen Dachtragwerk, das über einem elliptischen Ausstellungsbau zu schweben scheint. Seit vielen Jahren erregt der Künstler mit seinen imaginären Gebäudemodellen in Publikationen oder durch Installationen wie dem „Eispavillon“ auf der Documenta 8 im Jahr 1987 Aufmerksamkeit in der internationalen Kunstszene. Die Einzelausstellung „Big Buildings“ in der Kunst- und Ausstellungshalle der BRD in Bonn präsentierte im Jahr 2010 das weite Spektrum von Gedankenspielen und poetischen Bildern rund um die Architektur im Schaffen des Künstlers. Die Skulpturenhalle ist der bisher ambitionierteste Bau, der nach den Modellen von Schütte erstellt wurde. Hierfür gründete der Künstler die Thomas Schütte Stiftung und kaufte ein Grundstück zwischen dem Museum Insel Hombroich und dem Museumsgelände Raketenstation Hombroich in Neuss. Lars Klatte, Mitglied des Stiftungsvorstands und geschäftsführender Gesellschafter von RKW Architektur +, ist seit langer Zeit mit dem Künstler befreundet und hat die Transformation der Kunstmodelle hin zur Architektur der Ausstellungshalle in Gesprächen und Ortsterminen eng begleitet. Immer neue Modellvariationen wurden von Heinrich Heinemann, Projektleiter RKW Architektur +, detailgetreu vermessen und in Konstruktionszeichnungen übertragen.
Ausstellungshalle als Solitär in den Feldern
Heute erhebt sich die im April 2016 eröffnete Skulpturenhalle als Solitär weithin sichtbar in den Feldern. Schütte und Heinemann maßen das elliptische Gebäude von Hand mit Flatterband in einem Ortstermin auf dem Grundstück ein. Für die Positionierung orientierte sich der Künstler am Braunkohlekraftwerk Neurath und der Jever Fun Skihalle Neuss, die als Landmarken am Horizont eine Sichtbeziehung mit der Ausstellungshalle eingehen. Unter einem begrünten Erdwall sind Nebenräume wie der Ticketschalter, das Büro des Kurators, die Bibliothek und der Zugang zu den Lagerräumen im Untergeschoss verborgen. Die Nebengebäude, die durch einen Umgang von der Ausstellungshalle getrennt sind, treten so effektvoll in den Hintergrund.
Die elliptischen Sichtbetonwände der Ausstellungshalle stehen auf einem Untergeschoss, das als steifer Kasten als schwarze Wanne ausgebildet ist. Zur Vermeidung größerer Setzungsunterschiede in dem gering tragfähigen Baugrund ist das Untergeschoss auf einer Bodenplatte mit einer Stärke von 50 cm gebettet. Der Lagerraum hat eine maximale Höhe von 4,2 m und wird von einer punktgestützten Flachdecke mit Betonkernaktivierung überspannt. Die elliptischen Wände im Erdgeschoss erhöhen als wandartige Träger die Tragfähigkeit der Geschossdecke, die mit einem Gabelstapler befahren werden kann. Auf den geschliffenen Sichtbetonboden wurde in der Mitte der gemauerte Ausstellungsraum für Grafiken aufgestellt, der mit seiner mehrschaligen Konstruktion aus grauen Ringofenklinkern und Kalksandsteinen die Bodenplatte zusätzlich statisch belastet.
Diskurs rund um das Dachtragwerk
Arbeitsmodelle aus den Jahren 2011 und 2012 verdeutlichen, dass die elliptische Gebäudekubatur bereits zu diesem frühen Zeitpunkt relativ konkret ausformuliert war. Im Gegensatz dazu warf die Konstruktion des Dachtragwerks eine Vielzahl von Fragen auf, die im Mittelpunkt der Entwurfsarbeit von Dr. Lars Rölle von Mayer-Vorfelder und Dinkelacker Ingenieuren standen. Erste Überlegungen zu einer Konstruktion aus Stahlträgern wurden zuguns-ten eines Betondachs mit runden Oberlichtern verworfen. Doch Anfragen bei Bauunternehmen zeigten, dass eine Betonkonstruktion schalungstechnisch zu teuer werden würde. In diesem Moment rückte die Holzbauweise in den Fokus, die sich für das Planungsgebiet in der Erdbebenzone 1 als effizientes, da leichtes Tragwerk herausstellte. Die ausdrucksstarke Geometrie des Holztragwerks entstand durch das Verschneiden einer Kugel mit einem elliptischen Zylinder. Angelehnt an das abgewandelte Konstruktionsprinzip des Speichenrads überspannt heute eine Holzhängekonstruktion den elliptischen Ausstellungsraum mit Achsenlängen von 22 – 35 m. Wie eine Felge umfasst ein Stahlhohlkastenträger die 32 Holzhängeträger, die mit Schlitzblechverbindungen und Kopfplatten an dem Druckring befestigt sind. In der Mitte sind alle Brettschichtholzträger der Güte GL 32c an einen Zugring aus Stahl angeschraubt. Über dem kreisrunden Stahlring fällt Licht durch eine Kuppel in das Zentrum des Raumes und in den mehrschalig gemauerten Ausstellungsraum für Skizzen und Zeichnungen.
Kombination von Stahl- und Holzbauweise im Tragwerk
Berechnet mit einem 3D-Finite Element Modell werden die Querschnitte der Tragstruktur größtenteils auf Normalkraft beansprucht. Hierbei kommt den Knotenpunkten eine besondere Bedeutung zu, die als Schraubanschlüsse ausgeführt sind und auf der Baustelle unkompliziert montiert werden konnten. Die Knotensteifigkeit beeinflusst unmittelbar die Schnittgrößenverteilung. Daher berücksichtig-ten die Ingenieure die Nachgiebigkeit der Verbindungsmittel über Momentenfedern in der Stabstatik. Eine zusätzliche Herausforderung an die Statik des Dachtragwerks war der filigrane, mit Aluminium-Verbundplatten verkleidete Dachüberstand, der sich nach außen dynamisch verjüngt und so die schwebende Anmutung des Tragwerks unterstreicht. Die Kragarme sind mit Schlitzblechverbindungen an dem umlaufenden Stahlhohlkastenträger angeschraubt, der durch die Konstruktion auf Torsion beansprucht wird. Die in der Werkstatt von Holzbau Krogmann vorgefertigte Holzkonstruktion wurde auf der Baustelle auf dem umlaufenden Stahlhohlkastenträger montiert, den sechzehn schlanke, biegesteif montierte Stahlstützen aus Rundrohren (d = 139,7 mm) tragen. Stützen und Stahlhohlkastenträger formen gemeinsam einen biegesteifen und momententragfähigen Rahmen, der auf den elliptischen Stahlbetonwänden mit einer Wandstärke von 30 cm aufliegt. Vier der Stützen dienen der Dachentwässerung. Auf die Holzhängekonstruktion wurde rund um den Zugring in der Mitte ein Hochpunkt aufgeständert, von dem aus das Dachflächenwasser in die vier Fallrohre fließt. Das umlaufende Lichtband aus U-Profilglas zwischen Dach und Betonwänden verdeckt fast vollständig die 16 tragenden Stahlrundrohre. Die senkrechten Fassadenlamellen aus thermobehandeltem, geöltem Pappelholz unterstreichen die dynamische Aufwärtsbewegung des Gebäudes.
Im Rahmen der künstlerischen Oberleitung wählte Schütte fast alle Materialien nicht im Katalog aus, sondern entwickelte, testete und hinterfragte Lösungen anhand von Musterflächen auch vor Ort. In dem wechselseitigen Dialog zwischen Kunst und Architektur wurde mit einfachen Materialien gerade so viel investiert, um die statische Dynamik des Raumes zum Sprechen zu bringen und die Skulpturenhalle als Kleinod in der Landschaft zu verwurzeln. Bettina Schürkamp, Köln
Baudaten
Standort: Lindenweg / Ecke Berger Weg, Neuss
Typologie: Neubau
Bauherr: Thomas Schütte Stiftung
Nutzer: Thomas Schütte Stiftung
Architekt: RKW Architektur+, Rhode Kellermann Wawrowsky GmbH, Düsseldorf, www.rkw.plus
Mitarbeiter (Team): Lars Klatte, Heinrich Heinemann
Bauleitung: Dietmar Stadtler
Generalunternehmer: RKW Architektur +, Rhode Kellermann Wawrowsky GmbH
Bauzeit: August 2014 – März 2016
Fachplaner
Tragwerksplaner: Mayer-Vorfelder und Dinkelacker, Ingenieurgesellschaft für Bauwesen GmbH und Co KG, Sindelfingen, www.mvd-plan.de
Projektleiter: Dr. Lars Rölle
TGA-Planer: domotec Ingenieure GmbH, Düsseldorf, Sven Senkel, www.domotec-ingenieure.de
Lichtplaner: Licht Kunst Licht AG, Bonn, Moritz Messer, www.lichtkunstlicht.com Landschaftsarchitekt: Dipl. Ing. Burkhard Damm, Kempen, www.gartenberatung.info
Energieberater: Transsolar Energietechnik GmbH, Stuttgart, Tobias Fiedler, www.transsolar.com
Brandschutzplaner: Görtzen & Stolbrink Ingenieure für Brandschutz Partnergesellschaft, Kalkar, Stephan Bargel, www.goertzen-ingenieure.de
Projektdaten
Grundflächenzahl: 0,03
Nutzfläche gesamt: 1 548,96 m²
Nutzfläche NF1-7: 1 548,96 m²
Technikfläche: 44,73 m²
Verkehrsfläche: 80,50 m²
Brutto-Grundfläche: 1 891,74 m²
Brutto-Rauminhalt: 10 865,77 m³
Projektdaten Tragwerk
Maximale Breite: ca. 29 m
Spannweite Hallendach:
ca. 23 m x 36 m frei überspannt
Konstruktionsart: Holz-Stahl-Konstruktion
System: abgewandeltes Prinzip des Speichenrads (Holzhängedach)
Anzahl der Felder: 1
Energiebedarf
Endenergiebedarf: 131,2 kWh/m²a nach EnEV 2009
Gebäudehülle
U-Wert Bodenplatte = 0,47 W/(m²K) U-Wert Dach = 0,27 W/(m²K)
Energiekonzept
– Betonkernaktivierung
– Massive Bauteile
– Erdüberdeckte Bauteile
– Belüftung der Ausstellungshalle natürlich über Fensterelemente
Hersteller
Holzleimbau: Derix Gruppe, www.derix.de
Folienabdichtung Dach: Paul Bauder GmbH & Co. KG, www.bauder.de
Metallbekleidung Dach: 3A Composites GmbH, www.alucobond.com
Stahlrahmenfenster/-Türen:
Forster Profilsysteme AG, www.forster-profile.ch
U-Glas-Oberlicht: Glasfabrik Lamberts GmbH & Co. KG, www.lamberts.info Ringofenziegel: Gillrath Ziegel- und Klinkerwerke GmbH & Co. KG, www.gillrath.de
Faltladen: Baier GmbH, www.baier-bewegt.de
Holz-Innentüren: Schörghuber Spezialtüren KG, www.schoerghuber.de
Indirektbeleuchtung in Hohlraum von Profilglas: RZB, www.rbz.de Strahler in Ausstellungshalle:
Hoffmeister Leuchten GmbH, www.hoffmeister.de