Stuttgart 21. Kelchstützen nomminiert

Es gibt diesen Flughafen in Berlin, über den keiner mehr sprechen will – Anfragen bei der Pressestelle des BER laufen grundsätzlich ins Leere. Dann gibt es einen anderen Verkehrsknotenpunkt, über den tatsächlich immer wieder einmal gesprochen, gestritten, gelacht wird: Stuttgart 21. Die Prognosen für das Projekt waren von Anfang an schlecht, schlechter als die zum Flughafen in Berlin. Neben vielen Unsicherheiten bezüglich des Baugrunds und der Tunnellagen in schwieriger geologischer Formation (Anhydritquellen) ist immer noch nicht klar, wann Stuttgart 21 fertig wird. 2025 ist ein Datum, aber klappt das auch?
Ein wenig erscheint das Bahnhofsprojekt wie der noch zu bauende Beweis dafür, dass deutsche Ingenieurstechnik mit allen möglichen Problemen fertig werden kann, Problemen, die diese Technik teils auch selbst produziert. Aber wen interessieren die 10 Mrd. € bei Übergabe, wenn man Teilhaber in der Wertschöpfungskette Stuttgart 21 ist?
Züblin, die für die Deutsche Bahn AG den Bahnhofsentwurf Christoph Ingenhovens als Generalunternehmen „mit innovativen Verfahren und digitaler Technik“ (Züblin) realisliert und dabei „die bisher gültigen Grenzen der Baubarkeit erweitert“ (Züblin) meldet nun, dass sie für die „aufwendige Realisierung des einzigartigen Schalendachs“ in der Kategorie „Bauwerk, Bauverfahren, Bauprozesse“ für den renommierten bauma Innovationspreis 2019 nominiert worden ist. Und zwar für die Erstellung der insgesamt 28 monumentalen, rund 12 m hohen Kelchstützen, die sich einmal als tragende Elemente zum Dach der künftigen, unterirdischen Bahnsteighalle vereinen werden. 32 m weit spannt sich die ausladende Kelchschale mit der Hutze für das Lichtauge über den filigranen, sich nach unten stark verjüngenden Fuß. Jeder Dachkelch ist dabei für sich ein Unikat, in Neigung, Form und Höhe (8,5 – 13 m) von den anderen unterschieden. Das verlangt nach höchst aufwendiger Schalung, setzt einen immensen Aufwand zur Herstellung der Bewehrung voraus: Die komplizierte Geometrie spiegelt sich für jede Kelchstütze in etwa 11 000 unterschiedlichen, teils dreidimensional gekrümmten Stabformen wider, darunter viele Unikate. Und es musste ein Beton neu entwickelt werden: Weißbeton, der durch Zugabe von Polypropylen-Fasern auch den Brandschutzanforderungen genügt.
Wenn Züblin im April den bauma Innovationspreises 2019 gewinnen sollte, dann ganz sicher für die Haltung, dass mit großem Ingenieurskönnen das möglich gemacht werden kann, worüber die Vernunft nicht einen Augenblick lang nachdächte. Aber: Vernunft denkt nicht, Vernunft ist einfach. In Stuttgart aber eher nicht. Be. K.

www.zueblin.de

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