Wird Carbon günstiger, ist es unschlagbar!
Im Gespräch mit Gunter Henn
www.henn.com
Lieber Gunter Henn, schön, dass Sie sich auf dieses Gespräch einlassen. Ich fürchtete, meine Fragen, die ich Ihnen schon schickte, könnten bei Ihnen zumindest Zurückhaltung provozieren! Hat die Grundsteinlegung – das vorab – nun schon stattgefunden?
Gunter Henn: Die Grundsteinlegung gab es, allerdings nur digital. Professor Manfred Curbach hat dazu einen Film gemacht hat, in dem er über den Carbonbeton spricht. Aber live und vor Ort hat sie nicht stattgefunden. Schade.
Fangen wir an: Der Entwicklung des Carbongebäudes liegt – so das Büro HENN – ein komplexer Prozess zugrunde. Was ist das Komplexe?
Also das Komplexe war die Zusammensetzung des Teams. Da sind sehr unterschiedliche Professionen dabei gewesen. Natürlich Professor Curbach als derjenige, der den Carbonbeton in Dresden entwickelt hat. Dann waren da Beton- und Schalungstechnologen dabei, da waren Designer und Webstuhlexperten! Sie werden gleich fragen, warum denn das?! Und es waren Architekten dabei. Das Besondere über diese Vielfalt hinaus aber war, dass keiner Erfahrungen mitbringen konnte. Weder auf seinem Fachgebiet noch in der Kombinatorik der verschiedenen Beteiligten. Das war ein hochinteressanter, sehr kreativer und wie man jetzt sieht erfolgreicher Prozess, in dem jeder dem anderen zugehört hat, weil er neugierig war und jeder sich immer wieder fragte, was das für seine Profession bedeutet.
Gibt es einen Moderator, eine Projektleitung?
Nein. Aber im Prozess bildet sich so etwas heraus. Ich würde sagen, das waren Manfred Curbach und und wir als Architekten, und wir hatten in unserem Schlepptau Designer, Städtebauer, Technologen und so weiter.
Carbonbeton wurde mit dem deutschen Nachhaltigkeitspreis Forschung ausgezeichnet. Was ist denn das Nachhaltige an der Rezeptur?
Das Nachhaltige ist nicht der Beton, sondern das Carbon, das man anstelle von Stahl als Bewehrung einsetzt. Das ist für sich noch nicht nachhaltig, weil Carbon heute noch aus Erdöl gemacht wird. Dann erlauben die hohe Zugfestigkeit und die hohe Dichte der Bewehrung, dass ich weniger Volumen brauche, weil ich ungefähr die fünffache Zugfestigkeit gegenüber dem Stahl habe. Und das Allerwichtigste: Carbon korrodiert nicht, also brauche ich auch nicht die bei Stahlbetonbauten erforderliche hohe Überdeckung. Die Decken sind dünner, die Dächer sind dünner, ich reduziere den Zement und habe nur noch aktiven Beton.
Wenn nicht aus Erdöl, woher soll denn das Carbon der Zukunft kommen?
Im Labor ist die Zukunft schon da, im industriellen Gebrauch noch nicht. Wir können Carbon aus der Luft, aus CO2 gewinnen, über die Reduktion des Treibhausgases. Man macht das in Algenfarmen. Die Algen nehmen CO2 auf und wandeln es in Algenöl um. In einem zweiten Schritt lassen sich daraus Polyacrylnitrilfasern produzieren, aus denen Kohlefasern herstellbar sind. Das andere ist Holz, hier ist Lignin der Kohlenstofflieferant. Algenfarmen waren eigentlicht nicht für die Kohlenstoffherstellung gedacht, sie sollen hauptsächlich das schädliche CO2-Gas reduzieren helfen.
Verleitet ein so nachhaltiges Material am Ende nicht dazu, viel mehr als „nachhaltig“ etikettierte Architekturen in die Welt zu setzen als benötigt? Im Gegenteil müssen wir also viel mehr bauen, um das Klima zu retten?
Wenn ich Kohlendioxid in Sauerstoff und Kohlenstoff spalte, muss ich damit ja nicht bauen. Oder wenn ich mit Holz baue, muss ich ja nicht unbedingt mehr bauen, sondern ich baue das, was ich jetzt auch baue, dann aber mit weniger Aufwand, nachhaltiger. Die Menge der Bauten hängt ja nicht vom Carbon ab, sondern vom Bedarf der Menschen, der Institutionen. Auch kann Carbon in der Sanierung, in der Altbausanierung, der Brückensanierung, sehr nachhaltig verwendet werden. Wir renovieren gerade den Gasteig in München, da arbeiten wir schon mit einfach aufgeklebten Carbon-Verstärkungen und vermeiden den Abriss von Teilen. Das ist schon deutlich nachhaltiger!
Ein Effekt, den Sie aber nur – mangels Erfahrungen – über die Zulassung im Einzelfall zur Anwendung bringen können?
Stimmt. Herr Curbach könnte Ihnen jetzt viele Brücken und Bauwerke aufzählen, bei denen diese Technologie mit Zulassung im Einzelfall schon zur Anwendung gekommen ist.
Ist die Verarbeitungstechnik beim Carbonbeton, beispielsweise die Schalungstechnik, eine andere als die beim Stahlbeton?
Die Schalungstechnik ist genau die gleiche. Ich brauche die Schalung für den Beton, der flüssig kommt. Ob da Stahl drin ist oder Glasfasern oder Carbonfasern, das ist egal. Die höhere Zugfestigkeit und Materialdichte führen zu geringeren Querschnitten, was die Betoneinbringung erleichtert. Und damit Elemente mit geringerem Querschnitt machen.
Ein anderes ist noch das: Wir können Carbonfasern räumlich stricken und damit den Kraftverlauf in der Faser abbilden und nicht den diagonalen Zugverlauf aufteilen in horizontal und vertikal. Wenn die Eisenbieger in Dresden den kontinuierlich gekrümmten Verlauf der Bewehrung nachvollziehen müssten, die würden wahrscheinlich den Architekten verfluchen.
Erreicht man mit Carbonbeton auch andere Oberflächen? Wie sieht es mit den Toleranzen in der Rissebildung aus?
Tatsächlich sind wir hier freier als beim Stahlbeton. Hier kann ich mir Risse, Fadenrisse leisten, und muss nicht fürchten, dass Feuchtigkeit Schäden verursacht.
Der von mir sehr geschätzte Stefan Polónyi fordert bis heute vergeblich eine neue Intelligenz der Bewehrung, die, einfach gesagt, exakt dem Kraftverlauf zu folgen habe. Wie sehen Sie nun die Chance, den Carbonbeton zum State of the Art im Betonbau zu machen?
Ich bewundere Polónyi wie Sie, während meiner Studienzeit habe ich viele seiner Bücher gelesen. Er begeistert mich deshalb, weil mich seine prozessorientierte Denkweise einnimmt. Bis heute werden Tangenten in schlichter Weise in horizontale und vertikale Elemente geteilt, womit wir den kontinuierlichen Verlauf der Zugspannungen verhindern. Damals war das ein Rechenproblem … der Arbeitsaufwand, Kraftverläufe kontinuierlich anzugleichen, ist im Stahlbau sehr groß. Und deswegen, denke ich, müsste Stefan Polónyi mit den Carbonfasern glücklich sein, weil dieses biegeweiche Material, das ich auch im Durchschnitt verändern und räumlich verlegen kann, immer den Zugtrajetoren folgt.
Was machen Sie, dass „The Cube“ nicht in Schönheit stirbt und dass das Thema in Politik und Wirtschaft nicht versandet?
Ich glaube, es wird nicht versanden. Da sorgt schon Manfred Curbach dafür, ein charismatischer, begeisterter und überzeugter Treiber. Klar, zum Schluss ist es häufig eine Preisfrage. Stahl gegen Carbon: das liegt jetzt ziemlich genau gleich (Preis-/Leistungsäquivalent). Wenn Carbon allerdings günstiger herzustellen ist, dann ist das Material unschlagbar. Was noch gelöst werden muss, ist – und deswegen auch dieser Pavillon – das Thema des Brand- und auch des Schallschutzes. Dieses ist jetzt zu lösen, damit es dann im Wohnungsbau als Multiplikator eingesetzt werden kann. Im Einfamilienhaus, im Geschossbau, in Verbindung mit Holz, da eröffnen sich Möglichkeiten.
Stichwort Pavillon: Warum haben Sie nicht mit einer Gebrauchsarchitektur wie einem Mehrgeschosswohnungsbau gearbeitet statt des gestalterisch exeptionellen Betonpavillons?
Für einen Wohnungsbau wäre es noch zu früh gewesen, weil wir dafür keine Zulassung bekommen hätten. Wir haben im Pavillon Labore, wir können Fassadenteile austauschen, die auch zur Straße sichtbar sind. Der Versammlungsraum ist notwendig, damit wir Menschen zu Symposien oder anderes zusammenbringen können. Natürlich wollen wir mit der Ästhetik Aufmerksamkeit erregen, wir wollen ja zeigen, was man mit dem neuen Material alles machen kann. Auch, was Architektur ausmacht mit Dach und Wand. Nicht bloß aufeinandergestellt, sondern das eine in das andere übergehen lassen. Damit können wir in der Formgebung weiter gehen als aktuell im Wohnungsbau möglich, aber auch angemessen wäre. Aber nach einigen Jahren Forschung dazu – hoffe ich –, sollte der Wohnungsbau folgen.
Mit Blick auf fließende Betonschalen muss ich an Ulrich Müther mit seinen leichten Schalenbauten denken. Sehen Sie das in Ihrer Arbeit oder in Ihrem Denken über das, was Sie gerade machen oder ist das ein historisches Kapitel, was mittlerweile geschlossen ist?
Räume – Stadträume oder Innenräume – sollen nicht nur abschließen, sondern auch horizontal und vertikal verbinden, ein Kontinuum herstellen. Dazu sind natürlich die fließenden Formveränderungen, die ich mit Carbonbeton erreichen kann, besonders gut geeignet.
Wird Carbonbeton das Material von HENN?
Das Material muss für mich eine Intelligenz haben. Ich bin kein Dogmatiker, ich sage nicht, ich mache nur Holz oder nur Carbonbeton, sondern wir nehmen das Material, das angemessen ist, am richtigen Ort und Nachhaltigkeit fördert. Und gerade in der Kombination von Holz und Carbonbeton sehe ich eine fantastische Kombination. Und alles hängt von der Größe der Gebäude ab, vom Brandschutz und all den Dingen, die uns da gerade quälen: Klima, ENEV und alles das.
Wann soll der Pavillon fertig sein?
Der wird Anfang nächsten Jahres fertig sein.
Was kommt danach? Kommt etwas Größeres?
Ja, wir haben schon etwas Größeres, auch an der Universität Dresden. Ein sogenanntes „Projekthaus“, eine Art Folgeprojekt aus einem studentischen Pavillon. Hier gibt es die Überlegung, am gleichen Ort etwas Größeres zu machen für studentische Arbeitsplätze, für kleinere Forschungsgruppen. Da ist der Carbonbeton sehr präsent, als Material, aber auch in der Ästhetik der Deckung, der Wände, der Stützen. Es gibt weitere Projekte. Also die Carbonbegeisterung in Dresden ist gut zu spüren.
Auch international? Ist Deutschland hier Vorreiter?
Ja, gerade bei dem Thema Carbonbeton ist Deutschland Vorreiter. Wir nutzen das in China, wir haben in Peking ein großes Büro. Die Chinesen sind hier sehr neugierig und offen. Wenn wir einmal Stahl durch Kohlenstoff aus CO2 ersetzen können, wäre das natürlich fantastisch. Und in China ist das Bauvolumen, gerade im Wohnungsbau, gewaltig. Ich selbst forsche nicht auf diesem Gebiet, das macht Manfred Curbach. Aber ich erkenne schnell, wie ein Material anwendbar, in welchen Typologien und Ästhetiken es gestaltbar ist. Carbonbeton macht da gerade richtig Spaß!
Mit Gunter Henn unterhielt sich DBZ-Redakteur Benedikt Kraft am 30. April 2020 via Computer Gütersloh/München