Nachhaltig konstruieren
Strategien für kostengünstigen und ressourcenschonenden Wohnungsbau

Die Forderung nach kostengünstigem Wohnraum ist in den letzten Jahren durch die in den großen und wirtschaftsstarken Agglomerationen stark steigenden Immobilienpreise und Mieten immer lauter geworden. Oftmals wird den stetig steigenden Anforderungen an die Energie- und Ressourceneffi­zienz eine Mitschuld an der Preisentwicklung im Bauwesen und insbesondere im Wohnungsbau gegeben, da höhere energetische und ökologische Anforderungen oftmals zu einer Erhöhung der Baukosten führen. Damit eine nachhaltige Entwicklung im Wohnungs- und Siedlungsbau weiter vorangetrieben werden kann, müssen Strategien und Mög­lichkeiten aufgezeigt werden, wie bezahlbarer Wohnraum und nachhaltige Bauweisen vereinbar sind.

Nachhaltige Architektur kann und darf sich nicht alleine auf ökologische und vor allem nicht nur auf die energetischen Aspekte beschränken, sondern muss in gleichem Maße den ökonomischen und gesellschaftlichen Bedürfnissen Rechnung tragen. Im Wohnungsbau stellt dabei die Reduktion der Lebenszykluskosten einen der zentralen ökonomischen Aspekte dar. Im Bereich der gesellschaftlichen Anforderungen ist es hingegen vor allem von Bedeutung, dass gemeinschaftlichen Bereichen und Flächen die gleiche Aufmerksamkeit gewidmet wird wie den privaten Räumen und dass ökologische Bauweisen nicht zu einer Verschlechterung der innen- und außenräumlichen Qualitäten durch indifferente städtebauliche Strukturen, banale Gebäudevolumetrien oder zu tiefe Baukörper führen.

Material und Konstruktion in der Zukunft

Ein wichtiger Baustein auf dem Weg zu einer ganzheitlicheren Sichtweise ist die Abkehr von der Fokussierung auf die Betriebsenergie, insbesondere auf den Heizwärmebedarf.

Aufgrund der Zielsetzung der EU-­Gebäu­de­richtlinie ist anzunehmen, dass ab dem Jahr 2021 errichtete Neubauten in Mitteleuropa, über 50 Jahre betrachtet, nur noch etwa gleich viel Energie für den Betrieb wie für ihre Herstellung verbrauchen werden. (Abb. 1)

Unter energie- und klimapolitischen Gesichtspunkten gewinnt der Umgang mit Materialien, Baustoffen und Konstruktionsprinzipien daher eine immer größere Bedeutung. In nahezu allen internationalen Nachhaltigkeitsbewertungssystemen sind Ökobilanzierungen und die Betrachtung der Umweltauswirkungen von Baustoffen inzwischen feste Bestandteile der Analyse. Zudem gehört die Auseinandersetzung mit Konstruktionsmethoden und Materialien zu den Kernaufgaben des architektonischen Entwurfsprozesses und übt meist eine größere Anziehungskraft auf Architekten und Nutzer aus als die Auseinandersetzung mit energetischen Themen. Sie bietet darüber hinaus eine Vielzahl von Möglichkeiten, konstruktive und gestalterische Motive mit Fragen der Energie- und Ressourcenschonung zu verbinden.

Vor einer Auseinandersetzung mit spezifischen Konstruktionsmethoden und Baustoffen, ist es im Sinne einer ganzheitlichen Optimierung ausschlaggebend, sich zuerst den effektivsten Maßnahmen des Entwurfs- und Planungsprozesses zu widmen – den räumlich-architektonische Strategien.

Räumliche Suffizienz als Gestaltungsprinzip

Unsere Gesellschaft neigt dazu, quantitatives Wachstum mit qualitativem gleichzusetzen und Qualitäten anhand von Kennzahlen wie Wohnfläche, Anzahl der Zimmer, Größe des Balkons etc. zu messen und zu bewerten. Die Qualität einer Wohnung hängt aber nicht primär von quantitativ messbaren Kriterien ab, sondern steht in Zusammenhang mit Themen wie Grundrissgestaltung, Ausblick und Belichtung, Möblierbarkeit und subjektiver Größe der Räume. Deswegen ist es notwendig, Quantitatives und Qualitatives voneinander gedanklich zu trennen. Ziel des Entwurfsprozesses müssen bessere, flächeneffizientere und flexiblere Grundrisse sein, die es möglich machen, eine qualitative Steigerung der Wohn- und Raumqualität ohne eine Vergrößerung der Wohnfläche pro Kopf zu erreichen (siehe S. 26 ff, Siedlung Köschenrüti). Die Verringerung der Wohnfläche bietet dabei das größte Einsparpotential, da eine Reduktion auf das Wesentliche auf allen Ebenen zu einer Verbesserung führt – geringerer Flächenverbrauch bei gleichzeitig höherer sozialer Dichte, weniger Energie- und Ressourcenverbrauch, weniger versiegelte Flächen und weniger Erstellungs-, Unterhalts- und Mietkos­ten. Ein kritisches Hinterfragen des Bedarfs findet notwendigerweise in einer sehr frühen Planungsphase statt, so dass organisatorische Maßnahmen getroffen, Nutzungsüberlagerungen erkannt sowie Ablaufoptimierungen miteinbezogen werden können.

Flächeneffizienz

Ein effizienter Einsatz der Flächen beginnt auf der Ebene der „Bebauungsstruktur“, indem kompakte Strukturen mit einer angemessenen Dichte geplant werden. Auf der Gebäudeebene ist es das Verhältnis von NF zu BGF, das direkten Einfluss auf die ökologische und ökonomische Belastung hat und mit verschiedenen Maßnahmen optimiert werden kann. Eine zentrale Rolle kommt dabei der Erschließung und der Planung der gemeinschaftlichen Bereiche zu. Die Auf- und Verteilung der Flächen ist so zu gestalten, dass neben den privaten Wohnräumen sinnfällig angeordnete und gut nutzbare Gemeinschaftsflächen zur Verfügung stehen. Vor allem bei Projekten, die eine reduzierte Wohnfläche pro Bewohner anstreben, können hochwertige gemeinschaftlich genutzte Bereiche und ­Räume, wie zusätzliche Ateliers oder Gästezimmer, Waschküchen oder eine „Terrasse Commune“, kleinere Wohnungsflächen wirkungsvoll ausgleichen. Mit einem Grundrisskonzept, das eine qualitativ hochwertige Erschließung sparsam und intelligent einsetzt, können signifikante Verbesserungen erzielt werden. Bei dem genossenschaftlichen Wohnbauprojekt Hardturm in Zürich wurde die Flächeneffizienz (NF/BGF) durch eine Neuorganisation der internen Erschließung um 8 % von 0,56 auf 0,64 verbessert (Abb.  2).

Auch eine Reduktion des unterirdischen Gebäudevolumens durch weniger Parkplätze, begleitet von einem dem Standort und den realen Bedürfnissen der Bewohner angepassten Mobilitätskonzept mit einem attraktiven Angebot an Alternativen, wirkt sich positiv auf die Bilanz aus.

Effizient durch Konstruktionsart

Durch Anpassungen der Konstruktionsart können die Konstruktions- und Außenwandflächen reduziert und der Anteil an nutz- und vermietbaren Flächen erhöht werden. Sofern mit dem Gebäudekonzept vereinbar, erweisen sich dabei i. d. R. Leichtbaukonstruktionen durch die im Vergleich zum Massivbau geringere Fassadenstärke als vorteilhaft.

Bei der Planung der Wohnsiedlung Ettenfeldstrasse in Zürich konnte die HNF um fast 200 m2 (3,5 %) durch einen Wechsel von einem Massiv- auf einen Skelettbau mit Holzrahmenfassade erhöht werden (Abb. 3).

Die Suche nach geeigneten Konstruktionsprinzipien und der richtigen Materialwahl steht aber zugleich in enger Wechselwirkung mit den grundrisslichen, räumlichen und gestalterischen Aspekten und muss deswegen immer im Zusammenhang betrachtet werden. Vor allem betrifft dies Themen wie Tragrichtungen und Spannweiten, Öffnungsanteile und Außenwandstärken, Differenzierung von Raumabschluss und Tragstruktur sowie von Decken- und Wandoberflächen, die sehr eng an die Materialeigenschaften und die gestalterische Absicht gekoppelt sind (Abb. 4).Die wichtigsten Strategien bei der Konstruktions- und Materialwahl sind:

Materialeffizienz

Eine intelligente und effiziente Konstruktions- und Materialwahl ermöglicht große Einsparungen bei den Umweltauswirkungen. Durch eine direkte vertikale Lastabtragung können oftmals Abfangdecken vermieden oder durch den Einsatz von Holz-Beton-Verbunddecken eine Reduk­tion von Treibhausgasen und der Grauen Energie erreicht werden. Die Wahl oder Anpassung des konstruktiven Systems steht jedoch in einer wechselseitigen Beziehung zu den räumlichen Eigenschaften und sollte nicht nur ökonomisch und ökologisch sinnvoll sein, sondern auch einen Mehrwert für Innenraum oder Fassade darstellen.

Konsistenz

Der Grundgedanke der Konsistenz ist das Schließen von Energie- und Stoffkreisläufen und damit die größtmögliche Reduktion an unverwertbaren Abfällen (Kreislaufwirtschaft). Neben dem Einsatz von erneuerbaren Energien ist es wichtig, dass die Materialien nach Möglichkeit regional zur Verfügung stehen und schadstofffrei sind. So können diese mit geringem Aufwand in den Stoffkreislauf rückgeführt werden und sich gleichzeitig positiv auf das Innenraumklima auswirken.

Um CO2-neutral zu bauen, sind auch auf der Ebene der Primärstruktur Innovationen möglich. Die bereits erwähnten Holz-Beton-Verbundsysteme kombinieren bspw. die Vorteile beider Bauweisen: Speichermasse, Brandschutz und Schallschutz einerseits – Gewichtsreduktion, Energieeinsparung und Raumstimmung andererseits. Die Ökobilanzierung des Projekts Hardturm zeigt, dass durch eine Änderung des Konstruktionssys­tems im Vergleich zur konventionellen Massivbauweise rund 1 570 t an CO2 eingespart werden können – was der Menge an Treib-hausgasemissionen aus der Beheizung des Gebäudes für die nächsten 40 Jahre entspricht. Im Vergleich zum Massivbau ergeben sich beim Holz-Beton-Verbundsystem ca. 5 % höhe­re Investitionskosten (2 – 3 % bei einer Stahlbeton-Skelettkonstruktion). Betrachtet man jedoch das primärenergetische Einsparpotential  und den ästhetischen Mehrwert mit, verändert sich die Rechnung zugunsten der nachhaltigeren Option (Abb. 5).

Nutzungs- und Umnutzungsflexibilität

Eine konsequente System- und Schichtentrennung der Primär- und Sekundärstruktur kann den ökonomischen und ökologischen Aufwand bei einer Sanierung stark reduzieren und einen vorzeitigen Abriss verhindern, so dass das Gebäude möglichst lange weiterverwendet werden kann. Die Anforderungen an die Grundrisse differieren jedoch je nach Nutzung stark. Bei der Planung der Tragstruktur sind deshalb die langfristi­gen Nutzungsanforderungen von zentraler Bedeutung.

Es ist wichtig im Voraus abzuwägen, welche Umnutzungsszenarien realistisch und mit welchem Aufwand umzusetzen sind. Ziel ist, eine der Bauaufgabe angemessene Lebensdauer zu gewährleisten – lebenszyklusgerechte Nutzungsflexibilität – sowie durch eine konsequente Schichtentrennung einen weitgehend zerstörungsfreien Rückbau und Ersatz insbesondere von Schichten mit kürzerer Lebensdauer zuzulassen. Dazu gehört neben der Trennung von Primär- und raumbildender Struktur eine hohe Planungsflexibilität durch die Kombination typologischer und modula­rer Entwurfsprinzipien sowie die Auseinandersetzung mit der späteren Erweiterbarkeit. Da sich die Nutzungsbedürfnisse von zukünftigen Bewohnern immer schwerer bestimmen lassen, ist das Prinzip der Flexibilität auch ein zentraler Faktor und Bestandteil des Grundrissentwurfs. Vor allem durch modulare Grundrisse und nutzungsneutrale Räume können Gestaltungsspielräume für kurz- und lang­fristige Bedürfnisänderungen geschaffen werden (Abb. 6).

Zerstörungsfreie Rückbarbarkeit

Im Hinblick auf städtebauliche und demographische Veränderungen und die Notwendigkeit der Ressourcenschonung, kommt neben der Umnutzung dem zerstörungsfreien Rückbau eine besondere Bedeutung zu.

Beim Rückbau von Gebäuden und Gebäudeteilen kann ein hohes Maß an Recyclingfähigkeit erreicht werden, indem bereits in der Planung eine Reduktion der Werkstoffvielfalt, eine leichte Trennbarkeit zwischen den Systemen und der Einsatz schadstofffreier Materialien sichergestellt wird (Abb. 7).

Da die Voraussetzungen und technischen Möglichkeiten für die Rezyklierung von Baustoffen zum Zeitpunkt des zu erwartenden Rückbaus schwer abzuschätzen sind, bietet es sich für die Planung an, nicht primär die Qualität des Recyclings zu betrachten, sondern die Rückführung in den Energie- und Materialkreislauf zu fokussieren. Diese kann erreicht werden, indem eine Reduktion der Baustoffvielfalt, eine leichte Trennbarkeit zwischen den Systemen und Materialien und der Einsatz schadstofffreier Materialien sichergestellt wird. Die Konstruktion von Schichtenbauteilen sollte deshalb so erfolgen, dass ein möglichst sortenreiner Rückbau möglich ist. Deshalb sollten vorzugsweise mechani­sche Verbindungsarten gewählt werden.

Die Verantwortung des Architekten

Ausdruck und Gestaltung des Gebäudes ­stehen in enger Beziehung zur gewählten Materialität. Deswegen gehört die Wahl der Konstruktionsmethoden, Baustoffe und Materialien zu den Kernkompetenzen des Architekten. Gestalten hat aber immer auch eine ethisch-moralische Dimension. Architektur kann heute nicht mehr als selbstreferenzieller Diskurs um Formen, Stile und Ästhetik betrachtet werden, sondern ist als Beitrag zu den zentralen Fragestellungen unserer Zeit zu verstehen. Deswegen stellt die Auseinandersetzung mit kostengünstigen und zugleich ökologischen Bauweisen eines der Kernthemen der nächsten Jahre dar.

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