Zum ersten Mal verstanden
Die Welt ist voller Bilder. Oder ist die Welt ein Bild, das sich aus unendlich vielen zusammensetzt? Wir Menschen hatten immer schon eine große Lust am Bild, am Machen desselben wie zugleich am Betrachten. Definierten sich bis vor Jahrzehnten noch Weltbilder über das Ikonologische, sind es heute mehr und mehr die Menschen selbst, die Individuen, die in paradoxer Weise Selbstvergewisserung über Bilderproduktion erzeugen: Wer nicht abgebildet ist, ist nicht.
Wie sieht das nun mit der Architektur aus, die wie der Mensch auch seit jeher auf Bildern eine wesentliche Rolle spielt? Sei es als Dekorum, sei es als Ikone und immer auch als ein Behältnis, das Raum schafft für die Produktion weiterer Bilder. Wie wäre es nun – oder ist es nicht schon? –, wenn man die Bilderproduktion anders herum interpretierte und untersuchte, welches entwurfliche Potenzial Bilder, also heute im Wesentlichen Fotografien, für die Architektur haben? Der Autor der hier vorliegenden, sehr umfangreichen Untersuchung geht nun genau dieser Frage nach. Und stützt sich dabei auf künstlerische, wissenschaftliche aber auch dezidiert ökonomisch ausgerichtete Arbeiten seit den 1970er-Jahren, die allerdings immer zurückgebunden sind an Untersuchungen zum Bild und seiner Wirkung bis in die Jahrhunderte davor. Stichworte der Untersuchung sind Raumkontrolle, Bild vs. Realität, Überwindung von Bildebenen: raumbildende Fotografie usw. Es werden Verfahren der Kartografie, also Raumerfassung über Fotografie, vorgestellt und im Kontext untersucht, ebenso uralte und gegenwärtige Apparturen und Bilderverarbeitungsprogramme.
Und dann stellt der Autor auf der Grundlage einer hier systematisch vorgetragenen medientheoretischen Einordnung historischer wie aktueller Wechselwirkungen zwischen Kamerabildern und Raumgestaltung ganz konkret Strategien vor, wie das Bildermachen – heute schlicht „die Fotografie“ – sich für den Entwurf von Räumen und Raumzusammenhängen entwickeln lässt. Damit dabei nicht nur Hans Belting, Walter Benjamin oder Roland Barthes, Vilém Flusser oder Maurice Merleau-Ponty das Sagen haben, reichert der Autor seinen hochspannenden Exkurs in die Welt der Wahrnehmungsmechanismen und Wahrnehmungsmanipulationen und Wirklichkeitsproduktionen durch eine Vielzahl experimenteller Projektbeispiele an, die im Rahmen einer forschenden Lehre am Institut für Mediales Entwerfen der TU Braunschweig entstanden sind.
Wer nach der Lektüre der Arbeit seine Arbeit so fortsetzt wie bisher, der hat beim Lesen gemogelt. Denn tatsächlich gelingt es dem Autor, Zusammenhänge, die möglicherweise ja schon diskutiert und anerkannt sind, in dieser Arbeit derart zwingend ins Wort, in Sätze oder Abschnitte so verständlich zu fassen, dass man das Gefühl hat, auch seinen Flusser, Merleau-Ponty und all die anderen zum ersten Mal wirklich verstanden zu haben. Be. K.
Philipp Reinfeld, Image-Based Architecture. Fotografie und Entwerfen. Wilhelm Fink Verlag, Paderborn 2018, 623 S., 104 sw- u. 420 Farbabb.,
99 €, ISBN 978-3-7705-6316-6
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