APROP, Barcelona/ES
Die Stadtverwaltung Barcelonas rief vor einigen Jahren ein Programm für die Unterbringung von wohnungslos gewordenen Menschen ins Leben. Architektonische Umsetzung findet es in modularen Gebäuden aus alten Schiffscontainern, die, wenn sie an anderer Stelle gebraucht werden, ab- und wieder aufgebaut werden können.
Text: Ina Lülfsmann / DBZ
Wie viele europäische Großstädte, ist auch Barcelona von Gentrifizierung betroffen. Der Erfolg der Stadt bei den Touristen aus aller Welt und der damit einhergehende Aufstieg von Plattformen zur Wohnungsvermietung hat auch seine Schattenseiten. Immer weniger Menschen können es sich leisten, im Stadtzentrum zu wohnen, sodass sich nicht nur die BewohnerInnenstrukturen verändern, sondern auch die lokalen Angebote an Einzelhandel und Kultur. Der Umgang der Stadtverwaltung mit diesen Problemen änderte sich, als 2015 Ada Colau zur Bürgermeisterin gewählt wurde. Als katalanische Aktivistin und Vertreterin der linksalternativen Plattform Barcelona en Com steht sie für eine progressive Wohnungspolitik. Eine Gruppe von ArchitektInnen, AnwältInnen und anderen AktivistInnen um das örtliche Kollektiv Straddle3 ergriff die Möglichkeit, die Stadtverwaltung auf den sozialen Mißstand aufmerksam zu machen und sie beim Kampf für bezahlbares Wohnen im Zentrum mit ins Boot zu holen. Sie zeigten – entgegen der These vieler PolitikerInnen –, dass es im Zentrum Barcelonas durchaus Flächen gibt, auf denen kurzfristig neue soziale Wohnprojekte entstehen können.
Da jede Wohneinheit an zwei Fassaden liegt, ist im Sommer mittels Querlüftung immer eine Luftzirkulation gewährleistet
Foto: Adrià Goula
Nachbarschaftliches temporäres Wohnen
Das Konzept, das die Architekten David Juárez (Straddle3), Jon Begiristain (Eulia Arkitektura) und Yaiza Terré (Yaiza Terré Estudi d’Arquitectura) Ada Colau präsentierten, war ambitioniert. Sie sahen auf der einen Seite die Bedürfnisse der in die Randbezirke Barcelonas verdrängten BewohnerInnen – und andererseits die Schwierigkeiten der Stadt, angesichts des Flächenmangels auf den Wohnraumbedarf von wohnungslos gewordenen Menschen zu reagieren. In den meisten Fällen suchte die Stadtverwaltung behelfsmäßige Lösungen, wie die kurzfristige Bereitstellung von Hotelzimmern. Daher wollten die ArchitektInnen ein Konzept erarbeiten, das es ermöglicht, den begrenzten Raum im Stadtzentrum zu nutzen – und dies möglichst kurzfristig, wenn dringend neuer Wohnraum gebraucht wird. Sie wollten einen modularen Prototyp entwickeln, der sowohl dauerhaft als auch temporär genutzt werden kann. Zum Beispiel auf Grundstücken, die eigentlich für eine andere Nutzung vorgesehen sind, für die es jedoch noch keine konkreten Pläne gibt. Eine erste Umsetzung fand die Idee im Rahmen des städtischen Programms APROP, mitten im historischen Kern von Barcelona. Das Akronym steht für Alojamientos de Proximidad Provisionales, also „nachbarschaftliches, temporäres Wohnen“.
Die Wohneinheiten werden über Laubengänge erschlossen. Diese sind über einen Treppenturm und einen vorgelagerten Aufzug miteinander verbunden
Foto: Adrià Goula
Wiederverwendung alter Schiffscontainer
Für die Konstruktion schlugen die ArchitektInnen verschiedene Materialien vor – Holz-, Metall- oder Hybridstrukturen, alle mit dem Anspruch, kurze Bauzeiten zu ermöglichen. Letztlich fiel die Wahl auf Schiffscontainer, die in ein Stahlgerüst gesetzt wurden. Da Barcelona einen Hafen besitzt, war es einfach und günstig, an Container als Baumaterial zu gelangen. Außerdem boten sie bereits eine Raumstruktur, die passend war – ein Container sollte eine Wohneinheit sein, zwei Container eine Doppelunterkunft. Auf diese Weise mussten sie nicht mehr aufwendig bearbeitet werden und die ArchitektInnen konnten die Baukosten reduzieren – entgegen der verbreiteten Annahme, dass Container als Konstruktionsgrundlage mehr Aufwand verursachen, als dass sie Kosten einsparen. Außerdem war es den PlanerInnen ein wichtiges Anliegen, neben der Bauzeit und den Kosten auch den ökologischen Fußabdruck im Blick zu behalten – Wiederverwendung von gebrauchten Materialien war da naheliegend.
Die Wohneinheiten werden über Laubengänge erschlossen. Diese sind über einen Treppenturm und einen vorgelagerten Aufzug miteinander verbunden
Foto: Adrià Goula
„Das Konzept ist, dass die Container ihre Lebensspanne in der Industrie fast abgeschlossen haben. Vielleicht wären sie noch ein oder zwei Jahre genutzt, dann unter hohem Energieverbrauch eingeschmolzen und neu geformt worden. Jetzt haben sie eine dritte Lebensphase“, erklärt David Juárez, einer der ArchitektInnen und MitbegründerInnen von Straddle3. Dennoch waren anfangs viele Menschen gegen das Projekt, vor allem PolitikerInnen und JournalistInnen, die sich unter Containerarchitektur eher provisorische Bauten vorstellten. Doch das erklärte Ziel war, dass das Gebäude zwar in kurzer Zeit ab- und wieder aufgebaut werden, aber genauso selbstverständlich auch über Jahrzehnte an der gleichen Stelle stehen bleiben kann und dabei aktuellen Wohnstandards entspricht. Nach nur vier Monaten Bauzeit steht das Gebäude nun seit 2019 im historischen Zentrum Barcelonas und lässt sich bei Bedarf innerhalb von drei Wochen wieder abbauen. Im multifunktionalen, offenen Erdgeschoss befindet sich derzeit die Erweiterung einer benachbarten medizinische Einrichtung. Die vier darüberliegenden Geschosse sind in zwölf Wohnungen aufgeteilt, acht davon haben ein Schlafzimmer, vier weitere zwei. Das Ergebnis überzeugte letztlich auch viele SkeptikerInnen.
Blick in ein Einzelapartment mit 30 m² für eine Person oder ein Paar. Die Doppelapartments für eine Familie mit bis zu vier Personen sind 60 m² groß
Foto: Adrià Goula
Doppelte Hülle
Die Herausforderung, die Container in behagliche Wohnräume umzuwandeln, meisterten die ArchitektInnen durch das Einfügen verschiedener Ebenen, welche die Container umhüllen und auskleiden. In erster Linie mussten sie Brandschutz bieten – um den zu gewährleisten, standen die PlanerInnen in Kontakt mit der örtlichen Feuerwehr, die angesichts der Neuartigkeit der Konstruktion einige Bedenken hatte. Letztlich kamen die ArchitektInnen zu dem Schluss, dass eine vollständige Umhüllung der Container den besten Schutz bot. Weitere Aufgaben waren der Sonnen- und Kälteschutz sowie die Schalldämmung, die gerade angesichts des Baumaterials eine besondere Herausforderung war. Nicht nur, weil die Lösungen günstig sein sollten, sondern auch, weil wenig Platz für den Einbau von Materialien war. Um Zeit zu sparen, sollten zudem möglichst viele Bauteile vorgefertigt werden. Also wurden die Container bereits im Werk von innen ausgekleidet: die Wände und Decken mit doppellagigen, feuerfesten Gipskartonplatten sowie Steinwolle, die Böden mit einer Fußbodenheizung. Diese übernimmt sowohl die Kühlung im Sommer als auch das Heizen im Winter und ist akus-tisch gedämmt. Auf der Baustelle mussten dann die fertigen Container nur noch in das Stahlgerüst eingesetzt werden. An den Balkonen und zu den Gängen sind sie auch außen mit Steinwolle und Gipskarton bekleidet, eine zweite vorgelagerte Hülle dient schließlich als Witterungsschutz. Sie besteht aus einem Holzrahmen, der mit transluzenten Polycarbonatplatten beplankt ist. Auf diese Weise ist tagsüber eine gute Belichtung des Gebäudes gewährleistet, nachts wird dagegen die Straße durch das Licht aus dem Gebäudeinneren erhellt, während gleichzeitig die Privatsphäre der Bewohner gewahrt bleibt. Außerdem entsteht durch die doppelte Hülle ein Zwischenraum, der als Loggia genutzt werden kann.
Zwischen der nordwestlichen Fassade aus Polycarbonatplatten und den Containern befindet sich ein Zwischenraum, der als Loggia genutzt wird
Foto: Adrià Goula
Serie von Bauwerken
David Juárez erklärt, dass sowohl die ArchitektInnen als auch die Stadtverwaltung eine Menge aus dem Projekt gelernt haben. Viele der Hypothesen, die sie anfangs aufstellten, haben sich bewahrheitet: beispielsweise die kurze Bauzeit von vier Monaten. APROP dient nun als Prototyp für modulare, wieder auf- und abbaubare Architektur. Ein zweites Haus ist bereits im Bau, ein drittes in Planung. Auch wenn sich die Stadtverwaltung eine Fertigstellung aller drei Gebäude bereits 2019 gewünscht hätte, besitzt das Projekt weitreichende Strahlkraft: Aus APROP in Barcelona entwickelte sich das übergeordnete Projekt ATRI, das als Konzept nun auch außerhalb Spaniens Anklang findet. ATRI verfolgt ebenfalls den modularen Ansatz von wiederaufbaubarer Architektur mit kurzer Bauzeit und passt sich den jeweiligen Gegebenheiten an. In New York beispielsweise gewannen die ArchitektInnen mit ATRI einen Wettbewerb, der Lösungen für kurzfristigen Wohnraumbedarf suchte. Das Projekt wurde als Pilot umgesetzt und vermittelte weitere Aufträge in Los Angeles und Mexiko.
Die Verbindung zwischen den einzelnen Containermodulen erfolgt über ein
Twistlock-System, das auch beim Transport der Container verwendet wird. Sie können so innerhalb von zwei Tagen montiert werden
Foto: Straddle3
Grundriss Erdgeschoss, M 1 : 250
1 Überdachter Vorplatz
2 Foyer
3 Rezeption / Verwaltung
4 Ladenlokal
5 Innenhof
6 Veranda Innenhof
7 Wohnzimmer
8 Offene Küche
9 Bad
10 Doppelschlafzimmer
11 Einzelschlafzimmer
12 Flur / Abstellraum
Grundriss 1. Obergeschoss, M 1 : 250
Fassadenschnitt, M 1 : 33
1 Metallleiste 60 x 30 x 3 mm
2 Metallrahmen 30 x 30 x 3 mm
3 Wellblech
4 Abdichtungsbahn
5 Holz-Dreischichtplatte 27 x 500 x 2000 mm
6 Feuerverzinktes Stahlprofil 100 x 50 x 4 mm
7 Stahlprofil IPN 240
8 Feuerverzinktes Stahlprofil 45 x 45 x 3 mm
9 Feuerverzinktes Stahlprofil 70 x 40 x 3 mm
10 Feuerverzinktes Stahlprofil 70 x 40 x 3 mm
11 Holzleiste 70 x 45 mm
12 Gewellte Polycarbonat-Platten
13 Feuerverzinkte Metallabdeckung 3 mm
14 Kiefernplatte
15 Metallplatte als Antirutsch-Schutz 3 mm
16 Stahlbrüstung
17 Stahlbeton, Gefälle 1%
18 Dichtungsband
19 Aluminium-Fenster
20 Winkel des Containers
21 Twistlock Verbindung der Container
22 Wandbekleidung 78 mm: Feuerfeste Gipskartonplatte und Gipskartonplatte, 48 mm
Aluminium Unterkonstruktion, Steinwolle-Dämmung
23 Halterung L-Profil, d= 10 mm
24 Träger, 140 x 80 x 6 mm
25 Streckmetallblech
26 Stahlbetonplatte
27 Polystrol-Dämmung
28 Kies
29 Pfahlkopf
30 Mikropfahl
38 Millionen Schiffscontainer sind weltweit im Umlauf. Nach rund zehn Jahren wird ein Container ausgetauscht, eine enorme Ressource an Material und Raum. Wiederverwendet und gestaltet als Unterkünfte für wohnungslose Menschen wird daraus auch eine soziale Ressource. Nicht irgendwo am Stadtrand, sondern mitten in Barcelona.«
DBZ Heftpartner heilergeiger architekten und stadt-planer BDA, Kempten
Baudaten
Objekt: APROP Ciutat Vella
Standort: Carrer Nou de Sant Francesc 10,
Barcelona/ES
Typologie: Temporäres Wohngebäude
Bauherr: Municipality of Barcelona, Department of Social Rights
Architektur: David Juárez Latimer-Knowles, Barcelona/ES, www.straddle3.net; Jon Begiristain Mitxelena, Donostia/ES, www.eulia.eu und Yaiza Terré Alonso, Barcelona/ES, www.yaizaterre.com
Mitarbeiter (Team): Oihana García, Paula Kobeaga, Ibai Lamarca, Pere Estevez
Ausführende Unternehmen: UTE Constècnia, La Selva del Camp/ES, www.constecnia.com; Eurocatalana, Barcelona/ES, www.eurocatalana.cat
Bauzeit: 08.–11.2019
Fachplaner
Tragwerksplaner: Jon Begiristain Mitxelena, Ibai Lamarca, Jordi Granada
TGA-Planer: Vilo Projects, Ordeic
Energieplaner: Societat Orgànica Projektdaten
Grundstücksgröße: 185,67 m²
Nutzfläche: 634,86 m²
Verkehrsfläche: 132,82 m²
Brutto-Grundfläche: 816 m²
Brutto-Rauminhalt: 3 122,76 m³
Baukosten: Gesamt brutto 1 Mio. €
Energiebedarf
Primärenergiebedarf: 26,2 kWh/m²a
Jahresheizwärmebedarf: 16,6 kWh/m²a
Gebäudehülle
U-Wert Außenwand = 0,29 W/(m²K)
U-Wert Dach = 0,39 W/(m²K)
Uw-Wert Fenster = 1,56 W/(m²K)
Hersteller
Fassade: Saint Gobain, www.saint-gobain.de
Trockenbau: Knauf, www.knauf.de
Heizung: Hitachi, www.hitachi.eu
Sanitär: Roca, www.de.roca.com
Software: AutoCAD, Sketchup, www.autodesk.de, www.sketchup.com