Kinder- und Jugendpsychiatrie, Salzburg/AT
Als heilendes Haus konzipierten die Architekten Kleboth und Dollnig gemeinsam mit Kaufmann Haas und Partner die Kinder- und Jugendpsychiatrie im Landeskrankenhaus Salzburg. Die Wohngruppen mit ihren Höfen sind wie im Dorf an einer Hauptstraße mit Marktplatz angeordnet. Freiheit und Schutz halten die Balance.
Die Seele ist ein weites Feld, ihre Erkrankung kann zum Tod führen. Die Symptome dafür sind oft ein irritierendes Verhalten, das mit Therapien und Medikation behandelt wird. Die Salzburger Christian Dopplerklinik (SALK) ist eine Stadt in der Stadt: Diverse Stationen verteilen sich im schönen, alten Baumbestand. Am westlichen Rand befindet sich die neue Kinder- und Jugendpsychiatrie. Die Architekten Kleboth und Dollnig konzipierten sie gemeinsam mit Kaufmann Haas und Partner als heilendes Haus.
Ein Platz zum Leben
„Wir arbeiten lösungs- und ressourcenorientiert. Unsere Abteilung ist ein Platz zum Leben. Sie ist sehr wohnlich und unterscheidet sich stark von einem Spital“, erklärt Klinikvorstand Primar Dr. Leonhard Thun-Hohenstein. „Unsere PatientInnen haben dieselben Bedürfnisse wie alle anderen Kinder und Jugendlichen: Sie brauchen Rückzug, Gemeinschaft, Bewegung, frische Luft, Unterstützung beim Lernen.“ Von allen Wettbewerbsbeiträgen setzten Kleboth und Dollnig das am besten um. Ihr Projekt ermöglicht den 30 stationären und zehn ambulanten PatientInnen, ihre Bedürfnisse zu leben – und dem Personal die nötige Kontrolle und Begleitung. Etwa 110 MitarbeiterInnen aus 15 Disziplinen – ÄrztInnen, PsychologInnen, ErgotherapeutInnen, PflegerInnen – arbeiten auf der Station. Seit Juni 2019 ist sie in Betrieb. „Die Räume für die PatientInnen sind fantastisch, die Gärten und Dienstzimmer auch sehr schön. Wir haben ein wirklich gutes Milieu“, resumiert Thun-Hohenstein. „Das einzige, womit ich nicht so glücklich bin, ist der zentrale Pflegestützpunkt. Er bietet zu wenig Einblick in die Patientenbereiche und hat zu wenig Tageslicht.“
Bauordnung versus Suizid
Einige Diskussionen mit der Baubehörde sind noch zu führen. So haben Fenster im Erdgeschoss aus Brandschutzgründen als Fluchtweg zu dienen – und immer von innen öffenbar zu sein. „Kinder sind freiheitsliebend, die finden das sofort heraus und laufen weg“, sagt Thun-Hohenstein. Auch Suizidprävention ist ein großes Thema. Alles, was über 40 cm hoch ist, genügt einem Kind, um sich aufzuhängen. Das heißt: keine Türdrücker, keine Kleiderstangen in den Kästen, keine Brüstungen, über die man springen könnte. Im Treppenhaus entwarfen die Architekten eine Geländerkonstruktion, deren Stäbe von den Trittstufen eines Treppenlaufs bis zu den Trittstufen des nächsten gespannt sind – und zwar etwas schräg, damit sich niemand ins Treppenauge stürzen kann. Dieses rote Geländer sieht aus wie eine Skulptur, doch es war immer noch nicht sicher genug. Also überzog es die Behörde mit Drahtgitternetzen: „Jede dieser Maschen hält 600 kg aus.“ Das Beispiel verdeutlicht die Grenzen baulicher Prävention. Suizidpräventive Architektur beginnt dort, wo die PatientInnen so viel Selbstbewusstsein und Neugier auf das Leben gewonnen haben, dass sie nicht mehr an Selbstmord denken. Dieses Haus tut alles, um ihnen den Weg dorthin zu erleichtern.
Goldenes Haus
Die Klinik funktioniert wie ein Dorf. Ihre zentrale, innere Straße führt die Hauptmagistrale durch das Krankenhausareal fort. An der Grenze zur Öffentlichkeit bildet das Gebäude einen dreistöckigen Kopfbau aus. In der Eingangsebene befinden sich die Akutaufnahme und die Anmeldung, Therapieräume, Umkleiden und Personalbereiche, in den zwei Geschossen darüber sind Therapie-, Yoga-, Besprechungs- und Aufenthaltsräume von ÄrztInnen und medizinischem Personal sowie die Terminambulanz. Die Fassade ist modular aufgebaut, tiefe Kastenelemente und Fenster wechseln einander ab. Sie reichen bis zum Boden und vermitteln so den Eindruck, draußen zu sitzen. Ihre Rahmen sind mit goldenem Aluminum eloxiert. „Die Kinder sollen sagen können: Wir wohnen in einem goldenen Haus“, erklären die Architekten von Kleboth und Dollnig. Wie es so zwischen den Bäumen hervorblitzt, erinnert es an ein Schloss. Es ist etwas Besonderes. Eine 4 m hohe, hellrosa verputzte Mauer, in die große Fenster eingeschnitten sind, umgibt das Erdgeschoss mit den stationären Abteilungen. Sie schützt vor dem Lärm der nahen Eisenbahn und schafft Geborgenheit. Exemplarisch zeigt sich an ihr die Ambivalenz der Klinik zwischen Sicherheit und Freiheit. Hinter der Mauer liegen Zimmer und Innenhöfe zum Spielen und Gärtnern.
Wie im Dorf
Unmittelbar hinter der Ambulanz befindet sich links die Akut‑
station, rechts beim Pflegestützpunkt der geschlossene Bereich für PatientInnen, die gefährdet sind, sich selbst oder andere zu verletzen. Sie müssen ständig eine Pflegeperson bei sich haben, ihr Hof muss geschlossen sein, sonst dürften sie nicht hinaus. Die Haupterschließung führt wie eine Dorfstraße durch die Klinik; rechts und links zweigen je zwei Abteilungen ab. Ihr grünes Herz bildet einen Innenhof, zu dem beidseitig alle Zimmer orientiert sind. Etwa in der Mitte weitet sich die Straße zum Marktplatz, wo sich alle begegnen können. „Dieser Marktplatz war ursprünglich im Raumprogramm nicht gefordert“, sagt Thun-Hohenstein. „Der Platz war eine Idee der Architekten, die sich sehr gut bewährt hat. Hier finden Feste statt, kommen die Clowndoktors und werden Geburtstage gefeiert.“ Am westlichen Ende der Straße ist die Therapieküche mit Terrasse: das Dorfgasthaus.
Erde, Planzen, Luft und Sonne
Die meisten Kinder und Jugendlichen haben sexuelle, physische und psychische Gewalt erlebt. Sie müssen sich behütet fühlen und heilsame Erfahrungen machen können. Dazu zählt der Bezug zur Natur, Erde, Pflanzen und Sonne. Daher gibt es in jeder Wohngruppe einen grünen Hof. Jeder hat unterschiedlich große Öffnungen und Tore in der Mauer, jeder ist anders. „Alle, die hier wohnen, können ins Freie. Trotz Mauern sind die Atrien sehr offen“, so die Architekten. „Unser Entwurf ist eine typologische Antwort auf die starken Vorgaben einer Psychiatrie.“
Ergänzend zu den Wohnhöfen gibt es introvertierte Schlafhöfe: Diese sind nicht begehbar, aber so angelegt, dass die PatientInnen von ihren Betten aus auf die dortigen Blumen und Pflanzen schauen können. „Das ist eine sehr schöne Wohnsituation, die viel Geborgenheit vermittelt“, so Dollnig. Das ist im Krankenhauskontext eine Herausforderung. So müssen alle Oberflächen keimfrei sein, die Zimmer mit mobilen Krankenhausbetten möbliert werden. Auch wenn es dem Bedürfnis der PatientInnen nach Intimität widerspricht, müssen die Zimmer für das Pflegepersonal einsehbar sein. So gibt es Sichtfenster in den Türen, die die BewohnerInnen individuell bekleben – wie sehr, hängt von der Persönlichkeit der Pflegenden ab. Als Raumteiler/Sichtschutz dient eine bettbreite Lamellenwand am Bettende mit einer dezent verschleierten Durchsicht, die Wand im Bettbereich ist ledergepolstert, damit sie nicht kalt abstrahlt.
Wohnliches Krankenhaus
Am Boden konnten die Architekten kein Holz durchsetzen, es musste Kautschuk sein. Sie verwendeten zwei Farben, damit ließ sich am Marktplatz ein Schachbrettmuster legen. In den gemeinsamen Wohnküchen der Gruppen gibt es sogar Infrarot-Kachelöfen mit Ofenbank. „Dieses Haus muss PsychiatriePatientInnen so berühren, dass sie eine positive Perspektive auf ihr Leben gewinnen“, so die Architekten. Das geschieht hier auf vielen Ebenen: vom Gartenzugang bis zu haptisch angenehmen Oberflächen. Lehmputz an den Wänden, schöne Möbel, Oberflächen, die mit Kreide zu bemalen sind. Dafür investierte das Land mehr als üblich, Kleboth und Dollnig waren zu den Bemusterungsterminen extrem gut vorbereitet und hatten den Rückhalt des Primars, um die Spitalsverwaltung zu Konzessionen zu bewegen. Isabella Marboe, Wien
Bauten für die seelische Gesundheit sehen sich häufig widerstreitenden Bedürfnissen ausgesetzt, denn der Wunsch nach Privatsphäre und Schutz ist ebenso vorhanden, wie es ein offenes und niedrigschwelliges Angebot geben soll. Dem Neubau in Salzburg gelingt diese Balance durch die geschickte Anordnung der Bauteile und ein ausgewogen und sensibel gestaltetes Verhältnis der Innen- und Außenräume.«
⇥DBZ HeftpartnerInnen Barbara Schott und
⇥Edzard Schultz, Heinle, Wischer und Partner, Berlin
Baudaten
Objekt: Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie der Christian-Doppler-Klinik; www. salk.at
Standort: Ignaz-Harrer-Straße 79, Salzburg/AT
Typologie: Kinder- und Jugendpsychiatrie mit stationären und ambulanten Bereichen
BauherrIn: Gemeinnützige Salzburger Landeskliniken Betriebsgesellschaft mbH
NutzerInnen: Kinder und Jugendliche
Architektur: Kleboth und Dollnig ZT GmbH, Linz/AT,
www.klebothdollnig.com gemeinsam mit Kaufmann Haas & Partner ZT KG, Linz/AT www.kaufmann.at
MitarbeiterInnen (Team): Gerhard Dollnig, Andreas Kleboth, Mathias Haas, Christian Schnaitl, Etemad Moghaddam, Sophia Braun, Andreas Justl, Andreas Kastenhuber, Walter Barth
Bauleitung: Spirk und Partner, Salzburg/AT,
www.spirk.at
Generalunternehmer (Teil GU): Kleboth und Dollnig gemeinsam mit Kaufmann Haas & Partner
Bauzeit: August 2017 – Juni 2019
Fachplaner
Tragwerksplanung: DI Johann Lienbacher,
Salzburg/AT, www.lienbacher-zt.at
TGA-Planung: Karres – Technisches Büro,
Salzburg/AT, www.karres.at
Elektro- und Lichtplanung: LLP Engineering, Salzburg/AT, www.llp-engineering.at
Akustik- und Energieplanung: DI GRAML ZIVILTECHNIK Bauphysik – Wärme -Schall
Brandschutzplanung: Hofmann Brandschutz, Puch bei Hallein/AT, www.hofmann-brandschutz.at
Landschaftsplanung: GPL Land in Sicht, Wien/AT, www.gpl.at
Kunst am Bau: Lubi Breitfuss, Seekirchen/AT,
www.lubi.at
Projektsteuerung: SABAG, Salzburg/AT,
www.sabag.at
Projektdaten
Grundstücksgröße: 113 315 m²
Grundflächenzahl: 0,035
Geschossflächenzahl: 0,033
Nutzfläche gesamt: 3 365 m²
Nutzfläche: 2 078 m²
Technikfläche: 180 m²
Verkehrsfläche: 1 107 m²
Brutto-Grundfläche: 3 984 m²
Brutto-Rauminhalt: 15 456 m³
Baukosten (nach DIN 276)
Gesamt netto 10,5 Mio €
Energiebedarf
Primärenergiebedarf: 341,6 kWh/m²a
Endenergiebedarf: 213,3 kWh/m²a
Jahresheizwärmebedarf: 32,9 kWh/m²a
Photovoltaikanlage: 17,66 kWp