Mehr Raum für alle(s)

Sozialer Wohnungsbau in Cornellà/ES

Ein ausgetüfteltes Grundrissraster, das ohne ­zusätzliche Verkehrsflächen auskommt, sowie eine vorgefertigte, optimierte Holzkonstruktion zeichnen das Gebäude von PERIS+TORAL ARQUITECTES mit 85 Wohneinheiten aus. Das Projekt zeigt auf ­elegante Weise, wie man auch mit beschränkten Mitteln viel Qualität entstehen lassen kann.

Cornellà de Llobregat gehört zur Àrea Metropolitana de Barcelona und ist eine typische Vorortgemeinde, die vor allem in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein starkes Bevölkerungswachstum durch Einwanderung verzeichnete und in der heute gut 88 000 Menschen leben. Die Stadt liegt nordwestlich von Barcelona und ist vom Zentrum aus mit der Metro in etwa einer knappen Stunde zu erreichen. Rund um die Station Sant Ildefons findet man sich zwischen mehrgeschossigen, durchaus sanierungsbedürftigen Wohnblocks aus den 1960er-Jahren wieder. Dennoch wirkt das Viertel lebendig, der zentrale Markt mit frischen Lebensmitteln, günstigen Kleidern und Haushaltsgegenständen ist gut besucht und spiegelt den Alltag der Menschen, die hier leben. Der Neubau von PERIS+TORAL ARQUITECTES liegt mittendrin im Trubel. Zwischen den Blocks mit Bestandswohnbauten in Beton- und Ziegelbauweise fällt er mit seiner Kubatur und Farbigkeit kaum auf, setzt durch den multifunktionalen Aufbau und die für den Ort ungewöhnliche Materialwahl (Holz, Beton, Metall) jedoch einen deutlichen Akzent und zeigt, wie man sich hier die zukünftige Entwicklung der Nachbarschaft vorstellt. IMPSOL, eine Division der Àrea Metropolitana de Barcelona, kaufte das Grundstück, auf dem sich zuvor ein bereits geschlossenes Kino befand, und lobte für seine Neubebauung 2017 einen offenen Architekturwettbewerb aus. Die Kubatur war damals bereits vorgegeben: Das Erdgeschoss sollte für gewerbliche Flächen zur Verfügung stehen und auch ein Kino möchte die Stadt in Zukunft wieder in dem Gebäude betreiben. Dazu kamen die obligatorischen Parkplatzflächen und fünf Wohnebenen, die es galt, mit cleveren Grundrissen zu füllen. Das Ganze sollte die vorgegebenen Baukosten von unter 1 000 Euro/m2 nicht überschreiten. „Von den etwa hundert Ideen, die dazu eingingen, haben wir fünf ausgewählt und diese Büros mit der weiteren Detaillierung beauftragt,“ berichtet Josep Maria Borrell von IMPSOL. „Letztendlich hat uns der Entwurf von PERIS+TORAL so überzeugt, dass wir den Auftrag vergaben und 2018 mit der Realisierung beginnen konnten.“

 

Von innen nach außen

„Unser Ansatz bestand darin, das gesamte Gebäude aus dem Innenraum heraus zu entwickeln“, erzählt José Toral, Projektverantwortlicher Architekt von PERIS+TORAL. „Als Inspira­tionsquelle diente uns dafür vor allem das japanische Wohnhaus, dessen Räume auf dem Raster der traditionellen Tatamimatten beruhen. So werden die Räume im Gegensatz zu den bei uns üblichen Bezeichnungen nicht nach der Nutzung (Wohnen, Schlafen etc.), sondern nach der Anzahl der Tatami benannt. In diesem Fall erschien uns der Acht-Tatami-Raum eine passende Größe, mit der wir den vorgegebenen Grundriss sinnvoll füllen und weiterentwickeln konnten“, so José Toral weiter. Ähnliche Größenverhältnisse fanden die ArchitektInnen bei ihrer Entwurfsrecherche übrigens auch in der Frankfurter Küche von Margarete Schütte-Lihotzky und den idealen Räumen von Le Corbusier. Die Grundidee für den Neubau beruht damit auf einem nicht genauer definierten Raster von Einzelräumen mit einer Größe von ca. 13 m2, die sich ebenso flexibel miteinander verbinden wie nutzen lassen und keine zusätzlichen Verkehrsflächen zur Erschließung benötigen. Diese Idee mit der vorgegebenen Kubatur sinnvoll zu verknüpfen, führte zu einer ringförmigen Entwicklung verschiedener Schichten, die das Gebäude von innen nach außen zonieren: Man erschließt den Wohnkomplex von Süden her über einen nur für die Bewohner­Innen zugänglichen Innenhof. An allen vier Gebäudeecken befindet sich jeweils ein Treppenhaus, über das die fünf Wohn­etagen zu Fuß oder mit dem Lift erreicht werden können. Auf jeder Etage liegen 18 Wohneinheiten (außer im DG, dort gibt es noch eine für alle zugängliche Dachterrasse), von denen jeweils vier bzw. fünf über eins der Treppenhäuser erschlossen werden. Zwei bzw. drei über einen kleinen, an das Treppenhaus angrenzenden Verteilerraum, die weiteren über den zum Hof orientierten umlaufenden Balkon. Dieser ist jedoch, im Gegensatz zu einer typischen Laubengangerschließung, eindeutig den jeweiligen Wohnungen zugeordnet und für die übrigen Bewohner nicht zugänglich. Hinter dem Balkon liegen die drei Schichten der Wohnräume: Die erste, zum Innenhof orientiert, die zweite, innenliegende, umfasst in allen Apartments die zentrale Installation, die Bäder und offenen Küchen. Daran schließt sich die dritte Ebene an, nach außen, zum Quartier orientiert. Der Gebäudeabschluss entsteht durch eine letzte Schicht den kompletten Baukörper umlaufender Balkone. Neben der flexi­blen Raumnutzung lag ein Hauptaugenmerk der ArchitektInnen auf einer gut funktionierenden, natürlichen Belüftung. „Die heißen Temperaturen und die hohe Luftfeuchtigkeit erfordern – vor allem in den Sommermonaten – einen außenliegenden Sonnenschutz sowie eine optimale Durchlüftung, um die Räume erträglich zu temperieren. Dies können wir durch eine Sogwirkung, die durch den schachtartigen, kühleren Innenhof und die nach innen wie außen zu öffnenden Fassadenelemente entsteht, relativ einfach gewährleisten“, erklärt José Toral. Vor der starken Sonneneinstrahlung schützen einfache, aber effi­ziente Holzrollos sowie feststehende Metallgitter an den äußeren Fassaden, die den Balkon auch in der heißen Jahreszeit als erweiterten Wohnraum gut nutzbar machen.  

 

Flexible Nutzungsmöglichkeiten

Je nach Lage im Gebäude ergeben sich unterschiedliche Wohnungszuschnitte mit zwei oder drei Räumen zzgl. Küche und Bad. Die Wohnungsgrößen liegen demnach zwischen ca. 65 und 80 m2. Trotz der überschaubaren Größe wirken die Apartments dennoch großzügig, sind offen und hell und erlauben vielfältige Möglichkeiten der Nutzung sowie Möblierung. „Einige der Wohnungen verfügen sogar über einen Raum mit einem extra Zugang über den zum Hof orientierten Balkon, sodass man hier z.B. ein kleines Büro einrichten könnte, in dem man als Selbstständiger Kunden empfangen kann, ohne dass diese die private Wohnung durchkreuzen müssten“, schlägt Josep Maria Borrell vor. Dass diese Nutzung eintritt, ist keineswegs abwegig, denn obwohl es sich um sozialen Wohnungsbau zur Miete handelt, wurde ein Teil der Wohnungen verkauft, um die Investitionen mit zu finanzieren. Auf der anderen Seite gibt es ergänzend zehn kommunale Wohneinheiten, die für soziale Härtefälle zur Verfügung stehen. Das ist für Cornellà de Llobregat und Barcelona ein neues Konzept, das mit dazu beitragen soll, solch wichtigen Projekte weiterhin umsetzen zu können, eine soziale Durchmischung zu erreichen und Quartiere aufzuwerten.

 

Das Beste aus dem Material herausholen

Neben der ausgeklügelten Grundrissorganisation spielten Bauweise und Materialwahl eine zentrale Rolle im Projekt. Aufgrund der Abmessungen des Rasters, einer besseren CO2-Bilanz und schnelleren Produktionszeit entwickelten die ArchitektInnen eine Holzhybridkonstruktion. Auf dem Sockelgeschoss aus Beton liegen die fünf Wohngeschosse mit einer vorgefertigte Tragstruktur aus Brettschichtholz. Hierfür wurde heimische Kiefer aus dem Baskenland verwendet. „Um das Material möglichst sparsam einzusetzen und parallel auch die gegenüber einer herkömmlichen Bauweise in Beton höheren Kosten zu senken, machten wir uns die Statik zunutze“, erklärt José Toral und führt fort: „Die Spannweiten wurden optimiert, die Stöße jeweils in den Momentennullpunkt gelegt, sodass wir möglichst schlanke Querschnitte bekamen. Sie entsprachen so dennoch den geforderten Brandschutzvorgaben, die mit
3 cm Abbrand gerechnet sind.“ Die äußeren Wandscheiben sind im Innenraum verputzt, die innenliegenden Wandscheiben wurden, ebenso wie die Bodenaufbauten, als Trockenbaukonstruktionen ausgeführt, die Decken blieben holzsichtig. Ebenfalls holzsichtig sind die vier vorgefertigten Treppenhäuser, die mit einer speziellen Brandschutzbeschichtung versehen wurden. Die im Holzbau ebenfalls auftretende Schallschutzproblematik wurde über entsprechende Bodenaufbauten sowie Schallschutzfugen in Decken und Wänden zur Entkoppelung gelöst. Einfache Lochbleche dienen als zusätzlicher Sonnenfilter für die raumhohen Verglasungen, die geschlossenen Wandelemente sind mit weißen Trapezblechen verkleidet. Letztlich waren das alles Überlegungen, die den manchmal durchaus skeptischen Bauherrn überzeugten, in eine qualitätsvolle Architektur zu investieren – ohne den geforderten Kos-tenrahmen zu sprengen – und ein nachhaltiges Gebäude in dieser für Spanien durchaus noch seltenen Holz-Hybrid-Bauweise zu realisieren. Das Projekt ist bereits kurz nach der Fertigstellung ein Erfolg, wie Josep Maria Borrell uns wissen lässt. Man ist mit dem Ergebnis sowie der Vermarktung und Vergabe der Wohnungen sehr zufrieden und das Interesse sei groß, die gewählte Lösung auch für weitere Projekte zu adaptieren. Die Nominierung für den EUMiesAward 2022 dürfte für dieses Ansinnen ein weiteres gutes Argument sein. KR

Eine flurlose Raum-Matrix liefert eine kluge Antwort auf die Frage, wie sich die ökonomi­schen Anforderungen an den sozialen Wohnungsbau mit einer umfänglichen Reduzierung der CO2-Emissionen und den Vorstellungen von urba­nen Wohn- und Lebensformen zu Architektur verbinden lassen. Mit einer optimierten Elementbauweise und systematisierten Grundrissen wird quasi beiläufig eine neue Wohnungstypologie erzeugt, die zumeist die Konzeptebene nicht verlässt.« DBZ HeftpartnerInnen Damrau Kusserow, Köln

Projektdaten

Objekt: Sozialwohnungen in Cornellà, Barcelona/ES

Standort: Av. Repblica Argentina 21, 08940 Cornellà de Llobregat, Barcelona/ES

Typologie: Geschosswohnungsbau

Bauherr: Metropolitan Institute of Land Development and Property Management (IMPSOL), eine Geschäftseinheit der Barcelona Metropolitan Area (AMB)

Architektur: PERIS+TORAL ARQUITECTES, Marta Peris, José Manuel Toral, Barcelona/ES, www.peristoral.com

Team: Guillem Pascual, Ana Espinosa, Maria Megias, Izaskun González, Miguel Bernat, Cristina Porta

Bauleitung: MARCH-RIUS ARQUITECTES TÈCNICS, Joan March Raurell

Generalunternehmung: VIAS Y CONSTRUCCIONES, www.vias.es

Bauzeit: 12.2018 – 12.2020

Grundstücksgröße: 12 815 m²

 

Fachplanung

Tragwerksplanung: BERNÚZ FERNÁNDEZ ARQUITECTES, Barcelona/ES, www.bernuz-fernandez-arquitectes-slp.business.site

TGA: L3J Tècnics, Sant Feliu de Llobregat/ES, www.eletresj.com

Akustik: Àurea Acstica, Cerdanyola del Vallés, Barcelona/ES, www.aurea-acustica.com

Landschaftsarchitektur: AB Pasatgistes, Barcelona/ES, www.abpaisatgistes.cat

Energieberatung: Societat Orgànica, Barcelona/ES

www.societatorganica.com

 

Hersteller

Holzbau: egoin wood group, www.egoin.com

Dach und Fassade: Europerfil, www.europerfil.com

Fassade: Serge Ferrari Group, www.sergeferrari.com, Persiana Barcelona, www.persiana-barcelona.com, Bianchini Maccaferri Group, www.maccaferri.com

Fenster: Cortizo, www.cortizo.com

Sonnenschutz: Durmi, www.durmi.com

Böden: Tarkett, www.tarkett-group.com

Küchen: Bodelec, www.bodelec.es

Innenausbau: Mobiliari Font Room,

www.mobiliariofontova.com

Außenleuchten: Lamp, www.lamp.es, Escofet,

www.escofet.com, Performance in lightning,

www.performanceinlighting.com

Aufzüge: Orona, www.orona-group.com

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