Der Haftungsbefreier: Die Bedenkenanzeige!
(beispielhaft: Oberlandesgericht Karlsruhe mit Urteil vom 10.12.2018 - 19 U 83/16)
Die Planung des Architekten muss in der Regel den Vorstellungen des Auftraggebers oder den Vorgaben anderer für den Auftraggeber tätiger Fachleute folgen. Problematisch wird dies, wenn diese Vorstellungen und Vorgaben die Planung des Architekten mangelhaft werden lassen, da gegen allgemein anerkannte Regeln der Technik verstoßen wird oder zwingend erforderliche Genehmigungen nicht eingeholt werden können oder mit der Planung überhaupt nicht vereinbar sind. Wenn der Architekt also vor der Entscheidung steht, dass die Fortsetzung seiner Planung nach den möglicherweise sogar rechtswidrigen Vorstellungen des Auftraggebers zu einem Planungsmangel führen würde, ist die Bedenkenanzeige die erste Wahl, um sich von seiner Haftung zu befreien.
Die Bedenkenanzeige ist ein Hinweis, den der Architekt an seinen Auftraggeber sendet. In diesem Hinweis teilt der Architekt seine Bedenken hinsichtlich einer Vorstellung oder Anweisung des Auftraggebers mit. Die Bedenkenanzeige ist zwar formfrei möglich. Um den Nachweis im Ernstfall führen zu können, sollte die Bedenkenanzeige jedoch immer schriftlich und mit Zugangsnachweis an den Auftraggeber verschickt werden (Beweisfunktion). In der Bedenkenanzeige muss der Sachverhalt so präzise und detailliert wie möglich beschrieben werden, sodass der Auftraggeber verstehen kann, warum die Anweisung, Vorgabe oder Vorstellung zu einer mangelhaften Planung oder sogar einem mangelhaften Bauwerk führen würde. Ferner sollte der Architekt aufzeigen, welche alternative Lösung angezeigt wäre, und den Auftraggeber zu einer Entscheidung auffordern, mit dem Hinweis, dass eine Haftung des Architekten ausscheidet, wenn der Auftraggeber an seiner ursprünglichen Vorstellung/Vorgabe festhält und die Planung oder das Bauwerk infolgedessen wie vorhergesagt mangelhaft wird (haftungsausschließendes Einverständnis).
Der Architekt wird jedoch nur dann von der Haftung befreit, wenn er dem Auftraggeber den Sachverhalt auch hinsichtlich der Folgen so erläutert, dass dieser ihn verstehen und das Risiko für sich sicher einschätzen kann. Verlangt der Auftraggeber von dem Architekten etwas, was eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, müsste der Architekt diesen Sachverhalt auch an die jeweils zuständigen öffentlichen Stellen melden, sofern der Auftraggeber an seinen Vorgaben festhalten möchte.
Auf der anderen Seite sollte die Bedenkenanzeige nicht als Konfliktinstrument missbraucht werden. Unangemessene Bedenkenanzeigen erfordern vom Auftraggeber in einem Planungs- oder Bauvorhaben knappe Prüfungsressourcen, die an anderer Stelle besser eingesetzt werden könnten. Dadurch wird das Verhältnis und das Vertrauen des Auftraggebers in den Planer unnötig belastet, zumal es die Aufgabe des Architekten ist, mögliche Konflikte frühzeitig zu erkennen und zu lösen.
Der Fall, den das Oberlandesgericht Karlsruhe mit Urteil vom 10.12.2018 - 19 U 83/16 entschieden hat, kann als Lehrbuchbeispiel für die Anforderungen an Bedenkenanzeigen herangezogen werden. In diesem Fall hatte der Architekt zwar eine Bedenkenanzeige an den Auftraggeber gerichtet, jedoch nicht ausreichend über die Bedeutung und Tragweite der Fehlerhaftigkeit der Planung aufgeklärt. Hierzu hätte der Architekt über die damit verbundenen Risiken aufklären und belehren müssen.
Im Ergebnis sind die Anforderungen an haftungsausschließende Bedenkenanzeigen hoch und müssen in jedem Fall einzeln bewertet werden. Es ist auch wichtig, sich niemals allein auf die vermeintliche Sachkunde des Auftraggebers zu verlassen. Wird an der entscheidenden Stelle in der Bedenkenanzeige die Aufklärung zu kurz gefasst, kann sich der Auftraggeber möglicherweise darauf berufen, dass ihm die Folgen der Mangelhaftigkeit nicht bewusst waren. In einem solchen Fall verpufft der Effekt der Bedenkenanzeige, und der Architekt haftet vollständig.