Fit für die Zukunft: Ehemaliges Völkerkundemuseum mit neuen Perspektiven

Völkerkundemuseen haben es – zumindest in Deutschland – nicht leicht. Zurecht wird ihnen vorgeworfen, jahrzehntelang eine Kultursicht gepflegt zu haben, die auf Ausbeutung und Diebstahl beruhte, Stichwort: Raubkunst. Nun sind die meisten Institute dabei, nach der Namensänderung auch grundsätzlich über ihr Selbstverständnis zu reflektieren. Das MARKK Museum am Rothenbaum in Hamburg macht ein weiteres: Es gab einen Architektinnenwettbewerb, den das Pariser Architekturbüro Lina Ghotmeh für sich entschied.

Ein wenig abseits liegt es, das Anfang des 20. Jahrhunderts nach einem Entwurf von Albert Erbe gebaute Völkerkundemuseum im Norden von Dammtor, immerhin eine der größten ethno­graphischen Sammlungen in Europa. Die Platzierung mag in der Geschichte der Museumsgründung anschaulich werden, Touristen werden den Weg dorthin kaum machen. Dabei ist die Straße, die Rothenbaumchaussee, zumindest für Architektinnen keine Unbekannte, finden sich hier doch Arbeiten von Atelier 5 (Siedlung Rotherbaum, 1998), von ASP Schweger (Rothenbaum Stadion mit verfahrbarer Dachkonstruk­tion von Sobek Ingenieure, 1997), von Sir Norman Foster (Multimedia Centre Rotherbaum, 1998) oder ganz aktuell von Sir David Chipperfield (Büro- und Wohnquartier auf dem Signal Iduna-Grundstück, Fertigstellung 2029).

Doch das alles nützt nichts, wenn die Besucherzahlen zurückgehen und sich ein so großes Haus vielerlei Ansprüchen und Forderungen gegenüber sieht; beispielsweise der Forderung nach Restitution, Stichwort „Benin-Bronzen“. Der Besucherrückgang ist auch damit zu erklären, dass das Museum sich in den letzten Jahren konsequent umkrempelt, um eben den Dunstkreis des Kolonialen, der Unrechtmäßigkeit von Besitz sowie der als rassistisch zu benennenden „Völkerschau“ zu verlassen. Neben multimedialen ­Angeboten werden auch dezidiert Ausstel­lungs­praxis und Sammlungsgeschichte thematisiert. Was denen nicht gefällt, die zuvor noch staunend vor Szenen aus dem Indianerleben standen.

Doch Historie und Praxis sind das eine, das andere ist die Architektur. Das als irgendwie klassizistisch zu beschreibende, langrechteckige Backsteinvolumen mit überwölbtem Mittelrisaliten zur Straße und in den Hof mit Seitenflügel und den Hof schließenden Langbau, hat eine zeittypisch repräsentative wie abwehrende Außentreppe und seit seiner Übergabe 1912 keine nennenswerten Umbauten oder Sanierungen erlebt. Die Neukonzeptionierung seit 2017 und Besuchermangel haben dazu geführt, dass der Revitalisierung des Hauses mit seinem prestigeträchtigen Sammlungsbestand 123 Mio. € von Stadt und Bund (!) zugesprochen wurden, 2022 war das. In der Wettbewerbsauslobung zum zweistufigen, EU-weiten Vergabeverfahren heißt es: „Nach der Modernisierung strebt es eine Besucher*innenzahl von mindestens 150 000 jährlich an. […] Eine nachhaltige, denkmalgerechte bauliche Erneuerung soll das Museum zu einem zukunftsorientierten und publikumsfreundlichen Museum der Kulturen und Künste umgestalten.“ Und es geht um so Grundsätzliches wie konservatorisch adäquate Klimatisierung und Barrierefreiheit, Betriebskostensenkung und ganz allgemein um die Einbindung des Altbaus in das Zeitgenössische der Stadt, mit multifunktionalen Flächen, mit digitaler Präsentation und vergrößerter Café- und Shoppingfläche.

Ende 2024 wurde der Wettbewerb entschieden. Das Pariser Büro der Architektin Lina Ghotmeh will ein „Wohnzimmer der Stadt“ schaffen mit Ausstellungs- und Interaktionsräumen, „multisensorischer Wissensvermittlung“, mit Ruhe- und Lernorten, Shopping und Gastronomie. Projekt-architekten sind die im Denkmalschutz erfahrenen Hamburger BiwerMau Architekten.

In der Bauphase, die 2027 starten und 2031 abgeschlossen sein soll, ist das Haus geschlossen, einen Ersatzort wird es nicht geben. Museumsdirektorin Barbara Plankensteiner: „Das Allerwichtigste ist für uns wirklich die Erschließung des Gebäudes für das Publikum, eine großzügigere Eingangssituation, damit wir auch größere Besucherströme aufnehmen können.“

Dass Stadt und Bund hier das richtige Büro ausgewählt haben, könnte dessen Wettbwerbsgewinn zu Sanierung um Umbau des Westflügels des Britischen Museums in London andeuten. Das Team um Lina Ghotmeh hatte sich hier Anfang 2025 gegen OMA oder 6aArchitects durchgesetzt, auch Sir David musste den Kürzeren ziehen in der Runde der letzten Fünf, dafür ist er aber in Hamburg mit dem Wohnungsbau dabei.

Im Jahr 2027 beginnt nach Angaben der Stadt der Umbau. Das Museum werde bis in die 2030er-Jahre geschlossen. Dann soll das MARKK als publikumsfreundlicheres und vor allem barrierefreies Haus wiedereröffnen; mit Bronze-Abgüssen  im neugestalteten Shopping und möglicherweise ein paar Leihgaben aus Nigeria?!

Benedikt Kraft/DBZ

www.linaghotmeh.com, www.markk-hamburg.de

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