Form follows Life

„Wir sind davon überzeugt, dass Innenarchitektur mehr Begegnungen ­zwischen Menschen schaffen kann.“ Das kann in der Lobby passieren, im Restaurant oder an der Bar. Die deutsche Innenarchitektin Melanie Knüwer ist Projektleiterin und Assoziierte beim Amsterdamer Architekturbüro concrete, das sich auf Hospitality-Projekte spezialisiert hat. Warum sie Gänge manchmal extra schmal plant und weshalb wir eine Mischform aus Hotel und Büro brauchen, auch darüber haben wir mit ihr gesprochen.

Melanie Knüwer hat Innenarchitektur in Detmold studiert. Im Anschluss war sie drei Jahre als Innenarchitektin in Düsseldorf tätig. Seit 2005 ist sie Projektleiterin und Associate bei concrete Amsterdam. Als Projektleiterin verantwortete sie in den vergangenen Jahren u. a. folgende Projekte: Andaz Hotel in München, The Botree Hotel in London, Hotel Norge in Bergen (Norwegen), Lobby/Lounge im W Hotel in London, Jeroen Pit Haus in Amsterdam – ein Haus, in dem chronisch kranke Kinder zusammen mit ihren Eltern wohnen können
Foto: Nikki Brandenburg/concrete
Melanie Knüwer hat Innenarchitektur in Detmold studiert. Im Anschluss war sie drei Jahre als Innenarchitektin in Düsseldorf tätig. Seit 2005 ist sie Projektleiterin und Associate bei concrete Amsterdam. Als Projektleiterin verantwortete sie in den vergangenen Jahren u. a. folgende Projekte: Andaz Hotel in München, The Botree Hotel in London, Hotel Norge in Bergen (Norwegen), Lobby/Lounge im W Hotel in London, Jeroen Pit Haus in Amsterdam – ein Haus, in dem chronisch kranke Kinder zusammen mit ihren Eltern wohnen können
Foto: Nikki Brandenburg/concrete

Frau Knüwer, was reizt Sie an Hotel-Innenarchitektur?

Hotels sind einfach sehr vielfältig, eigentlich sind es immer mehrere kleine Projekte in einem. Was die Hotelplanung so spannend macht, ist, dass wir einerseits die öffentlichen Bereiche wie Bar, Lobby, Restaurant, Spa oder Konferenzräume gestalten und andererseits den privaten Bereich mit den Zimmern und Suiten. Aber auch die Abstimmung mit den anderen Fachplanern finde ich interessant. Unser Streben ist es, Innenarchitektur und Architektur miteinander zu verbinden. Deshalb ist es von der Planung bis zur Fertigstellung oft ein langer Prozess, der mehrere Jahre dauern kann. Aber am Ende ist es immer spannend, das Gesamtergebnis zu sehen.

Was sind die aktuellen Trends im Hotelbau?

Heutzutage geht es in Hotels nicht mehr nur um das Übernachten. Es geht um eine Mischung aus Arbeiten, Entspannen und Begegnungen. Mit unseren Smartphones sind wir oft isoliert, daher setzen wir in Zukunft wieder mehr auf analoge Begegnungen. Manchmal planen wir Gänge in Hotels bewusst schmaler, damit sich die Leute eher begegnen. Wir haben auch schon Hotelzimmer ohne Minibar entworfen – stattdessen gibt es eine Bar in der Lobby, die 24 Stunden geöffnet ist. Ein Gemeinschaftsgefühl zu schaffen ist nicht einfach, aber wir sind überzeugt, dass das durch Innenarchitektur gelingen kann. Die klassische Hotellobby ist nicht mehr zeitgemäß, die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit verschwimmen. Wenn man eine Stadt wirklich kennenlernen will, ist man am liebsten an einem Ort, der auch von den Einheimischen genutzt wird. Das Hotel Zoku ist ein gutes Beispiel dafür, wie das Design und die Philosophie des Betreibers die Menschen zusammenbringt. Dies wird unterstützt durch eine Programmierung von Themen und Veranstaltungen, die für die jeweilige Stadt relevant sind. So fühlt sich der Hotelgast während seines Aufenthalts als Teil der Stadt.

Worauf sollte ich bei der Planung noch achten?

Ausgangspunkt ist für uns immer die „guest experience“, das heißt: Wie erfährt der Nutzer den Raum, wie schafft man durch den Entwurf eine natürliche Route? Was ist der erste Eindruck und wie können wir den Gast überraschen? Wichtig ist für uns, dass sich die Nutzung des Interieurs über den Tag anpassen lässt. Wenn zum Beispiel der Frühstückbereich abends als intimes Restaurant genutzt werden soll, schaffen wir die Möglichkeit, diesen Bereich – zum Beispiel durch Schiebelemente – zu transformieren. Für die Transformation der Räume im Laufe des Tages ist auch die Lichtgestaltung ein sehr wichtiges Element: morgens hell und voller Energie, abends warm und cosy.

Wie setzen Sie die Wünsche der Bauherrn um?

Die Aufgabe des Bauherrn ist es, die jeweiligen Anforderungen, Funktionen und verschiedenen Bereiche so genau wie möglich zu spezifizieren. Anhand dieses project briefs entwickeln wir dann die gestalterische Lösung. Idealerweise sind wir vom Beginn des Projekts dabei, inklusive der architektonischen Gestaltung. Dann haben wir die Möglichkeit, alles Funktionale wie Wegeführung, Küchen, Anlieferung und andere technische Funktionen in den Entwurf zu integrieren. Auf diese Art können wir die customer experience am besten umsetzen. Wir wollen vermeiden, dass der Gast die Lobby betritt und zuerst auf den klassischen Empfangstresen und die Aufzüge blickt, stattdessen geht es darum, einen Ort zu schaffen, an dem sich der Gast direkt willkommen und zuhause fühlt.

Wenn man eine Stadt wirklich kennen­lernen will, ist man am liebsten an einem Ort, der auch von den Einhei­mischen genutzt wird. Das Hotel Zoku ist ein gutes Beispiel, wo das gelingt
Foto: ewout huibers / concrete / ZOKU
Wenn man eine Stadt wirklich kennen­lernen will, ist man am liebsten an einem Ort, der auch von den Einhei­mischen genutzt wird. Das Hotel Zoku ist ein gutes Beispiel, wo das gelingt
Foto: ewout huibers / concrete / ZOKU
Wie schaffe ich Atmosphäre bzw. ein ansprechendes Interieur, ohne dass es unpraktisch für das Reinigungspersonal oder die ­Gäste ist?

Für uns sind ein ansprechendes Interieur und Praxistauglichkeit kein Widerspruch, der uns einschränken würde. Durch eine enge Einbindung der Bauherren und der technischen Teams werden die eventuellen Anforderungen und Probleme früh identifiziert und in den Entwurfsprozess integriert. Ungefähr 80 Prozent eines Hotels machen die Zimmer aus. Daher wird in der Regel zuerst immer ein Musterzimmer gebaut. Das hat verschiedene Funktionen: Zum einen soll es den Bauherrn vom Entwurf überzeugen und testen, ob er auch wirklich funktioniert. Zum anderen wird das Zimmer vom Operator und vom Housekeeping technisch unter die Lupe genommen. Weiterhin spielt die richtige Materialauswahl für die Praxistauglichkeit eine wichtige Rolle. In einem Hotel sind die Materialien einem hohen Beanspruchungsgrad ausgesetzt, also müssen sie sehr beständig, ersetzbar oder wenigstens zu reparieren sein.

Welchen Einfluss hat die Lage eines Objekts auf die Gestaltung der Innenräume? 

Die Lage hat einen großen Einfluss auf die Gestaltung. An einem abgelegenen Ski-Ort in den Bergen sieht ein Hotel anders aus als in einer japanischen Metropole, auch wenn sie zur gleichen Hotelkette gehören. Unsere Projekte für W Hotels in Verbier, Osaka und London unterscheiden sich somit grundlegend in ihrem Designkonzept. Die Zielgruppe, die Art der Nutzung und die Umgebung prägen hier das Design. CitizenM Hotel ist ein weiteres gutes Beispiel. Hier besteht die Basis aus identischen Zimmermodulen. Die Fassade und die Kontur des Gebäudes passen sich an den Ort an. So ist CitizenM in New York ein Hochhaus mit Dachterrasse, wobei das Citizen M neben dem Tower of London sich mit einer Natursteinfassade in das Stadtbild eingliedert.

Bestand oder Neubau – was finden Sie spannender? Und warum? 

Beide Ansätze haben ihren Reiz. Unser Büro steht für das Entwickeln von Gesamtkonzepten, und ein Neubau gibt uns hierin viel Gestaltungsfreiraum. In einem idealen Projekt entwickeln wir alles von der Landschaftsgestaltung, Architektur über die Innenarchitektur bis hin zum Namen, dem Logo oder der Speisekarte. Wir haben ein sehr diverses Team und es macht sehr viel Spaß, übergreifend in verschiedenen Disziplinen zusammenzuarbeiten. Hierdurch entstehen häufig neue Ideen und Ansätze und wir verstärken einander im kreativen Prozess. Wir haben schon häufiger Hotelprojekte entwickelt, bei denen vom Entwurf der Zimmer angefangen das ganze Gebäude entstanden ist. Wir sind davon überzeugt, dass es um den Nutzer geht. Das Herzstück des Gebäudes und das Leben darin beeinflussen die Form der Architektur. Auf der anderen Seite hat Bauen im Bestand auch seine Reize. Hier ist das Puzzlespiel interessant, alle Funktionen aber auch alle technischen Anforderungen zu integrieren und zu koor­dinieren.

Muss nachhaltiger immer gleich teurer sein?

Nachhaltig zu planen ist ein sehr relevantes Thema für uns. Ein nachhaltiger Ansatz muss nicht zwangsläufig zu einem teureren Resultat führen. Die Suche nach neuen innovativen Materialen erfordert oft etwas mehr Zeit bei der Recherche. Generell versuchen wir, durch ein in der Basis zeitloses Design und den Einsatz langlebiger Materialien dafür zu sorgen, dass ein Projekt lange bestehen kann und somit nachhaltig ist in Bezug auf Materialeinsatz und Kosten.

Welche Rolle spielt die Haptik von ­Materialien? 

Die Haptik – also wie sich ein Material anfühlt – ist wichtig, aber nicht der Ausgangspunkt des Designs. Die Auswahl von Materialen mit passenden Eigenschaften liefert einen wesentlichen Beitrag zur Wertigkeit eines Interieurs.

Sind Einzelzimmer eigentlich eine aussterbende Gattung?

Für die Hotelbetreiber sind kleine Doppelzimmer im Allgemeinen interessanter als Einzelzimmer, da sie flexibler genutzt werden können. Daher planen wir kaum noch Einzelzimmer.

Wie groß ist Ihr Büro concrete? Was ist Ihre Philosophie?  

Unser Büro concrete im Zentrum von Amsterdam besteht aus einem Team von 50 kreativen Leuten: Architekten, Innenarchitekten, Grafik- und Kommunikationsdesigner, Möbelentwerfer und sogar ein Koch-Team, das jeden Mittag für alle kocht. Sowohl unser Team als auch unsere Projekte sind international. Die vielen verschiedenen Einflüsse bereichern den kreativen Prozess und die Atmosphäre im Büro. Wir entwerfen Gesamtkonzepte, darunter Hotels, große Wohnungsbauprojekte, Restaurants, Läden, aber auch Bibliotheken, Spielplätze und Museen. Manche dieser Projekte haben sich unter unserer Art Direktion zu Marken entwickelt wie z. B. CitizenM, Urby und seit kurzem das modulare, zirkulare, soziale Wohnungsbauprojekt Moos. Unser Motto „Form follows Life“ bedeutet, dass wir zuerst an den Nutzer bzw. das Leben und die Aktivitäten denken, bevor wir mit dem Designprozess beginnen. Wir bewegen uns im Lifestyle-Sektor und erwarten daher von unseren Bauherrn Mut zu innovativen Designs – weg von Standardlösungen.

Sie sind Deutsche, haben in Deutschland ­Innenarchitektur studiert und arbeiten jetzt seit über 15 Jahren in den Niederlanden. ­Gehen Niederländer Projekte anders an als Deutsche?

Was den Kreativprozess anbelangt, arbeiten Deutsche und Niederländer ähnlich. Allerdings hat die Bürokratie in Deutschland einen größeren Einfluss auf den Bauablauf, während man in den Niederlanden pragmatischer vorgeht. Trotzdem hat mir mein letztes Hotelprojekt in Deutschland, das Andaz in München, sehr viel Spaß gemacht.

Wenn Sie privat reisen: Was muss ein Hotel haben, damit Sie es buchen?

Wenn ich reise, gehe ich am liebsten in Hotels mit einem eigenen Charakter und community ­feeling, in denen man den Puls der Stadt am bes­ten erfahren kann.

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